„das bergwerk deutsche sprache“ und andere Gedichte. Von Lyuba Yakimchuk
Lyuba Yakimchuk, 1985 geboren in Perwomajsk bei Luhansk, ist Dichterin, Dramatikerin und Drehbuchautorin. Sie hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht, darunter Jak moda/Wie Mode (Lwiw 2009), für den sie den renommierten Bodan-Ihor-Antonych-Preis für Lyrik erhielt, und Abrykosy Donbasu/Die Aprikosen des Donbass (Lwiw 2015), der mit dem International Poetic Award der Kovalev Foundation (NYC, USA) ausgezeichnet wurde. Ihre Gedichte wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, sie selbst übersetzt Lyrik aus dem Englischen, Hebräischen und Litauischen. 2017 nahm sie am 3. deutsch-ukrainischen Schriftstellertreffen in Charkiw/Charkow des Netzwerks Eine Brücke aus Papier teil. 2022 war Lyuba Yakimchuk die erste Dichterin, die je bei einer Grammy-Verleihung auftrat: In dem der Ukraine gewidmeten Projekt „Free von John Legend“ trug sie ihr Gedicht Prayer vor.
Mit den folgenden drei unveröffentlichten Gedichten beteiligt sich Lyuba Yakimchuk an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
das bergwerk deutsche sprache
in der deutschstunde brachte uns die lehrerin das krächzen bei:
„sprich das wort bergwerk“ aus, sagte sie
„bergwerk“, sagte ich
in erinnerung an die abraumhalden, die von unserem hof aus sichtbar sind
meinen vater mit vom kohlenstaub verschmierten augen
„nein“, sagte sie, „da stimmt was nicht“
mit all eurer beharrlichkeit
so dass im „bergwerk“, anstelle des ukrainischen ch
ein deutsches r vorkommt
seid so hart wie der wind im donbas
einatmen und dann gleich kräftig pusten
„be[r]gwe[r]k! be[r]gwe[r]k! seht ihr?“
wir saßen in unseren hölzernen schulbänken
weiteten unsere leichten lungenflügel
die noch nicht mit kohlenstaub bedeckt waren
und wieder kam nichts
kein r ausgehustet
aus den schichten unseres organismus herausgesprengt
kein deutsches „bergwerk“
nur ein ukrainisches
ich habe dieses „bergwerk“ heim gebracht
und bat meinen vater, es auf deutsch zu sagen
erläuterte ausführlich
den ukrainischen wind und die deutsche beharrlichkeit
habe etwas über die lungenflügel hinzugefügt
und er sprach es einfach und leicht aus: be[r]gwe[r]k
und ich wiederholte be[r]gwe[r]k
wie ein erfahrener bergmann
oder bergfrau
seitdem ist viel wasser den donez hinunter
viele raketen gelandet
und ich bin der deutschen sprache jetzt näher
als den ukrainischen bergwerken
und immer höre ich in deutschen worten
den klang des winds im donbas
und erinnere mich, dass der wind duftet
sehr herrlich sogar
wohlriechend, aber scharf
wie das deutsche r
wie dieses bergwerk
die deutsche sprache
zärtlichkeit nach geschmack
ich ziehe das klebeband von den fenstern
ein nicht mit den zähnen abtrennbares
lauf raus zum nächsten supermarkt
um schwämme und handschuhe zu kaufen
stahlwolle für alle fälle
werfe es in den einkaufskorb
am stand mit kämmen
nehme ich eine haarbürste in die hand
„hergestellt in Charkiw“ steht dort
das bedeutet, sie wird lange halten, denke ich
widerstandsfähig wie Charkiw
ewig will ich fast sagen
obwohl ich mehr kämme
als haare habe
überzeugt „hergestellt in Charkiw“
denn es wird ja kein kamm, sondern zärtlichkeit gemacht
die sich wie eine welle erhebt
und auf den ganzen körper ausbreitet
wo nehmen sie diese zärtlichkeit her
während der kämpfe?
in der u-bahn? im luftschutzkeller?
in den werkstätten?
