Schullektüre und Junges Lesen (15). Von Leander Steinkopf
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Slata Roschal (*1992), geboren in Sankt Petersburg, aufgewachsen in Schwerin, Studium in Greifswald, Promotion in München. Von ihr erschienen sind die Lyrikbände Wir verzichten auf das gelobte Land (Reinecke & Voß 2019) und Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus (hochroth 2021) sowie der lyrische Roman 153 Formen des Nichtseins (homunculus 2022), mit dem sie 2022 für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der gerade bei Claassen erschienenen Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation.
Mit der folgenden neunteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
Wie kamst Du zum Schreiben?
Geschrieben habe ich schon als Kind, in der Grundschule las ich der Klasse meine Texte vor, ich weiß aber nicht, was der Auslöser dafür gewesen ist.
Wann und wodurch entstand Dein Interesse für Literatur?
Ich glaube, dass meine Eltern mir in den ersten Jahren viel vorgelesen haben, und später verbrachte ich viel Zeit hinter Büchern und in der Schweriner Bibliothek. Vielleicht lag es daran, dass meine Kindheit und Jugend ziemlich asketisch gewesen ist und Literatur mir das geben konnte, was ich brauchte, alternative Welten, Witz, Unterhaltung, Trost, ich war ein ernstes und in mich vertieftes Kind.
Was kann Literatur, was Serien und Filme nicht können?
Lesen ist ja meist ein einsamer Vorgang und ein intellektueller, das Dekodieren der Schriftzeichen, der Wörter und kulturellen Zusammenhänge, das findet, denke ich, bei Literatur intensiver statt bzw. das Lesen strengt deutlich mehr an und fordert heraus.
Hast Du als Schülerin gern gelesen?
Ich habe Bücher verschlungen, ja, heute lese ich nicht mal ansatzweise so viel.
Hat Dir Schullektüre im Leben weitergeholfen?
Die Frage ließe sich, denke ich, eher auf Fächer wie Mathematik oder Chemie beziehen; Literatur soll ja gar nicht weiterhelfen, beruflich voranbringen oder sonst was, wozu, das hat sie nicht nötig.
Gab es ein Buch, welches Du in der Schulzeit gelesen hast, das Dich in besonderer Weise geprägt hat?
Das eine Buch gab es so nicht, dafür las ich querbeet alles, was mir in die Hände kam – wobei, Verbrechen und Strafe [aka Schuld und Sühne von Fjodor M. Dostojewskij, Anm. d. Red.] vielleicht, da war so viel von dem, was mich interessierte, das Dunkle, Zurückgezogene, ununterbrochen Redende, die ganzen psychologischen Spielchen und dabei eine Achtung gegenüber den Figuren, die ein Recht auf ihre Meinung hatten.
Wenn Du Deutschlehrerin wärst, welches Buch würdest Du deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Ich würde generell mehr Lyrik in den Unterricht einbauen, moderne Lyrik, würde versuchen, Schriftsteller einzuladen, junge literarische Veranstaltungen mit der Klasse besuchen und irgendwie mehr Freude, Spontanität reinbringen, also weg vom Interpretieren hin zum lustvollen Lesen.
Warst Du eine gute Schülerin?
Ja, total. Ich bin froh darüber, dass ich mir jetzt mehr Fehler und Faulheit erlaube.
Welches Buch würdest Du heute Deinem jugendlichen Ich empfehlen?
Harry Potter – wenn ich es damals gelesen hätte, wäre meine Teenagerzeit vielleicht viel fröhlicher und selbstbewusster gewesen, das meine ich ernst.
Wurde in Deiner Familie viel gelesen?
Ja, schon, das hat vielleicht etwas mit dem Bild der Petersburger Intelligenzija zu tun, also der gebildeten, belesenen, meist auch armen und ums Überleben kämpfenden Stadtbevölkerung, die ihre Klassiker verehrt und für die russische Kultur einsteht. Das hat einen Charme, andererseits versuche ich davon wegzukommen und kritischer, analytischer zu lesen, mir keine Heiligen aufzubauen.
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Iphigenie auf Tauris, das war ätzend. Der zweite Teil vom Faust und Andorra von Max Frisch.
Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Büchners Woyzeck hat mich ziemlich mitgenommen, aber auch Trakl und Benn.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Schwierige Frage, weil sie voraussetzt, dass es diese Trennung gibt, „das Leben“ und „die Literatur“, für mich gibt es diese Trennung nicht ganz, weil ich mich den Großteil des Tages mit Literatur beschäftige und damit mein Geld verdiene, und da überhaupt das Meiste, aus dem unser Leben besteht, sprachlicher Natur ist. Auf jeden Fall verleiht Literatur allem einen Sinn, selbst den ungerechtesten und schrecklichsten Dingen, selbst jeder Dummheit verleiht sie irgendwie einen Wert, und ich habe weniger Angst vor all dem, was passieren kann mit mir, mit den Menschen um mich, weil ich sie zur Hand habe, ja.
Slata, danke Dir für das Interview!
