Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (24). Und hätte gern einen Raum, um die Natur von Lebensmitteln zu verstehen

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sechs Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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24

Das ist ein Bild vom Bild. Genauer ein Bildschirmfoto von einem Post, das das Spitzenrestaurant aus Kopenhagen, NOMA, auf Insta geteilt hat, neulich. Ich habe es nicht abfotografiert, damit ich es hier teilen kann, sondern weil ich sofort gedacht habe, so einen Raum hätte ich auch gerne, in dem ich Blüten und Früchte, die man essen kann, zum Trocknen aufhängen kann. Ihnen dabei zusehen, wie sie das Wasser verlieren, wie sie zusammenschrumpeln, ob die Farbe nachlässt? Am liebsten würde ich den Leuten vom NOMA schreiben, dass sie doch jetzt bitte nochmals ein Foto machen sollen, von diesem Pflanzenmobile, das es ja ist, damit ich sehen kann, wie ein bei perfekter Temperatur und Lufttrockenheit geschrumpelter Fenchel altert und wie er sich dabei verändert, weil ich sehen möchte, ob die Blüten und Gemüse ihre Form und Farbe dann bewahren, wie sich die Blütenblätter, die Stängel verhalten, all so was. Das Interessante ist ja, dass – macht man es perfekt – dabei der Geruch und der Geschmack erhalten bleiben. Ich möchte allzu gerne genau wissen wie.

Früher, als Kind, habe ich immer Blüten und Gräser gepresst und neulich in Griechenland habe ich auch das Blütenblatt einer Bougainville aufgehoben und hinten in mein Buch, das ich gerade las, hineingelegt. Es ist getrocknet, die Farbe hat aber ihre Leuchtkraft verloren, so wie auch früher die getrockneten Blüten und Blätter.

Alleine um zu wissen, nein, zu erleben, wie das gelingt, dass die Farbe und das Leuchten der Blüten und Früchte und Gemüse erhalten bleibt, würde ich sehr gerne täglich ein Foto machen, von diesem Pflanzenmobileraum, ich würde die Temperatur messen wollen, die Luftfeuchtigkeit, ich würde gerne in die Kunde der Haltbarmachung von essbaren Blüten eingeführt werden. Blüten dry age. Oder Fenchel dry age. Heißt das dann wahrscheinlich. Vielleicht aber auch nicht.

Und könnte ich mir etwas aussuchen, was ich für ein Jahr machen möchte, ohne dass es um Geld geht, also, hätte ich genug Geld, um einfach mal ein Jahr NICHTS ZU MÜSSEN, dann würde ich wahnsinnig gerne in solchen Läden, also Restaurants –

wie dem NOMA und René Redzepi, oder im Nürnberger Etz, wo Felix Schneider streng nach Jahreszeiten arbeitet und sehr viel fermentiert wird, oder dem Ernst in Berlin, wo der kanadische Koch Dylan Watson-Brawn bei jedem einzelnen Produkt, vom Saatgut über den Boden, bis zur Ernte alles bedenkt und ihm alles abgewinnen will, was ihm eigen ist, oder in Tokyo beim Nihonryori RyuGin

einfach nur hospitieren. Damit ich die Natur in Form von LEBENSmitteln, und was man aus ihnen machen kann, wirklich verstehe. Und zwar bis ins kleinste Detail. Das wäre schön.

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