Logen-Blog [246]: Man muss das wissen
Nein, es stimmt nicht: der Fürst weiß durchaus, was eine „lange“ Liebe ist, wenn es um die Frau von Bouse geht – doch verflocht er „eine solche Immobiliarliebe zu gleicher Zeit mit hundert kursorischen Sekunden-Ehen oder Liebschaften, und über dem schleichenden Monatzeiger der langen fixen Liebe oder Ehe wirbelte sich der fliegende Terzienweiser der abbrevierten Ehen unzähligemal um.“ Die Frau macht's ja nicht anders.
So ist Jean Paul: das moralisch Verwerfliche wird zuweilen in leichtem Ton abgehandelt, und die Kritik verbirgt sich in einer Satire, die auf federnden Füßen daherkommt – denn der Dichter weiß die Nachbildungssucht des Fürsten zu rühmen: Gleich jungen Autoren lassen junge Große ihre ersten Ebenbilder anonym oder unter geborgten Namen erscheinen. Und er findet ein Analogon in der griechischen Kunst, das mich wieder in meinen Bücherschrank, Abt. Rowohlt-Monographien, greifen lässt. Jean Paul erwähnt Phidias, den Hochberühmten, ich schaue nach und halte das wirklich gute Buch flugs in der Hand:
Tatsächlich:In der Tat geht es hierin den erhabensten Personen wie den griechischen Künstlern, die unter die schönsten Statuen, womit ihre Hand Tempel und Wege ausschmückte, ihren Vaternamen nicht setzen durften; indessen findet der pfiffige Phidias auch seine Nachahmer, der statt des Namens sein altes Gesicht an der Statue Minervens einhieb.
Phidias habe, so lese ich bei Höcker und Schneider, sein Selbstporträt am Schild der Athena Parthenos (die auf der Titelseite der Monographie zu sehen ist) angebracht. Allerdings hat sich diese Geschichte als Erfindung aus späteren Zeiten entpuppt. Man vermutete lange, dass der Steine werfende Greis der Amazonomachie – des Amazonenkampfs auf dem Schild – ihn selbst, den Schöpfer dieses gewaltigen, zwölf Meter hohen Kunstwerks darstelle, aber hier wie in der Wirkungsgeschichte des berühmtesten Bildenden Künstlers der griechischen Antike waltete der fromme Irrtum.
Als Jean Paul seinen Roman schrieb, hatte Hölderlin (in der Parallele zwischen Salomons Sprichwörtern und Hesiods Werken und Tagen) kurz zuvor das heroische Phidias-Bild seiner Zeit in die Worte gegossen:
Der erste große Künstler alle Vergangenen, und künftigen Jahrhunderte ist Phidias. Sein Ideal entsprang unmittelbar aus der schöpferischen Seele. Dieses Ideal war von jeder Schlacke frei.
Vertraute man Jean Pauls Freund Herder, so ließ sich der Künstler von Gott persönlich inspirieren, als er seinen Zeus schuf. Als Phidias seine Athena Parthenos und, kühner in der erotischen Konzeption, die Athena Areia konzipierte, wurde er vermutlich von Aphrodite herself berieselt...
Wenn „Jean Paul“ also den Sexualtrieb des Fürsten mit der Kunst eines Mannes zusammenbringt, die über die Zeiten Gültigkeit besaß, dann näherte er das griechische Ideal dem Sittenverfall seiner Zeit an. Man muss das wissen, um die groteske Komik dieser Stelle einschätzen zu können.
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Nein, es stimmt nicht: der Fürst weiß durchaus, was eine „lange“ Liebe ist, wenn es um die Frau von Bouse geht – doch verflocht er „eine solche Immobiliarliebe zu gleicher Zeit mit hundert kursorischen Sekunden-Ehen oder Liebschaften, und über dem schleichenden Monatzeiger der langen fixen Liebe oder Ehe wirbelte sich der fliegende Terzienweiser der abbrevierten Ehen unzähligemal um.“ Die Frau macht's ja nicht anders.
So ist Jean Paul: das moralisch Verwerfliche wird zuweilen in leichtem Ton abgehandelt, und die Kritik verbirgt sich in einer Satire, die auf federnden Füßen daherkommt – denn der Dichter weiß die Nachbildungssucht des Fürsten zu rühmen: Gleich jungen Autoren lassen junge Große ihre ersten Ebenbilder anonym oder unter geborgten Namen erscheinen. Und er findet ein Analogon in der griechischen Kunst, das mich wieder in meinen Bücherschrank, Abt. Rowohlt-Monographien, greifen lässt. Jean Paul erwähnt Phidias, den Hochberühmten, ich schaue nach und halte das wirklich gute Buch flugs in der Hand:
Tatsächlich:In der Tat geht es hierin den erhabensten Personen wie den griechischen Künstlern, die unter die schönsten Statuen, womit ihre Hand Tempel und Wege ausschmückte, ihren Vaternamen nicht setzen durften; indessen findet der pfiffige Phidias auch seine Nachahmer, der statt des Namens sein altes Gesicht an der Statue Minervens einhieb.
Phidias habe, so lese ich bei Höcker und Schneider, sein Selbstporträt am Schild der Athena Parthenos (die auf der Titelseite der Monographie zu sehen ist) angebracht. Allerdings hat sich diese Geschichte als Erfindung aus späteren Zeiten entpuppt. Man vermutete lange, dass der Steine werfende Greis der Amazonomachie – des Amazonenkampfs auf dem Schild – ihn selbst, den Schöpfer dieses gewaltigen, zwölf Meter hohen Kunstwerks darstelle, aber hier wie in der Wirkungsgeschichte des berühmtesten Bildenden Künstlers der griechischen Antike waltete der fromme Irrtum.
Als Jean Paul seinen Roman schrieb, hatte Hölderlin (in der Parallele zwischen Salomons Sprichwörtern und Hesiods Werken und Tagen) kurz zuvor das heroische Phidias-Bild seiner Zeit in die Worte gegossen:
Der erste große Künstler alle Vergangenen, und künftigen Jahrhunderte ist Phidias. Sein Ideal entsprang unmittelbar aus der schöpferischen Seele. Dieses Ideal war von jeder Schlacke frei.
Vertraute man Jean Pauls Freund Herder, so ließ sich der Künstler von Gott persönlich inspirieren, als er seinen Zeus schuf. Als Phidias seine Athena Parthenos und, kühner in der erotischen Konzeption, die Athena Areia konzipierte, wurde er vermutlich von Aphrodite herself berieselt...
Wenn „Jean Paul“ also den Sexualtrieb des Fürsten mit der Kunst eines Mannes zusammenbringt, die über die Zeiten Gültigkeit besaß, dann näherte er das griechische Ideal dem Sittenverfall seiner Zeit an. Man muss das wissen, um die groteske Komik dieser Stelle einschätzen zu können.