Schullektüre und Junges Lesen (15). Von Leander Steinkopf>
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Slata Roschal (*1992), geboren in Sankt Petersburg, aufgewachsen in Schwerin, Studium in Greifswald, Promotion in München. Von ihr erschienen sind die Lyrikbände Wir verzichten auf das gelobte Land (Reinecke & Voß 2019) und Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus (hochroth 2021) sowie der lyrische Roman 153 Formen des Nichtseins (homunculus 2022), mit dem sie 2022 für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der gerade bei Claassen erschienenen Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation.
Mit der folgenden neunteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
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Wie kamst Du zum Schreiben?
Geschrieben habe ich schon als Kind, in der Grundschule las ich der Klasse meine Texte vor, ich weiß aber nicht, was der Auslöser dafür gewesen ist.
Wann und wodurch entstand Dein Interesse für Literatur?
Ich glaube, dass meine Eltern mir in den ersten Jahren viel vorgelesen haben, und später verbrachte ich viel Zeit hinter Büchern und in der Schweriner Bibliothek. Vielleicht lag es daran, dass meine Kindheit und Jugend ziemlich asketisch gewesen ist und Literatur mir das geben konnte, was ich brauchte, alternative Welten, Witz, Unterhaltung, Trost, ich war ein ernstes und in mich vertieftes Kind.
Was kann Literatur, was Serien und Filme nicht können?
Lesen ist ja meist ein einsamer Vorgang und ein intellektueller, das Dekodieren der Schriftzeichen, der Wörter und kulturellen Zusammenhänge, das findet, denke ich, bei Literatur intensiver statt bzw. das Lesen strengt deutlich mehr an und fordert heraus.
Hast Du als Schülerin gern gelesen?
Ich habe Bücher verschlungen, ja, heute lese ich nicht mal ansatzweise so viel.
Hat Dir Schullektüre im Leben weitergeholfen?
Die Frage ließe sich, denke ich, eher auf Fächer wie Mathematik oder Chemie beziehen; Literatur soll ja gar nicht weiterhelfen, beruflich voranbringen oder sonst was, wozu, das hat sie nicht nötig.
Gab es ein Buch, welches Du in der Schulzeit gelesen hast, das Dich in besonderer Weise geprägt hat?
Das eine Buch gab es so nicht, dafür las ich querbeet alles, was mir in die Hände kam – wobei, Verbrechen und Strafe [aka Schuld und Sühne von Fjodor M. Dostojewskij, Anm. d. Red.] vielleicht, da war so viel von dem, was mich interessierte, das Dunkle, Zurückgezogene, ununterbrochen Redende, die ganzen psychologischen Spielchen und dabei eine Achtung gegenüber den Figuren, die ein Recht auf ihre Meinung hatten.
Wenn Du Deutschlehrerin wärst, welches Buch würdest Du deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Ich würde generell mehr Lyrik in den Unterricht einbauen, moderne Lyrik, würde versuchen, Schriftsteller einzuladen, junge literarische Veranstaltungen mit der Klasse besuchen und irgendwie mehr Freude, Spontanität reinbringen, also weg vom Interpretieren hin zum lustvollen Lesen.
Warst Du eine gute Schülerin?
Ja, total. Ich bin froh darüber, dass ich mir jetzt mehr Fehler und Faulheit erlaube.
Welches Buch würdest Du heute Deinem jugendlichen Ich empfehlen?
Harry Potter – wenn ich es damals gelesen hätte, wäre meine Teenagerzeit vielleicht viel fröhlicher und selbstbewusster gewesen, das meine ich ernst.
Wurde in Deiner Familie viel gelesen?
Ja, schon, das hat vielleicht etwas mit dem Bild der Petersburger Intelligenzija zu tun, also der gebildeten, belesenen, meist auch armen und ums Überleben kämpfenden Stadtbevölkerung, die ihre Klassiker verehrt und für die russische Kultur einsteht. Das hat einen Charme, andererseits versuche ich davon wegzukommen und kritischer, analytischer zu lesen, mir keine Heiligen aufzubauen.
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Iphigenie auf Tauris, das war ätzend. Der zweite Teil vom Faust und Andorra von Max Frisch.
Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Büchners Woyzeck hat mich ziemlich mitgenommen, aber auch Trakl und Benn.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Schwierige Frage, weil sie voraussetzt, dass es diese Trennung gibt, „das Leben“ und „die Literatur“, für mich gibt es diese Trennung nicht ganz, weil ich mich den Großteil des Tages mit Literatur beschäftige und damit mein Geld verdiene, und da überhaupt das Meiste, aus dem unser Leben besteht, sprachlicher Natur ist. Auf jeden Fall verleiht Literatur allem einen Sinn, selbst den ungerechtesten und schrecklichsten Dingen, selbst jeder Dummheit verleiht sie irgendwie einen Wert, und ich habe weniger Angst vor all dem, was passieren kann mit mir, mit den Menschen um mich, weil ich sie zur Hand habe, ja.
Slata, danke Dir für das Interview!