Christine Hannig und die Bibliothek der Monacensia – Literarische Erkundungen (4)
Wenn jemand weiß, wo etwas sein könnte, das nicht mehr da steht, wo es eigentlich stehen sollte, dann ist das Christine Hannig. Das gilt zumindest für die Bücher und sonstigen Medien in der Monacensia-Bibliothek. Fast vierzig Jahre ist Christine Hannig dort Bibliothekarin. Mit ihr spricht Katrin Diehl für ihre literarischen Erkundungen.
*
Christine Hannig ist seit Jahrzehnten Bibliothekarin in der Monacensia
Sie ist die Bibliothekarin mit der vielen Erfahrung. Fast vierzig Jahre Monacensia muss man erst einmal hinbekommen. Wenn man sich mit Christine Hannig unterhält, denkt man, dass man das schon viel früher einmal hätte tun sollen. Man hätte sie zu allem Möglichen fragen können, beinahe zu allem, was sich unter dem Walmdach in den letzten Jahrzehnten so getan hat (und dabei recht egoistisch ignorierend, dass sie eine ziemlich beschäftigte Frau ist). Und man lässt sich das eine Lehre sein. Und natürlich hält Christine Hannig auch Anekdoten bereit, wie das eben so ist, wenn sich über die Zeit hinweg ein Quäntchen feine Gelassenheit wie kluge Leichtigkeit einstellen. Und die trägt sie deshalb auch sehr heiter, sehr zugewandt, sehr amüsiert vor („Ach, da fällt mir noch etwas ein ...“ etc. etc.).
Selbstverständlich sitzt Christine Hannig nicht nur hinter der Auskunftstheke und gibt Bücher aus. Das tut sie auch und unwichtig ist das nicht, weil sie da Menschen mit Fragen, großen und sehr, sehr kleinen, weiterhilft. Christine Hannig ist ebenso an Überlegungen und Entscheidungen die Monacensia-Bibliothek betreffend beteiligt. Denn die Bibliothek im Hildebrandhaus ist fest ins Programm der gesamten Monacensia mit eingebunden.
„Da Veranstaltungen und Ausstellung aus unseren Beständen hervorgehen und geplant und bestückt werden, sind wir natürlich auch immer mitbeteiligt“, sagt sie.
Die Monacensia – das Erbe Hans Ludwig Helds
Christine Hannig weiß Bescheid über die Bestände im Haus, die Historie des Hauses, die Münchner Literaturlandschaft („da muss man up to date sein, keinen Geburtstag verpassen, keine Neuerscheinung übersehen“). Und sie geht seit Jahrzehnten sozusagen täglich durch die Gänge, Räume, das wendelnde dunkle Treppenhaus, und es ist anzunehmen, dass auch so etwas prägt und eine Art detektivischen Blick entstehen lässt.
Gegründet wurde die Monacensia-Bibliothek 1921 und zwar von dem Kulturtausendsassa Hans Ludwig Held (1885-1954) mit dem Ziel – und darin unterscheidet sie sich bis heute von den anderen Filialen der Münchner Stadtbüchereien –, an diesem Ort ganz systematisch Bücher über München oder geschrieben von Münchner Autor*innen zusammenzuführen, was durchaus ein weites Feld auftut: So liegen dort zum Beispiel auch seltene Exemplare mit Autorenschaft Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe bereit, obwohl der mit München eigentlich nicht groß etwas zu tun hat, weil sich in ihnen aber eben Illustrationen von namhaften Münchner Künstlern finden lassen.
„Was das anbelangt – die Konzentration aufs Münchnerische –, da war man früher wahrscheinlich ein bisschen strenger als heute, aber das ist ja auch das Positive an der heutigen Zeit, dass man alles globaler sieht und denkt“, sagt Christine Hannig, die sich zumindest gefühlt noch sehr mit dem tadellosen bis kuriosen Hans Ludwig Held verbunden sieht.
