Info
24.10.2012, 17:28 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
images/lpbblogs/logenlogo_164.jpg
Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [24]: Über Nächte und unter Tage

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/loge24_160.jpg
„Es war ein Licht angezündet, wenn es oben bei uns Nacht war – Nacht, d. h. Schlaf hatten sie, wenn bei uns die Sonne schien.“

Der Erzieher macht dort unten die Nacht zum Tag. Man lebt dort also wie Ludwig II., hat also einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus. Die Sonne erlebt der Kleine nur schlafend, wenn den „verhüllten Engel“ sein Genius am Tage nach oben trägt – dass er dabei nicht aufwacht, ist ein kleines Wunder. Seltsam auch, dass er die Küsse seiner Mutter kaum bemerkt, die sie ihm ins Gesicht drückt? Rein physiologisch gefragt: Wie muss es dem Knaben rein melatoninmäßig dort unten ergehen?

Jean Paul spielt nun mit den Todesbildern, die die Romantik, die gerade erfunden wurde, schon so liebt: Gustav ähnelt einem „gestorbenen Engel“, den der schöne Jüngling auf die „Auferstehung aus seinem heiligen Grabe“ vorbereitet. Für den Kleinen soll die natürliche Welt, die er nur „sterbend“ erreichen wird, der Himmel werden; so imaginiert ihm der Erzieher die Erde, die er ihm als etwas schlechthin Größeres ausmalt. Die Vorfreude soll wohl wachsen, die Kellerexistenz soll einen Sinn bekommen, der sich dem Zögling durch die Veredelung der anderen Welt quasi post mortem offenbaren soll. Ich fürchte: das Himmelbild wird zerbrechen. Keine Erde kann dem Begriff entsprechen, den der Genius für den Knaben erfindet. Obwohl... Gustav wird sehen, wir werden sehen. Selbst im „Himmel“ muss es ja einen Platz für die Satire und die objektive Komik unserer Existenzen geben.

Den Sektor aber beendet der Erzähler mit einem gehässigen Ausklang: Es gebe, sagt er, nichts Übleres als das Gegenteil eines Hauslehrers – eine „Hausfranzösin“. Warum dies so ist, sagt er nicht [1], es ist vielleicht auch egal – aber so vereinigen sich wieder das Pathos und der – diesmal wenig witzige – Witz. Die Kontraste folgen bei Jean Paul schon sehr schnell auf dem Prosafuß.


[1] „Apropos! Ich muss es nachholen, dass es unter allen Übeln für Erziehung und für Kinder, wogegen das verschriene Buchstabieren und Wichsen golden ist, kein giftigeres, keinen ungesundern Misspickel und keinen mehr zehrenden pädagogischen Bandwurm gibt als eine – Hausfranzösin.“

Verwandte Inhalte
Autoren
Autoren