Logen-Blog [189]: Jean Paul im Readers-Digest-Format ist nicht Jean Paul
Mann und Maus: eine Illustration aus Grandvilles Tierleben und Caspar David Friedrichs Zwei Männer am Meer.
Und nun kommt wieder eine jener köstlichen Stellen, für die man den Autor so lieben muss. Beim Eremiten (dem künstlichen) soll eine künstliche Menagerie für Stimmung sorgen: samt Eidechse und Maus. Derer hätte es allerdings nicht bedurft, da die Eremitage im Lauf der Zeiten bereits zu einer natürlichen Ruine geworden ist:
Noch lächerlicher ists, wenn man einem vernünftigen Mann weismachen will, anfangs hätte der architektonische Kammerherr ein künstlich laufendes Räderwerk mit einem Mausfell kuvertiert und papillotiert, damit die Kunst-Eidechse oben eine Korrespondenz-Maus unten hätte und so für Symmetrie hinten und vorn gesorgt wäre, hernach hätte der Herr sich der Natur genähert und über eine lebendige rennende Maus ein künstliches zweites Mausfell als Überrock und Frack gezogen, damit Natur und Kunst ineinander steckten – lächerlich!
Ich stelle mir die Maus in einem schwarzen Frack vor... warum nicht? In den Satiren Grandvilles, nach Jean Pauls Tod, spielen die Tiere, in einer uralten literarischen und bildkünstlerischen Tradition, ja quasi menschliche Rollen, lange bevor Beatrix Potter ihre entzückenden, herzerwärmenden Tierchen gezeichnet hat. Wer nun immer noch behauptet, dass Jean Paul „schwierig“ sei und dass man ja einiges bei ihm „überlesen“ könne – dem ist nicht mehr zu helfen. Der hat – pardon – nicht begriffen, was Literatur ist; zumindest hat er nicht erfasst, was das Besondere an Jean Paul ist. Hätten wir nur „verständliche“ Stellen, die in die Erzählung „hineingehören“, hätten wir alles Mögliche – nur nicht Jean Paul. Dem Vorschlag, ihn zu bearbeiten und Readers Digest-Versionen seiner Texte herzustellen, kann man nur entgegen halten: „Dann müssen Sie ihn gar nicht lesen.“[1] Dieses Besondere, man kann es, leider, nicht oft genug wiederholen, ist eben jene Fülle an Kontrasten und an sprachlich-inhaltlichem Mehrwert – dies ist auch das Prinzip der Loge, das der Dichter an Stellen wie dieser für seine Weltbeschreibung brauchte. Die Welt nämlich – seine Welt, die er sich in seinem Weltbild[2] sehr kreativ zurechtimaginierte –, die Welt, seine Welt, besteht aus dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos, aus dem physisch-metaphysischen Widerspiel von Himmel und Erde. Die Maus hat ihren winzigen Platz im All, Jean Paul zitiert beides auf einer Seite – denn „unsere zwei Freunde“, Gustav und Amandus, die wir einen Moment lang aus den Augen verloren, tauchen ein in die Natur des Parks. Nun geht es wieder um Großes: um den großen Kinderkreis, den die untergehende Sonne, genauer: das „brechende“ Sonnen-Auge „anblickt“, um die verlassene Erde.
Da ist er wieder: der Makrokosmos, in dem sich die jeanpaulschen Helden stets wiederfinden – und in dem, das ist das Schöne an Jean Paul, auch die befrackten Mäuse in ihrem Mikro- und Mäusekosmos ihren Platz haben.
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[1] Es gibt immerhin Leser, die um solche Ausgaben bitten. Heute lesen ich im Markgräflichen Morgenblatte, also im Nordbayerischen Kurier, dass viele Besucher der Literaturnacht im RW 21 nach eigener Aussage nicht Jean Paul, sondern den Stadtschreiber Volker Strübing kennen lernen wollten. Es sei ihm wirklich gegönnt – aber dieses Interesse ging voll an jener Sache und an jenem Mann vorbei, um dessentwillen die vielstündige Veranstaltung stattfand. Kein Wunder also, dass Strübings Lesungen gleichsam ausverkauft waren – während dem Originalwort Jean Pauls gelegentlich nur ein halbes Dutzend Ohren (auch Familienohren) lauschten. Von anderen Veranstaltungen ganz abgesehen, die wesentlich weniger als ein halbes Dutzend Besucher provozierten.
[2] Dies war eines der beiden Themen, die der Blogger in der Jean-Paul-Nacht im RW 21 unters schleichende Volk brachte.