Zum Beispiel, wenn wir jetzt mit der Ausstellung ‚Frei leben! Die Frauen der Boheme. 1890–1920‘ das Thema Schwabinger Bohème im Hause haben, da einige wichtige schreibende Frauen, Autorinnen, und deren Lebenssituation im Spiegel der Gesellschaft und der Zeit vorstellen ... Auch hier waren wir natürlich an der Materialbeschaffung beteiligt, und da geht es dann eben auch ganz allgemein um Frauenrechte und auch darum, wie die sich historisch entwickelt haben. Und dann nehme ich auch mal ein Buch dazu, das zeigt, wie es um diese Entwicklung deutschlandweit bestellt war.
Foto: Katrin Diehl
Außerdem zeigt sich Christine Hannig „natürlich“ offen für Buchtitel von Menschen in der Stadt, „die hier Asyl gefunden haben, die von irgendwoher kommen, Migrantinnen, Migranten“.
Auch bestimmte Nachschlagewerke gehören zu den heutigen Selbstverständlichkeiten in der Monacensia, weil sich in denen ja oft auch etwas Münchenrelevantes, das Münchner literarische Leben Betreffende („Oh! Die Manns!“) finden lässt.
Pflanzen- und Wappenbücher und christliche Schriften
In der Monacensia lässt sich die Historie der Stadt entlang von Büchern kennenlernen, fast erfahren. Denn irgendwann – und das hat mit dem Alter der Quellen zu tun – berichten Texte nicht mehr nur über etwas, sondern sind durch ihren „Auftritt“ selbst Teil dieses Etwas geworden, repräsentieren es. In der Monacensia liegen alte Drucke, die bis ins Jahr 1500 zurückgehen. „Sie haben zwar inhaltlich nicht unbedingt etwas mit München zu tun, kamen aber wohl deshalb ins Haus, weil früher viele berühmte Druckereien in München waren und später auch viele Verlage ihren Sitz in München hatten. So findet man in unserem Bestand auch Bücher über Pflanzen und Wappen und die unterschiedlichsten christlichen Schriften“, erklärt Christine Hannig.
Bekommt man solche Schätze zu Gesicht, verwandelt sich die Bibliothek in ein Museum und man selbst in eine geschätzte Besucherin. Ausleihen geht natürlich, was diese sehr alten Raritäten anbelangt, gar nicht, ansehen schon. Und dann teilt man sich die Räumlichkeiten mit den Menschen, die sich aus dem Literaturarchiv der Monacensia etwas haben bringen lassen und bekommt dann die feinen Handschuhe zum Blättern und Wenden dezent mitgereicht.
Auch das Literaturarchiv der Monacensia ist eine Gründung Hans Ludwig Helds und zwar aus dem Jahr 1924. Den Anfang machte Helds „Autographensammlung“, Handschriftensammlung, für die er erst einmal eine Unmenge an Briefen an die Literaturschaffenden der Stadt versendet hat mit der Bitte, dem Haus doch Manuskripte zu schenken. Hat überraschend gut funktioniert ...
Die Verwaltung, das Ordnen von Dingen zum Nutzen von Interessierten, erlangt dann eine zusätzliche Qualität wie Dimension, wenn es bei dieser Verwalterin, Ordnerin eine Art – sagen wir mal – emotionales Verhältnis zu eben diesen verwalteten Dingen gibt, die ja im Grunde nicht mehr sind als Papier, so oder so geschöpft, so oder so gebunden, so oder so bedruckt. Und das hat natürlich mit Interesse zu tun.
Ich wollte zum Beispiel in den Münchner Tageszeitungen im Original nachlesen, wie über den Ausbruch der Französischen Revolution berichtet wurde oder über den Vulkanausbruch des Krakataus im Jahr 1883. Und das ist eben möglich, weil wir die Zeitungen auch aus dieser Zeit im Original haben. Und es ist so ein tolles Gefühl, die zum Teil sehr gut erhaltenen Ausgaben in den Händen zu halten. Auch weil ich dann immer denke, wer hatte die denn schon vor mir alles aufgeschlagen.