ich gehe durch die gänge des supermarktes
packe orangensaft aus Mykolajiv ein
das letzte glas tomatenmark aus Cherson
joghurt aus Krementschuk
salz aus Bachmut gibt es immer noch nicht
auch aus Soledar wurde noch nicht geliefert
„es kommt bald“ sagt die verkäuferin
als ob sie alles über geopolitik weiß
erlaubt mir nicht nachzufragen
und biegt hinter dem regal mit ketchup ein
wenn ich zu hause die fenster putze
dann dringt das radio
durch die räume
breitet sich auf der glasoberfläche aus
auf der fast schon sauberen
verstreut eine zärtlichkeit
aus dem weißen Bila Zerkwa
wo eine rakete abgeschossen wurde
die auf dem weg war
aus dem wasser
des Schwarz-Schwarzen Meeres
die auf dem weg hierher war
wo die fenster
nicht mehr durch klebeband geschützt
wo die fensterrahmen
nicht mehr mit bücherstapeln verstärkt wurden
wo das glas
das licht
und druckwellen hereinlässt
also ich
werde heute mein haar mit zärtlichkeit kämmen
morgen mein frühstück mit zärtlichkeit essen
zum abendessen mit zärtlichkeit eine sauce machen
vielleicht befreien sie die zärtlichkeit von der besatzung
und ich werde das fleisch für die sauce salzen
der sieg muss gut gesalzen sein
ich habe noch nie eine so leidenschaftliche zärtlichkeit gekostet
noch nie
aber ich werde es auf jeden fall probieren, sag ich euch
die neuen ufer der ukraine
es heißt, die luft war so dick, dass man sie nicht schneiden konnte
sie haben sie nicht zerschnitten, sondern durchlöchert
und sie dann mit hagelbomben und raketenwerfern verdünnt
so dass sie Kyjiw erreichen konnten
die vögel, die am himmel flogen
scheideten bomben aus
gemischt mit menschen
das alles fiel auf die köpfe
in geraden oder schiefen
flugbahnen
es gab nur ein gebot:
rette deinen nächsten, vernichte deinen besatzer
nur ein gebot gab es
großvater hat sich zum ersten mal übergeben
und stahl dann den panzer vom schlachtfeld
den knopf масса drücken, dann erster gang, zweiter gang
alles ganz einfach – auf geht's
frauen sind flexibel und rund
packten erste-hilfe-kästen und pässe in ihre köffer
packten dreiecktücher und verband
packten kinder und katzen
packten ihre leben und
schnürten es zu bündeln
damit mehr reinpasst
eine großmutter begegnete den besatzern mit samen
„nehmt sie, jungs, steckt sie in eure taschen
wenn ihr sterbt, werden sonnenblumen in euren körpern sprießen
es wird wunderschön sein“
züge, wie leuchtschlangen
funkeln in der steppe
das halbe land wurde zu flüchtlingen
das halbe land nahm sie auf
das halbe Land schützte sie
das halbe land brachte hilfe
woher kommen diese 200%
der gesamtbevölkerung?
die verteidigung war taktisch
aber die veränderungen waren tektonisch:
die Krym löste sich an der landenge
um die eindringlinge abzuschütteln
driftete und dockte an Odesa an
und wurde zu einem neuen ufer
im osten der Ukraine
und im norden der Ukraine
floss ein ganzes meer von blut
ein Schwarzes Meer aus blut
entlang der neuen ufer
aber niemand leistete
den besatzern erste hilfe
2022
(Übersetzung von Lukas Joura)
„das bergwerk deutsche sprache“ und andere Gedichte. Von Lyuba Yakimchuk>
Lyuba Yakimchuk, 1985 geboren in Perwomajsk bei Luhansk, ist Dichterin, Dramatikerin und Drehbuchautorin. Sie hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht, darunter Jak moda/Wie Mode (Lwiw 2009), für den sie den renommierten Bodan-Ihor-Antonych-Preis für Lyrik erhielt, und Abrykosy Donbasu/Die Aprikosen des Donbass (Lwiw 2015), der mit dem International Poetic Award der Kovalev Foundation (NYC, USA) ausgezeichnet wurde. Ihre Gedichte wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, sie selbst übersetzt Lyrik aus dem Englischen, Hebräischen und Litauischen. 2017 nahm sie am 3. deutsch-ukrainischen Schriftstellertreffen in Charkiw/Charkow des Netzwerks Eine Brücke aus Papier teil. 2022 war Lyuba Yakimchuk die erste Dichterin, die je bei einer Grammy-Verleihung auftrat: In dem der Ukraine gewidmeten Projekt „Free von John Legend“ trug sie ihr Gedicht Prayer vor.
