Logen-Blog [248]: Über vorläufiges Scheitern inklusive bayerischer Ergänzung
Die Residentin hat schon recht: „Die Männer können alles, aber das Leichte selten; sie wirren leichter zehn Prozesse als zehn Haare ein.“ Beata möchte sich nicht einmal ein einziges Haar einrollen lassen – es wird ihr schon beim Gedanken, dass der Fürst sie berühren könne, „physisch übel“[1]. Es ist wunderbar, wie Jean Paul diese denkbar unwunderbare Abscheu in Worte fasst: „Ihr ganzes Innere entsetzte sich vor des Fürsten Frostgesicht und stechendem Feuerblick, der (so wenig sie es deutlich dachte) die Präliminarsiege im neuen Schlosse so abzukürzen brannte, als wär' er im Palais royal.“
Präliminarsieg?? Da wünscht sich der Leser einen hilfreichen Kommentar, aber weit gefehlt. Was das Palais royal ist, muss ihm inzwischen nicht mehr erklärt werden, beim Fremdwort lässt ihn die versammelte Herausgeberschaft im Stich (haben sie vor 50 Jahren etwa angenommen, dass man wüsste, was das ist?) Also woanders nachgeschlagen: „Präliminarsieg“ könnte übersetzt werden als „vorläufiger Sieg“. Macht die Stelle Sinn? Nun ja... Entweder erringt der Fürst einen Sieg, indem er Beata sexuell überwältigt, oder er scheitert. „Vorläufig“ kann ein Sieg nur dann sein, wenn der Überwältiger voraussetzt, dass es noch nachläufig etwas zu siegen gebe, aber er interessiert sich hier ja nur für eine „kurze Liebe“, für ein Bettabenteuer. Der Wahrheit näher kommen wir, wenn wir Folgendes zur Kenntnis nehmen: Präliminarien sind „vorläufige Beratschlagungen und Verhandlungen, welche eine spätere Definitivverhandlung einleiten“. Es geht also zunächst darum, die Dame weich zu kochen.
Was nun passiert, könnte man auch filmisch auflösen; ich sehe die Szene vor mir: „Sie sah mit lebenssatter Leerheit zum Fenster in das stille Land hinaus, in dem zwei Kinder des Hofgärtners eine bunte Glaskugel herumkegelten, als der Kanarienvogel, der auf den Achseln des Fürsten wohnte und der ihn wie eine Mücke umflog, von seinem Kopf, der durch sechs Fenster von ihr geschieden war, auf ihren geflattert kam.“[2] und wenn der Fürst hineintritt und Folgendes sagt:
Bei Ihnen hat man das Schicksal, zu verlieren – aber meinem Vogel können Sie die Freiheit nicht nehmen.
– dann hat der Leser den Eindruck, dass die Figuren eine höhere Weisheit haben, als der Erzähler es ihnen zugestehen vermag. Nicht immer weiß der Erzähler alles über seine Figuren; er kann sie miesmachen – und gleichzeitig tiefer gestalten, als es je in seiner Absicht lag. Nicht, dass der Fürst jetzt zu einem „guten“ Menschen mutierte – aber allein die Tatsache, dass er die Erkenntnis äußert, dass man (er meint: er) bei ihr „verlieren“ könne, macht ihn denn doch interessant. Es mag dies auch nur eine Finte sein, ein lügenhaftes, lediglich präliminarienhaftes „Eingeständnis“ seines Scheiterns – aber sie ist, rein literarisch betrachtet, vieldeutig genug, um mich staunen zu lassen.
Der Autor sagt's denn ja auch: „Leuten seiner Art entfließet dies alles ohne Akzent; sie reden mit gleichem Tone vom Sternen- und vom Kutschen-Himmel und von der Bewegung beider“ – aber es gibt ein kleines Aber, das dafür sorgt, den Kommentar des Erzählers unter die Lupe zu nehmen.
Denn woher wissen wir, dass der Erzähler alles weiß, alles kennt, alles „objektiv“ zu beurteilen vermag? Wir wissen es nicht, wir können es nicht wissen.