Endlich: Die Familie Mann!
Gerade recherchierte Christine Hannig auf Anfrage, und eben auch das gehört zum Geschäft, zur Bücherverbrennung 1933 auf dem Münchner Königsplatz. „Wir gehen die Tageszeitungen von damals durch in der Hoffnung, dass wir auch einmal eine Gegenstimme finden, also einen Text, der das nicht gut fand“, sagt Christine Hannig und auch, dass ihre Hoffnung nicht wirklich erfüllt wurde. „Alles war schon umgedreht, alles schon gleichgeschaltet.“ Da macht das Lesen irgendwann keinen Spaß mehr und muss trotzdem sein, weil es eben war, wie es war.
Prachtband von Alfred Pringsheim, dem Schwiegervater von Thomas Mann. Foto: Katrin Diehl
Christine Hannig hat extra einen Prachtband bereitgelegt. Und endlich sind wir, immerhin 23 Minuten nach Gesprächsbeginn, bei der Familie Mann. Er ist groß, er ist schwer und er ist ein wunderbares Zeugnis. In dickes Leder gebunden gehörte er einst Alfred Pringsheim (1850-1941), dem Schwiegervater von Thomas Mann, der ja mit Katia in eben diese Münchner Familie Pringsheim hineingeheiratet hatte. „Alfred Pringsheim war ein großer Kunstliebhaber und Kunstsammler“, erklärt Christine Hannig. Und gesammelt hat er zum Beispiel auch Majolika, bunt bemalte, glasierte italienische Keramik des 15. und 16. Jahrhunderts. Farbtafeln halten diese Sammlung in dem großformatigen Band aus dem Jahr 1914 fest.
Die Monacensia-Bibliothek, im ersten Stock des Hildebrandhauses gelegen, besteht, neben dem Ausleihbereich, aus noch drei weiteren Themenräumen, Freihandbibliotheken, mit je ungefähr 1.000 Büchern: Im ehemaligen Damenatelier steht unsere „München-Bibliothek“, in den beiden anderen Räumen befinden sich die „Bibliothek Münchner Autorinnen und Autoren“ und die „Bibliothek Familie Mann“. Ohne die Manns geht hier nichts.
Thomas Mann hat im Übrigen auch auf die ziemlich direkte Anfrage Hans Ludwig Helds nach etwas Originalem reagiert und dem Haus das handschriftliche Manuskript seines einzigen Dramas Fiorenza, das 1907 im Frankfurter Schauspielhaus uraufgeführt worden war, geschenkt. Alfred Kerr vernichtete damals das Stück in seiner Kritik, was man allerdings nicht ganz so hoch hängen darf, weil die beiden Herren Kerr und Mann sich aus den unterschiedlichsten Gründen überhaupt nicht leiden konnten. Einfluss hatte diese Kritik natürlich trotzdem. Egal. Original bleibt Original und das liegt in der Monacensia.
