Logen-Blog [223]: Des Bloggers Nähe zum Museum
Das Zitat, in dem die Identität des Mannes Shakespeare mit seinem Werk zum Problem wird, findet seine Fortsetzung in einem Satz, in dem Plato ein zweites Mal erwähnt wird:
Aber warum nehm' ich mein weißes Papier und durchstech' es und bestreu' es mit Kohlenstaub oder Dintenpulver, um das Bild eines hohen Menschen hineinzustäuben; indes vom Himmel herab das große, nie erblassende Gemälde herunterhängt, das Plato in seiner Republik vom tugendhaften Manne aus seinem Herzen auf die Leinwand trug.
Der tugendhafte Mann: das ist der Philosoph, der – folgen wir der Politeia – als einziger weiß, was „das Gute“ ist und wie es durchzusetzen ist, und der daher einzig zur Leitung eines Staates befähigt und legitimiert ist. Ein König muss ein „echter und gründlicher“ Philosoph sein – dann erst ist er der wahre König eines wohlgeordneten, unkorrumpierbaren Staatsgebildes. Auch die Bewohner dieses Staats sollten, so Plato, Idealbürger sein, deren „Seelenteile“ ausgewogen miteinander harmonieren: Logik, Mut und Begierde dürfen sich nicht widersprechen, sondern eine Harmonie bilden, die der Weisheit des Regenten entspricht.
Mir fällt es schwer, in diesen utopistischen Pappkameraden Jean Pauls „hohen Menschen“ wiederzufinden. Nicht, dass ich die Berechtigung der Forderung nach solchen Idealgestalten der Politik ableugne – sie haben nur nichts mit Jean Pauls jenseitssüchtigen Menschen zu tun, die sich buchstäblich über ihre irdischen Mitmenschen erheben. Allein, dass auch sie, in Platos idealistischem Sinn, „hoch“ genannt werden können, macht den Vergleich einigermaßen sinnvoll. Ansonsten hat man, glaube ich, dem „hohen Menschen“ Platos nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass er nicht nur unrealistisch ist, sondern geradezu eine Diktatur der politischen Korrektheit ausübt (dem kleinen Philologen ist vielleicht noch Platos Kritik an den Dichtern vertraut). In den Nomoi hat Platon später, als er das Begrenzte seiner Staatskonzeption bemerkt hatte, eine veränderte Staatslehre entwickelt.
Ich gebe zu, dass mir die jeanpaulsche Lässigkeit gegenüber Zeiten und Zuständen, Menschen und Monaden, wesentlich näher ist als Platons strenges Denken, an dem ich, fürchte ich, seinerzeit – in meinem dritten Semester an der FU Berlin – in einem staubtrockenen Seminar[1] gescheitert bin, als ich den Phaidon mit dem Handwerk der Logik interpretieren sollte. Allein der Philosoph sollte mich nicht ganz aus den Krallen lassen: Die Beschäftigung mit ihm gipfelte in einer das Studium abschließenden Interpretation des Symposions, einem relativ simplen, schönen Dialog, der mir nicht allein aufgrund des Themas näher steht.
Angefangen hatte das alles allerdings wesentlich früher. Die Rowohlt-Monographie von Platon war die allererste (von 400), die ich kaufte, als ich noch Schüler war. Seltsam, dass es ausgerechnet der Philosoph war; es lag, glaube ich, daran, dass es ein antiker Denker war. Die griechisch-römische Antike war eines jener Gebiete, mit denen sich der Blogger schon früh befasste. Das machte: die unmittelbare Nähe zum Antikenmuseum. Es kam ihm dabei weniger auf die Philosophie an (auch wenn er eines Tages einige der fürchterlichen Schleiermacher-Übersetzungen aus der guten alten Rowohlt-Klassiker-Reihe gleichsam erbte) – eher auf die Aura, die selbst Platon damals besaß. Jean Paul wusste noch, welche Bedeutung der Denker haben konnte – wenn man sich ernsthaft auf ihn einließ.
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[1] Ich weiß nicht mehr, wie der Dozent hieß, aber dieses bestimmt: dass er die Begeisterungsfähigkeit eines leeren Schuhkartons besaß. Wie Philosophie sich anfühlen konnte, erfuhren wir in einem anderen spannenden Seminar: mit Texten von Marx und Hegel. Stichwort: Entfremdung. Hier die Emphase, dort die im Grunde geistige Ödnis – oder war ich damals einfach nicht in der Lage, die Erotik des genauen Denkens zu erspüren?