Kleine bayerische Ergänzung, den Phidias betreffend
Als Ludwig Schwanthaler, der Schöpfer auch des Bayreuther Jean-Paul-Denkmals, die Bavaria entwarf, sah er zunächst eine Riesengestalt in griechischem Gewand vor. Er hat lange an der Dame herumgebastelt, hat die Attribute ausgewechselt und schließlich auch, um die bayerische Hausgöttin in den Norden zu holen, der schönen Bayerin, die auch eine schöne Münchnerin [3] ist, ein „germanisches“ Gewand angeschneidert. Es liegt auch ein Entwurf vor, der sich direkt auf eine Monumentalskulptur des Meisters bezieht, den Jean Paul in Bezug auf das (angebliche) Selbstporträt des Phidias erwähnt: die Athena Promachos.
Wie sah die Athena Promachos wohl aus? Wir wissen es nicht genau, denn auch diese Skulptur des Phidias ist zerstört worden. Leo von Klenze – der auch die ersten Entwürfe zur Bavaria zeichnete – hat sie mit erhobenem Schwert dargestellt (und so hat Schwanthaler einen „griechischen“ Entwurf zur Bavaria gezeichnet). Eine andere Rekonstruktion zeigt die Göttin an den (Athener, nicht Münchner) Prophyläen mit aufgesetztem Speer.
Ein früher Entwurf zur Bavaria: ohne Speer – aber mit griechischem Gewand und bekränztem König. Später näherte Schwanthaler seine Figur dem Phidias an, indem er die Beine versteckte, aber das linke Bein der Göttin reizvoll nach vorne winkelte, so wie wir es von Kopien der Athena Parthenos kennen.
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[1] Cosima Wagner: Tagebuch, 12. Februar 1871: „Abends bringt Richter das Gespräch auf Gounod, welches uns denn eine fürchterliche Musikliteratur durchwandern lässt, Faust, Prophet, Hugenotten, Bellini, Donizetti, Rossini, Verdi, alles hintereinander, mir wird physisch übel, ich nehme einen Band Goethe und suche Rettung. Doch nichts hilft, ich leide und leide. Richard wird es auch zu arg und bittet Richter aufzuhören, nachdem dieser ihm zu beweisen gesucht, dass Verdi nicht schlechter als Donizetti war.“
[2] Und wieder ein Beispiel für Jean Pauls Präzision – dem Gegenteil der Schwafelei.
[3] Vgl. Die schöne Münchnerin, Hrg. Von Hanns Arens, München 1969.
Logen-Blog [248]: Über vorläufiges Scheitern inklusive bayerischer Ergänzung>
Die Residentin hat schon recht: „Die Männer können alles, aber das Leichte selten; sie wirren leichter zehn Prozesse als zehn Haare ein.“ Beata möchte sich nicht einmal ein einziges Haar einrollen lassen – es wird ihr schon beim Gedanken, dass der Fürst sie berühren könne, „physisch übel“[1]. Es ist wunderbar, wie Jean Paul diese denkbar unwunderbare Abscheu in Worte fasst: „Ihr ganzes Innere entsetzte sich vor des Fürsten Frostgesicht und stechendem Feuerblick, der (so wenig sie es deutlich dachte) die Präliminarsiege im neuen Schlosse so abzukürzen brannte, als wär' er im Palais royal.“
Präliminarsieg?? Da wünscht sich der Leser einen hilfreichen Kommentar, aber weit gefehlt. Was das Palais royal ist, muss ihm inzwischen nicht mehr erklärt werden, beim Fremdwort lässt ihn die versammelte Herausgeberschaft im Stich (haben sie vor 50 Jahren etwa angenommen, dass man wüsste, was das ist?) Also woanders nachgeschlagen: „Präliminarsieg“ könnte übersetzt werden als „vorläufiger Sieg“. Macht die Stelle Sinn? Nun ja... Entweder erringt der Fürst einen Sieg, indem er Beata sexuell überwältigt, oder er scheitert. „Vorläufig“ kann ein Sieg nur dann sein, wenn der Überwältiger voraussetzt, dass es noch nachläufig etwas zu siegen gebe, aber er interessiert sich hier ja nur für eine „kurze Liebe“, für ein Bettabenteuer. Der Wahrheit näher kommen wir, wenn wir Folgendes zur Kenntnis nehmen: Präliminarien sind „vorläufige Beratschlagungen und Verhandlungen, welche eine spätere Definitivverhandlung einleiten“. Es geht also zunächst darum, die Dame weich zu kochen.