Christine Hannig ist seit 1984 im Haus. Sie hat einiges an Veränderungen mitbekommen, „das letzte große Kapitel war da der Umbau“, der 2013 bis 2015 stattgefunden hat. Die Leitungen „kamen und gingen“, sagt sie, spricht von vier Vorgesetzten und „natürlich von vielen Kolleginnen und Kollegen“, die sie über die Jahre kennengelernt hat. Auch den Prozess der Digitalisierung habe sie voll und ganz miterlebt, sagt sie, gesteht aber auch mit einem einnehmenden Lächeln, dass sie „ein bisschen in der Zeit davor hängengeblieben“ sei. „Ich bin froh über jede neue Kollegin, die das besser kann als ich, für mich bleibt ja genug anderes zu tun.“
Ein gewisser Ordnungssinn wäre nicht schlecht
Und wie fing alles so an? Wie rutschte sie in den Beruf der Bibliothekarin? Auf der Suche nach „etwas mit Büchern“ und auch nach etwas, „bei dem man nicht Probleme mit nach Hause nehmen muss“, hat Christine Hannig ihre Ausbildung zur wissenschaftlichen Diplom-Bibliothekarin in der Bayerischen Staatsbibliothek gemacht, hat nach einer richtig happigen Aufnahmeprüfung mit Hunderten von Mitbewerber*innen von 1979 bis 1982 die Beamtenfachhochschule besucht, da den Zweig für Bibliothekswesen. Schwerpunkte waren Bibliographieren und Katalogisieren. Die Ausbildung dauerte damals drei Jahre – „zwei Jahre Theorie, ein Jahr praktisch“ mit immer wechselnden Praktika in unterschiedlichen Bibliotheken und Abteilungen“, und da „sieht man dann zum Beispiel auch, wie Blattgold gemacht und dann aufgetragen wird“.
Auf die Frage, was eine Bibliothekarin mitbringen sollte, antwortet Christine Hannig sehr schnell: „einen gewissen Ordnungssinn“. Und dann lacht sie.
Weil, eigentlich bin ich eine ziemliche Chaotin, aber einiges muss ich einfach ordnen, und dazu gehören eben auch Bücher und alles andere, was zum Bibliotheksbestand gehört und bei Nachfrage gefunden werden muss.
Foto: Tanja Praske
Das schlimmste Szenario für eine Bibliothekarin sei es, „etwas nicht zu finden, von dem man weiß, dass es vorhanden sein muss“. Und deshalb habe man ein Gefühl dafür zu entwickeln, sagt sie, und jetzt wird's interessant, dass, wenn etwas verstellt wurde, sich in die Person, die etwas verstellt hat, hineinzudenken, zu wissen, wie die so drauf ist, „welchen Zahlendreher sie eventuell gemacht hat“. Und darin sei sie mittlerweile auch richtig gut. Überhaupt das Suchen und Finden. „Man kann unmöglich wissen, wo alles steht oder was in den Büchern alles so drinsteht, aber man muss einen Weg finden, fündig zu werden“, sagt Christine Hannig. Den Bestand der Bibliothek gibt sie mit 150.000 Medien an, Bücher, CDs, Kassetten ... Gibt es darunter auch etwas Verrücktes? „Mein Kampf in Blindenschrift in fünf Bänden“, antwortet Christine Hannig ziemlich schnell und staunt immer noch. Das Buch wurde allerdings „nachträglich“ gemacht, damit auch blinde Menschen sich wissenschaftlich mit dieser Zeit beschäftigen können.
Der Jahresetat für den Büchereinkauf und vieles mehr, mit dem Christine Hannig jonglieren darf, bemisst sich auf ungefähr 30.000 Euro. „Aber wir bekommen ja auch, Gott sei Dank, immer wieder einiges geschenkt“, sagt sie. „Pro Jahr kommen circa 2.000 neue Medien dazu, davon vielleicht ein Viertel als Geschenk.“ Das Interesse der Kundschaft für alte Stadtadressbücher bleibt ungebrochen, „man sucht da gerne, wo hat meine Familie damals gewohnt und so“. Was Christine Hannig total nachvollziehen kann. Adressen sind wichtig, Orte sind wichtig, Erinnerungen sind wichtig. Christine Hannig geht nächstes Jahr in den Ruhestand. Tür zu. Tür auf.
Mein Name ist Katrin Diehl, ich bin Journalistin und Autorin, gehöre dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen an und für die Monacensia habe ich etwas übrig.
Die „literarischen Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen immer am ersten Dienstag eines Monats. Alle Folgen der Kolumne finden Sie im Journal unter Reihen & Kolumnen.
