Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (33). Übers Autofahren

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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33

Ich habe spät Autofahren gelernt, erst mit einundzwanzig Jahren und nicht wie alle anderen mit achtzehn. Mit achtzehn habe ich mir das Leben gerettet, mit einundzwanzig die Freiheit.

Ich war eine schlechte Fahrschülerin, bin einmal durch die Fahrprüfung gefallen, weil ich aufgrund meiner Rechts-Linksschwäche an der falschen Stelle links statt rechts abgebogen bin – und das dann auch noch eine Einwohnerstraße war. Der Anfang war also nicht so gut. Aber dann.

Mit Ende zwanzig habe ich einen alten Opel Corsa vermacht bekommen, er war schon sehr alt, aber er fuhr noch gut, und mit dem habe ich Autofahren wirklich gelernt und geliebt. Dem Auto konnte nicht viel passieren, ist aber auch nie etwas passiert. Ich habe alles mit ihm gemacht, auch Rennen gefahren auf Straßen, auf denen man das nicht durfte, mitten in der Stadt zum Beispiel, auf der Autobahn natürlich auch. Ich war Ende zwanzig und benahm mich im Auto wie eine Achtzehnjährige: Das war nicht so gut, in der Rückschau. Klar. Aber ich muss sagen: Es war ziemlich schön.

Eineinhalb Jahrzehnte lang fuhr ich sehr gerne Auto, ich hatte sogar mal ein richtig schönes, gebraucht gekauft. Einen kleinen Lancia Ypsilon mit Ledersitzen, Lederlenkrad und hundert PS: Ich habe ihn geliebt; aber irgendwann hatte ich kein Geld mehr, um ihn zu fahren. Da war ich schon nach München gezogen.

Als er verkauft war, hat sich meine Wahrnehmung für Autos und Autofahren sehr verändert. Oder vielleicht hat auch die Stadt meine Wahrnehmung für Autos verändert, oder vielleicht war es auch meine Arbeit, oder vielleicht auch die Möglichkeit, die meisten Strecken, wenn nicht zu Fuß, dann doch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus allem: weil man im Auto nicht arbeiten kann, fahre ich lieber Zug. So.

 

Wir haben ein Auto, um von der Stadt aufs Land zu kommen. Und dafür mag ich das Auto sehr. Nicht wegen des Autos und nicht wegen des Fahrens, sondern weil man im Auto, wenn man nicht sofort wieder aussteigen muss, sehr toll Radiofeatures, Essays und Hörspiele hören kann. Das Auto wird dann plötzlich so ein Hörraum, in dem sich Geschichten zutragen, in dem Menschen anfangen zu leben, in dem es ein Leben gibt, von dem man zuvor noch nicht gehört hat. Ein Leben, das man zuerst einmal übers Ohr wahrnimmt. Ein Radiofeature im Auto hören und dann noch zu zweit ist, wenn es gut ist, mindestens so toll, wie zu zweit im Kino zu sitzen. Draußen die Straße, der Verkehr, die Landschaft, und drinnen eine vollkommen andere Welt, mit der man sich verbindet, und man hört und hört. Und dann denkt man nach. Also wir machen das so. Wir hören ein Feature und wenn das Feature zu Ende ist, beginnt noch einmal etwas sehr Schönes: auch im Auto noch, weil Radiofeatures im Normalfall nur 55 Minuten dauern und Hörspiele auch – und wir für unsere Fahrt zwischen Stadt und Land immer eineinhalb Stunden wenigstens brauchen: Dann beginnt das Sprechen, die Analyse, das Abwägen, was gut war, was stark war, und warum und wie gemacht, oder eben auch nicht: Nein! Wenn wir ein Feature nicht gut finden, und meistens sind wir uns da einig, dann schalten wir nach fünfzehn Minuten ab. Wir hören also im Auto nur gute Radiofeatures, gute Hörspiele, gute Essays. Wir lieben das so sehr wie das Sprechen darüber. Nur deshalb noch finde ich Autofahren manchmal ziemlich in Ordnung.

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