Was nun passiert, könnte man auch filmisch auflösen; ich sehe die Szene vor mir: „Sie sah mit lebenssatter Leerheit zum Fenster in das stille Land hinaus, in dem zwei Kinder des Hofgärtners eine bunte Glaskugel herumkegelten, als der Kanarienvogel, der auf den Achseln des Fürsten wohnte und der ihn wie eine Mücke umflog, von seinem Kopf, der durch sechs Fenster von ihr geschieden war, auf ihren geflattert kam.“[2] und wenn der Fürst hineintritt und Folgendes sagt:
Bei Ihnen hat man das Schicksal, zu verlieren – aber meinem Vogel können Sie die Freiheit nicht nehmen.
– dann hat der Leser den Eindruck, dass die Figuren eine höhere Weisheit haben, als der Erzähler es ihnen zugestehen vermag. Nicht immer weiß der Erzähler alles über seine Figuren; er kann sie miesmachen – und gleichzeitig tiefer gestalten, als es je in seiner Absicht lag. Nicht, dass der Fürst jetzt zu einem „guten“ Menschen mutierte – aber allein die Tatsache, dass er die Erkenntnis äußert, dass man (er meint: er) bei ihr „verlieren“ könne, macht ihn denn doch interessant. Es mag dies auch nur eine Finte sein, ein lügenhaftes, lediglich präliminarienhaftes „Eingeständnis“ seines Scheiterns – aber sie ist, rein literarisch betrachtet, vieldeutig genug, um mich staunen zu lassen.
Der Autor sagt's denn ja auch: „Leuten seiner Art entfließet dies alles ohne Akzent; sie reden mit gleichem Tone vom Sternen- und vom Kutschen-Himmel und von der Bewegung beider“ – aber es gibt ein kleines Aber, das dafür sorgt, den Kommentar des Erzählers unter die Lupe zu nehmen.
Denn woher wissen wir, dass der Erzähler alles weiß, alles kennt, alles „objektiv“ zu beurteilen vermag? Wir wissen es nicht, wir können es nicht wissen.
Kleine bayerische Ergänzung, den Phidias betreffend
Als Ludwig Schwanthaler, der Schöpfer auch des Bayreuther Jean-Paul-Denkmals, die Bavaria entwarf, sah er zunächst eine Riesengestalt in griechischem Gewand vor. Er hat lange an der Dame herumgebastelt, hat die Attribute ausgewechselt und schließlich auch, um die bayerische Hausgöttin in den Norden zu holen, der schönen Bayerin, die auch eine schöne Münchnerin [3] ist, ein „germanisches“ Gewand angeschneidert. Es liegt auch ein Entwurf vor, der sich direkt auf eine Monumentalskulptur des Meisters bezieht, den Jean Paul in Bezug auf das (angebliche) Selbstporträt des Phidias erwähnt: die Athena Promachos.
Wie sah die Athena Promachos wohl aus? Wir wissen es nicht genau, denn auch diese Skulptur des Phidias ist zerstört worden. Leo von Klenze – der auch die ersten Entwürfe zur Bavaria zeichnete – hat sie mit erhobenem Schwert dargestellt (und so hat Schwanthaler einen „griechischen“ Entwurf zur Bavaria gezeichnet). Eine andere Rekonstruktion zeigt die Göttin an den (Athener, nicht Münchner) Prophyläen mit aufgesetztem Speer.
Ein früher Entwurf zur Bavaria: ohne Speer – aber mit griechischem Gewand und bekränztem König. Später näherte Schwanthaler seine Figur dem Phidias an, indem er die Beine versteckte, aber das linke Bein der Göttin reizvoll nach vorne winkelte, so wie wir es von Kopien der Athena Parthenos kennen.
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[1] Cosima Wagner: Tagebuch, 12. Februar 1871: „Abends bringt Richter das Gespräch auf Gounod, welches uns denn eine fürchterliche Musikliteratur durchwandern lässt, Faust, Prophet, Hugenotten, Bellini, Donizetti, Rossini, Verdi, alles hintereinander, mir wird physisch übel, ich nehme einen Band Goethe und suche Rettung. Doch nichts hilft, ich leide und leide. Richard wird es auch zu arg und bittet Richter aufzuhören, nachdem dieser ihm zu beweisen gesucht, dass Verdi nicht schlechter als Donizetti war.“
[2] Und wieder ein Beispiel für Jean Pauls Präzision – dem Gegenteil der Schwafelei.
[3] Vgl. Die schöne Münchnerin, Hrg. Von Hanns Arens, München 1969.