Christine Hannig und die Bibliothek der Monacensia – Literarische Erkundungen (4)>
Wenn jemand weiß, wo etwas sein könnte, das nicht mehr da steht, wo es eigentlich stehen sollte, dann ist das Christine Hannig. Das gilt zumindest für die Bücher und sonstigen Medien in der Monacensia-Bibliothek. Fast vierzig Jahre ist Christine Hannig dort Bibliothekarin. Mit ihr spricht Katrin Diehl für ihre literarischen Erkundungen.
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Christine Hannig ist seit Jahrzehnten Bibliothekarin in der Monacensia
Sie ist die Bibliothekarin mit der vielen Erfahrung. Fast vierzig Jahre Monacensia muss man erst einmal hinbekommen. Wenn man sich mit Christine Hannig unterhält, denkt man, dass man das schon viel früher einmal hätte tun sollen. Man hätte sie zu allem Möglichen fragen können, beinahe zu allem, was sich unter dem Walmdach in den letzten Jahrzehnten so getan hat (und dabei recht egoistisch ignorierend, dass sie eine ziemlich beschäftigte Frau ist). Und man lässt sich das eine Lehre sein. Und natürlich hält Christine Hannig auch Anekdoten bereit, wie das eben so ist, wenn sich über die Zeit hinweg ein Quäntchen feine Gelassenheit wie kluge Leichtigkeit einstellen. Und die trägt sie deshalb auch sehr heiter, sehr zugewandt, sehr amüsiert vor („Ach, da fällt mir noch etwas ein ...“ etc. etc.).
Selbstverständlich sitzt Christine Hannig nicht nur hinter der Auskunftstheke und gibt Bücher aus. Das tut sie auch und unwichtig ist das nicht, weil sie da Menschen mit Fragen, großen und sehr, sehr kleinen, weiterhilft. Christine Hannig ist ebenso an Überlegungen und Entscheidungen die Monacensia-Bibliothek betreffend beteiligt. Denn die Bibliothek im Hildebrandhaus ist fest ins Programm der gesamten Monacensia mit eingebunden.
„Da Veranstaltungen und Ausstellung aus unseren Beständen hervorgehen und geplant und bestückt werden, sind wir natürlich auch immer mitbeteiligt“, sagt sie.
Die Monacensia – das Erbe Hans Ludwig Helds
Christine Hannig weiß Bescheid über die Bestände im Haus, die Historie des Hauses, die Münchner Literaturlandschaft („da muss man up to date sein, keinen Geburtstag verpassen, keine Neuerscheinung übersehen“). Und sie geht seit Jahrzehnten sozusagen täglich durch die Gänge, Räume, das wendelnde dunkle Treppenhaus, und es ist anzunehmen, dass auch so etwas prägt und eine Art detektivischen Blick entstehen lässt.
Gegründet wurde die Monacensia-Bibliothek 1921 und zwar von dem Kulturtausendsassa Hans Ludwig Held (1885-1954) mit dem Ziel – und darin unterscheidet sie sich bis heute von den anderen Filialen der Münchner Stadtbüchereien –, an diesem Ort ganz systematisch Bücher über München oder geschrieben von Münchner Autor*innen zusammenzuführen, was durchaus ein weites Feld auftut: So liegen dort zum Beispiel auch seltene Exemplare mit Autorenschaft Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe bereit, obwohl der mit München eigentlich nicht groß etwas zu tun hat, weil sich in ihnen aber eben Illustrationen von namhaften Münchner Künstlern finden lassen.
„Was das anbelangt – die Konzentration aufs Münchnerische –, da war man früher wahrscheinlich ein bisschen strenger als heute, aber das ist ja auch das Positive an der heutigen Zeit, dass man alles globaler sieht und denkt“, sagt Christine Hannig, die sich zumindest gefühlt noch sehr mit dem tadellosen bis kuriosen Hans Ludwig Held verbunden sieht.