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Mann und Maus: eine Illustration aus Grandvilles Tierleben und Caspar David Friedrichs Zwei Männer am Meer.
Und nun kommt wieder eine jener köstlichen Stellen, für die man den Autor so lieben muss. Beim Eremiten (dem künstlichen) soll eine künstliche Menagerie für Stimmung sorgen: samt Eidechse und Maus. Derer hätte es allerdings nicht bedurft, da die Eremitage im Lauf der Zeiten bereits zu einer natürlichen Ruine geworden ist:
Noch lächerlicher ists, wenn man einem vernünftigen Mann weismachen will, anfangs hätte der architektonische Kammerherr ein künstlich laufendes Räderwerk mit einem Mausfell kuvertiert und papillotiert, damit die Kunst-Eidechse oben eine Korrespondenz-Maus unten hätte und so für Symmetrie hinten und vorn gesorgt wäre, hernach hätte der Herr sich der Natur genähert und über eine lebendige rennende Maus ein künstliches zweites Mausfell als Überrock und Frack gezogen, damit Natur und Kunst ineinander steckten – lächerlich!
Ich stelle mir die Maus in einem schwarzen Frack vor... warum nicht? In den Satiren Grandvilles, nach Jean Pauls Tod, spielen die Tiere, in einer uralten literarischen und bildkünstlerischen Tradition, ja quasi menschliche Rollen, lange bevor Beatrix Potter ihre entzückenden, herzerwärmenden Tierchen gezeichnet hat. Wer nun immer noch behauptet, dass Jean Paul „schwierig“ sei und dass man ja einiges bei ihm „überlesen“ könne – dem ist nicht mehr zu helfen. Der hat – pardon – nicht begriffen, was Literatur ist; zumindest hat er nicht erfasst, was das Besondere an Jean Paul ist. Hätten wir nur „verständliche“ Stellen, die in die Erzählung „hineingehören“, hätten wir alles Mögliche – nur nicht Jean Paul. Dem Vorschlag, ihn zu bearbeiten und Readers Digest-Versionen seiner Texte herzustellen, kann man nur entgegen halten: „Dann müssen Sie ihn gar nicht lesen.“[1] Dieses Besondere, man kann es, leider, nicht oft genug wiederholen, ist eben jene Fülle an Kontrasten und an sprachlich-inhaltlichem Mehrwert – dies ist auch das Prinzip der Loge, das der Dichter an Stellen wie dieser für seine Weltbeschreibung brauchte. Die Welt nämlich – seine Welt, die er sich in seinem Weltbild[2] sehr kreativ zurechtimaginierte –, die Welt, seine Welt, besteht aus dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos, aus dem physisch-metaphysischen Widerspiel von Himmel und Erde. Die Maus hat ihren winzigen Platz im All, Jean Paul zitiert beides auf einer Seite – denn „unsere zwei Freunde“, Gustav und Amandus, die wir einen Moment lang aus den Augen verloren, tauchen ein in die Natur des Parks. Nun geht es wieder um Großes: um den großen Kinderkreis, den die untergehende Sonne, genauer: das „brechende“ Sonnen-Auge „anblickt“, um die verlassene Erde.
Da ist er wieder: der Makrokosmos, in dem sich die jeanpaulschen Helden stets wiederfinden – und in dem, das ist das Schöne an Jean Paul, auch die befrackten Mäuse in ihrem Mikro- und Mäusekosmos ihren Platz haben.
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[1] Es gibt immerhin Leser, die um solche Ausgaben bitten. Heute lesen ich im Markgräflichen Morgenblatte, also im Nordbayerischen Kurier, dass viele Besucher der Literaturnacht im RW 21 nach eigener Aussage nicht Jean Paul, sondern den Stadtschreiber Volker Strübing kennen lernen wollten. Es sei ihm wirklich gegönnt – aber dieses Interesse ging voll an jener Sache und an jenem Mann vorbei, um dessentwillen die vielstündige Veranstaltung stattfand. Kein Wunder also, dass Strübings Lesungen gleichsam ausverkauft waren – während dem Originalwort Jean Pauls gelegentlich nur ein halbes Dutzend Ohren (auch Familienohren) lauschten. Von anderen Veranstaltungen ganz abgesehen, die wesentlich weniger als ein halbes Dutzend Besucher provozierten.
[2] Dies war eines der beiden Themen, die der Blogger in der Jean-Paul-Nacht im RW 21 unters schleichende Volk brachte.