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Das Zitat, in dem die Identität des Mannes Shakespeare mit seinem Werk zum Problem wird, findet seine Fortsetzung in einem Satz, in dem Plato ein zweites Mal erwähnt wird:
Aber warum nehm' ich mein weißes Papier und durchstech' es und bestreu' es mit Kohlenstaub oder Dintenpulver, um das Bild eines hohen Menschen hineinzustäuben; indes vom Himmel herab das große, nie erblassende Gemälde herunterhängt, das Plato in seiner Republik vom tugendhaften Manne aus seinem Herzen auf die Leinwand trug.
Der tugendhafte Mann: das ist der Philosoph, der – folgen wir der Politeia – als einziger weiß, was „das Gute“ ist und wie es durchzusetzen ist, und der daher einzig zur Leitung eines Staates befähigt und legitimiert ist. Ein König muss ein „echter und gründlicher“ Philosoph sein – dann erst ist er der wahre König eines wohlgeordneten, unkorrumpierbaren Staatsgebildes. Auch die Bewohner dieses Staats sollten, so Plato, Idealbürger sein, deren „Seelenteile“ ausgewogen miteinander harmonieren: Logik, Mut und Begierde dürfen sich nicht widersprechen, sondern eine Harmonie bilden, die der Weisheit des Regenten entspricht.
Mir fällt es schwer, in diesen utopistischen Pappkameraden Jean Pauls „hohen Menschen“ wiederzufinden. Nicht, dass ich die Berechtigung der Forderung nach solchen Idealgestalten der Politik ableugne – sie haben nur nichts mit Jean Pauls jenseitssüchtigen Menschen zu tun, die sich buchstäblich über ihre irdischen Mitmenschen erheben. Allein, dass auch sie, in Platos idealistischem Sinn, „hoch“ genannt werden können, macht den Vergleich einigermaßen sinnvoll. Ansonsten hat man, glaube ich, dem „hohen Menschen“ Platos nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass er nicht nur unrealistisch ist, sondern geradezu eine Diktatur der politischen Korrektheit ausübt (dem kleinen Philologen ist vielleicht noch Platos Kritik an den Dichtern vertraut). In den Nomoi hat Platon später, als er das Begrenzte seiner Staatskonzeption bemerkt hatte, eine veränderte Staatslehre entwickelt.
Ich gebe zu, dass mir die jeanpaulsche Lässigkeit gegenüber Zeiten und Zuständen, Menschen und Monaden, wesentlich näher ist als Platons strenges Denken, an dem ich, fürchte ich, seinerzeit – in meinem dritten Semester an der FU Berlin – in einem staubtrockenen Seminar[1] gescheitert bin, als ich den Phaidon mit dem Handwerk der Logik interpretieren sollte. Allein der Philosoph sollte mich nicht ganz aus den Krallen lassen: Die Beschäftigung mit ihm gipfelte in einer das Studium abschließenden Interpretation des Symposions, einem relativ simplen, schönen Dialog, der mir nicht allein aufgrund des Themas näher steht.
Angefangen hatte das alles allerdings wesentlich früher. Die Rowohlt-Monographie von Platon war die allererste (von 400), die ich kaufte, als ich noch Schüler war. Seltsam, dass es ausgerechnet der Philosoph war; es lag, glaube ich, daran, dass es ein antiker Denker war. Die griechisch-römische Antike war eines jener Gebiete, mit denen sich der Blogger schon früh befasste. Das machte: die unmittelbare Nähe zum Antikenmuseum. Es kam ihm dabei weniger auf die Philosophie an (auch wenn er eines Tages einige der fürchterlichen Schleiermacher-Übersetzungen aus der guten alten Rowohlt-Klassiker-Reihe gleichsam erbte) – eher auf die Aura, die selbst Platon damals besaß. Jean Paul wusste noch, welche Bedeutung der Denker haben konnte – wenn man sich ernsthaft auf ihn einließ.
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[1] Ich weiß nicht mehr, wie der Dozent hieß, aber dieses bestimmt: dass er die Begeisterungsfähigkeit eines leeren Schuhkartons besaß. Wie Philosophie sich anfühlen konnte, erfuhren wir in einem anderen spannenden Seminar: mit Texten von Marx und Hegel. Stichwort: Entfremdung. Hier die Emphase, dort die im Grunde geistige Ödnis – oder war ich damals einfach nicht in der Lage, die Erotik des genauen Denkens zu erspüren?