Zum Beispiel, wenn wir jetzt mit der Ausstellung ‚Frei leben! Die Frauen der Boheme. 1890–1920‘ das Thema Schwabinger Bohème im Hause haben, da einige wichtige schreibende Frauen, Autorinnen, und deren Lebenssituation im Spiegel der Gesellschaft und der Zeit vorstellen ... Auch hier waren wir natürlich an der Materialbeschaffung beteiligt, und da geht es dann eben auch ganz allgemein um Frauenrechte und auch darum, wie die sich historisch entwickelt haben. Und dann nehme ich auch mal ein Buch dazu, das zeigt, wie es um diese Entwicklung deutschlandweit bestellt war.
Foto: Katrin Diehl
Außerdem zeigt sich Christine Hannig „natürlich“ offen für Buchtitel von Menschen in der Stadt, „die hier Asyl gefunden haben, die von irgendwoher kommen, Migrantinnen, Migranten“.
Auch bestimmte Nachschlagewerke gehören zu den heutigen Selbstverständlichkeiten in der Monacensia, weil sich in denen ja oft auch etwas Münchenrelevantes, das Münchner literarische Leben Betreffende („Oh! Die Manns!“) finden lässt.
Pflanzen- und Wappenbücher und christliche Schriften
In der Monacensia lässt sich die Historie der Stadt entlang von Büchern kennenlernen, fast erfahren. Denn irgendwann – und das hat mit dem Alter der Quellen zu tun – berichten Texte nicht mehr nur über etwas, sondern sind durch ihren „Auftritt“ selbst Teil dieses Etwas geworden, repräsentieren es. In der Monacensia liegen alte Drucke, die bis ins Jahr 1500 zurückgehen. „Sie haben zwar inhaltlich nicht unbedingt etwas mit München zu tun, kamen aber wohl deshalb ins Haus, weil früher viele berühmte Druckereien in München waren und später auch viele Verlage ihren Sitz in München hatten. So findet man in unserem Bestand auch Bücher über Pflanzen und Wappen und die unterschiedlichsten christlichen Schriften“, erklärt Christine Hannig.
Bekommt man solche Schätze zu Gesicht, verwandelt sich die Bibliothek in ein Museum und man selbst in eine geschätzte Besucherin. Ausleihen geht natürlich, was diese sehr alten Raritäten anbelangt, gar nicht, ansehen schon. Und dann teilt man sich die Räumlichkeiten mit den Menschen, die sich aus dem Literaturarchiv der Monacensia etwas haben bringen lassen und bekommt dann die feinen Handschuhe zum Blättern und Wenden dezent mitgereicht.
Auch das Literaturarchiv der Monacensia ist eine Gründung Hans Ludwig Helds und zwar aus dem Jahr 1924. Den Anfang machte Helds „Autographensammlung“, Handschriftensammlung, für die er erst einmal eine Unmenge an Briefen an die Literaturschaffenden der Stadt versendet hat mit der Bitte, dem Haus doch Manuskripte zu schenken. Hat überraschend gut funktioniert ...
Die Verwaltung, das Ordnen von Dingen zum Nutzen von Interessierten, erlangt dann eine zusätzliche Qualität wie Dimension, wenn es bei dieser Verwalterin, Ordnerin eine Art – sagen wir mal – emotionales Verhältnis zu eben diesen verwalteten Dingen gibt, die ja im Grunde nicht mehr sind als Papier, so oder so geschöpft, so oder so gebunden, so oder so bedruckt. Und das hat natürlich mit Interesse zu tun.
Ich wollte zum Beispiel in den Münchner Tageszeitungen im Original nachlesen, wie über den Ausbruch der Französischen Revolution berichtet wurde oder über den Vulkanausbruch des Krakataus im Jahr 1883. Und das ist eben möglich, weil wir die Zeitungen auch aus dieser Zeit im Original haben. Und es ist so ein tolles Gefühl, die zum Teil sehr gut erhaltenen Ausgaben in den Händen zu halten. Auch weil ich dann immer denke, wer hatte die denn schon vor mir alles aufgeschlagen.
Endlich: Die Familie Mann!
Gerade recherchierte Christine Hannig auf Anfrage, und eben auch das gehört zum Geschäft, zur Bücherverbrennung 1933 auf dem Münchner Königsplatz. „Wir gehen die Tageszeitungen von damals durch in der Hoffnung, dass wir auch einmal eine Gegenstimme finden, also einen Text, der das nicht gut fand“, sagt Christine Hannig und auch, dass ihre Hoffnung nicht wirklich erfüllt wurde. „Alles war schon umgedreht, alles schon gleichgeschaltet.“ Da macht das Lesen irgendwann keinen Spaß mehr und muss trotzdem sein, weil es eben war, wie es war.
Prachtband von Alfred Pringsheim, dem Schwiegervater von Thomas Mann. Foto: Katrin Diehl
Christine Hannig hat extra einen Prachtband bereitgelegt. Und endlich sind wir, immerhin 23 Minuten nach Gesprächsbeginn, bei der Familie Mann. Er ist groß, er ist schwer und er ist ein wunderbares Zeugnis. In dickes Leder gebunden gehörte er einst Alfred Pringsheim (1850-1941), dem Schwiegervater von Thomas Mann, der ja mit Katia in eben diese Münchner Familie Pringsheim hineingeheiratet hatte. „Alfred Pringsheim war ein großer Kunstliebhaber und Kunstsammler“, erklärt Christine Hannig. Und gesammelt hat er zum Beispiel auch Majolika, bunt bemalte, glasierte italienische Keramik des 15. und 16. Jahrhunderts. Farbtafeln halten diese Sammlung in dem großformatigen Band aus dem Jahr 1914 fest.
Die Monacensia-Bibliothek, im ersten Stock des Hildebrandhauses gelegen, besteht, neben dem Ausleihbereich, aus noch drei weiteren Themenräumen, Freihandbibliotheken, mit je ungefähr 1.000 Büchern: Im ehemaligen Damenatelier steht unsere „München-Bibliothek“, in den beiden anderen Räumen befinden sich die „Bibliothek Münchner Autorinnen und Autoren“ und die „Bibliothek Familie Mann“. Ohne die Manns geht hier nichts.
Thomas Mann hat im Übrigen auch auf die ziemlich direkte Anfrage Hans Ludwig Helds nach etwas Originalem reagiert und dem Haus das handschriftliche Manuskript seines einzigen Dramas Fiorenza, das 1907 im Frankfurter Schauspielhaus uraufgeführt worden war, geschenkt. Alfred Kerr vernichtete damals das Stück in seiner Kritik, was man allerdings nicht ganz so hoch hängen darf, weil die beiden Herren Kerr und Mann sich aus den unterschiedlichsten Gründen überhaupt nicht leiden konnten. Einfluss hatte diese Kritik natürlich trotzdem. Egal. Original bleibt Original und das liegt in der Monacensia.
Christine Hannig ist seit 1984 im Haus. Sie hat einiges an Veränderungen mitbekommen, „das letzte große Kapitel war da der Umbau“, der 2013 bis 2015 stattgefunden hat. Die Leitungen „kamen und gingen“, sagt sie, spricht von vier Vorgesetzten und „natürlich von vielen Kolleginnen und Kollegen“, die sie über die Jahre kennengelernt hat. Auch den Prozess der Digitalisierung habe sie voll und ganz miterlebt, sagt sie, gesteht aber auch mit einem einnehmenden Lächeln, dass sie „ein bisschen in der Zeit davor hängengeblieben“ sei. „Ich bin froh über jede neue Kollegin, die das besser kann als ich, für mich bleibt ja genug anderes zu tun.“
Ein gewisser Ordnungssinn wäre nicht schlecht
Und wie fing alles so an? Wie rutschte sie in den Beruf der Bibliothekarin? Auf der Suche nach „etwas mit Büchern“ und auch nach etwas, „bei dem man nicht Probleme mit nach Hause nehmen muss“, hat Christine Hannig ihre Ausbildung zur wissenschaftlichen Diplom-Bibliothekarin in der Bayerischen Staatsbibliothek gemacht, hat nach einer richtig happigen Aufnahmeprüfung mit Hunderten von Mitbewerber*innen von 1979 bis 1982 die Beamtenfachhochschule besucht, da den Zweig für Bibliothekswesen. Schwerpunkte waren Bibliographieren und Katalogisieren. Die Ausbildung dauerte damals drei Jahre – „zwei Jahre Theorie, ein Jahr praktisch“ mit immer wechselnden Praktika in unterschiedlichen Bibliotheken und Abteilungen“, und da „sieht man dann zum Beispiel auch, wie Blattgold gemacht und dann aufgetragen wird“.
Auf die Frage, was eine Bibliothekarin mitbringen sollte, antwortet Christine Hannig sehr schnell: „einen gewissen Ordnungssinn“. Und dann lacht sie.
Weil, eigentlich bin ich eine ziemliche Chaotin, aber einiges muss ich einfach ordnen, und dazu gehören eben auch Bücher und alles andere, was zum Bibliotheksbestand gehört und bei Nachfrage gefunden werden muss.
Foto: Tanja Praske
Das schlimmste Szenario für eine Bibliothekarin sei es, „etwas nicht zu finden, von dem man weiß, dass es vorhanden sein muss“. Und deshalb habe man ein Gefühl dafür zu entwickeln, sagt sie, und jetzt wird's interessant, dass, wenn etwas verstellt wurde, sich in die Person, die etwas verstellt hat, hineinzudenken, zu wissen, wie die so drauf ist, „welchen Zahlendreher sie eventuell gemacht hat“. Und darin sei sie mittlerweile auch richtig gut. Überhaupt das Suchen und Finden. „Man kann unmöglich wissen, wo alles steht oder was in den Büchern alles so drinsteht, aber man muss einen Weg finden, fündig zu werden“, sagt Christine Hannig. Den Bestand der Bibliothek gibt sie mit 150.000 Medien an, Bücher, CDs, Kassetten ... Gibt es darunter auch etwas Verrücktes? „Mein Kampf in Blindenschrift in fünf Bänden“, antwortet Christine Hannig ziemlich schnell und staunt immer noch. Das Buch wurde allerdings „nachträglich“ gemacht, damit auch blinde Menschen sich wissenschaftlich mit dieser Zeit beschäftigen können.
Der Jahresetat für den Büchereinkauf und vieles mehr, mit dem Christine Hannig jonglieren darf, bemisst sich auf ungefähr 30.000 Euro. „Aber wir bekommen ja auch, Gott sei Dank, immer wieder einiges geschenkt“, sagt sie. „Pro Jahr kommen circa 2.000 neue Medien dazu, davon vielleicht ein Viertel als Geschenk.“ Das Interesse der Kundschaft für alte Stadtadressbücher bleibt ungebrochen, „man sucht da gerne, wo hat meine Familie damals gewohnt und so“. Was Christine Hannig total nachvollziehen kann. Adressen sind wichtig, Orte sind wichtig, Erinnerungen sind wichtig. Christine Hannig geht nächstes Jahr in den Ruhestand. Tür zu. Tür auf.
Mein Name ist Katrin Diehl, ich bin Journalistin und Autorin, gehöre dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen an und für die Monacensia habe ich etwas übrig.
Die „literarischen Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen immer am ersten Dienstag eines Monats. Alle Folgen der Kolumne finden Sie im Journal unter Reihen & Kolumnen.