Mit den folgenden drei unveröffentlichten Gedichten beteiligt sich Lyuba Yakimchuk an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
das bergwerk deutsche sprache
in der deutschstunde brachte uns die lehrerin das krächzen bei:
„sprich das wort bergwerk“ aus, sagte sie
„bergwerk“, sagte ich
in erinnerung an die abraumhalden, die von unserem hof aus sichtbar sind
meinen vater mit vom kohlenstaub verschmierten augen
„nein“, sagte sie, „da stimmt was nicht“
mit all eurer beharrlichkeit
so dass im „bergwerk“, anstelle des ukrainischen ch
ein deutsches r vorkommt
seid so hart wie der wind im donbas
einatmen und dann gleich kräftig pusten
„be[r]gwe[r]k! be[r]gwe[r]k! seht ihr?“
wir saßen in unseren hölzernen schulbänken
weiteten unsere leichten lungenflügel
die noch nicht mit kohlenstaub bedeckt waren
und wieder kam nichts
kein r ausgehustet
aus den schichten unseres organismus herausgesprengt
kein deutsches „bergwerk“
nur ein ukrainisches
ich habe dieses „bergwerk“ heim gebracht
und bat meinen vater, es auf deutsch zu sagen
erläuterte ausführlich
den ukrainischen wind und die deutsche beharrlichkeit
habe etwas über die lungenflügel hinzugefügt
und er sprach es einfach und leicht aus: be[r]gwe[r]k
und ich wiederholte be[r]gwe[r]k
wie ein erfahrener bergmann
oder bergfrau
seitdem ist viel wasser den donez hinunter
viele raketen gelandet
und ich bin der deutschen sprache jetzt näher
als den ukrainischen bergwerken
und immer höre ich in deutschen worten
den klang des winds im donbas
und erinnere mich, dass der wind duftet
sehr herrlich sogar
wohlriechend, aber scharf
wie das deutsche r
wie dieses bergwerk
die deutsche sprache
zärtlichkeit nach geschmack
ich ziehe das klebeband von den fenstern
ein nicht mit den zähnen abtrennbares
lauf raus zum nächsten supermarkt
um schwämme und handschuhe zu kaufen
stahlwolle für alle fälle
werfe es in den einkaufskorb
am stand mit kämmen
nehme ich eine haarbürste in die hand
„hergestellt in Charkiw“ steht dort
das bedeutet, sie wird lange halten, denke ich
widerstandsfähig wie Charkiw
ewig will ich fast sagen
obwohl ich mehr kämme
als haare habe
überzeugt „hergestellt in Charkiw“
denn es wird ja kein kamm, sondern zärtlichkeit gemacht
die sich wie eine welle erhebt
und auf den ganzen körper ausbreitet
wo nehmen sie diese zärtlichkeit her
während der kämpfe?
in der u-bahn? im luftschutzkeller?
in den werkstätten?
ich gehe durch die gänge des supermarktes
packe orangensaft aus Mykolajiv ein
das letzte glas tomatenmark aus Cherson
joghurt aus Krementschuk
salz aus Bachmut gibt es immer noch nicht
auch aus Soledar wurde noch nicht geliefert
„es kommt bald“ sagt die verkäuferin
als ob sie alles über geopolitik weiß
erlaubt mir nicht nachzufragen
und biegt hinter dem regal mit ketchup ein
wenn ich zu hause die fenster putze
dann dringt das radio
durch die räume
breitet sich auf der glasoberfläche aus
auf der fast schon sauberen
verstreut eine zärtlichkeit
aus dem weißen Bila Zerkwa
wo eine rakete abgeschossen wurde
die auf dem weg war
aus dem wasser
des Schwarz-Schwarzen Meeres
die auf dem weg hierher war
wo die fenster
nicht mehr durch klebeband geschützt
wo die fensterrahmen
nicht mehr mit bücherstapeln verstärkt wurden
wo das glas
das licht
und druckwellen hereinlässt
also ich
werde heute mein haar mit zärtlichkeit kämmen
morgen mein frühstück mit zärtlichkeit essen
zum abendessen mit zärtlichkeit eine sauce machen
vielleicht befreien sie die zärtlichkeit von der besatzung
und ich werde das fleisch für die sauce salzen
der sieg muss gut gesalzen sein
ich habe noch nie eine so leidenschaftliche zärtlichkeit gekostet
noch nie
aber ich werde es auf jeden fall probieren, sag ich euch
die neuen ufer der ukraine
es heißt, die luft war so dick, dass man sie nicht schneiden konnte
sie haben sie nicht zerschnitten, sondern durchlöchert
und sie dann mit hagelbomben und raketenwerfern verdünnt
so dass sie Kyjiw erreichen konnten
die vögel, die am himmel flogen
scheideten bomben aus
gemischt mit menschen
das alles fiel auf die köpfe
in geraden oder schiefen
flugbahnen
es gab nur ein gebot:
rette deinen nächsten, vernichte deinen besatzer
nur ein gebot gab es
großvater hat sich zum ersten mal übergeben
und stahl dann den panzer vom schlachtfeld
den knopf масса drücken, dann erster gang, zweiter gang
alles ganz einfach – auf geht's
frauen sind flexibel und rund
packten erste-hilfe-kästen und pässe in ihre köffer
packten dreiecktücher und verband
packten kinder und katzen
packten ihre leben und
schnürten es zu bündeln
damit mehr reinpasst
eine großmutter begegnete den besatzern mit samen
„nehmt sie, jungs, steckt sie in eure taschen
wenn ihr sterbt, werden sonnenblumen in euren körpern sprießen
es wird wunderschön sein“
züge, wie leuchtschlangen
funkeln in der steppe
das halbe land wurde zu flüchtlingen
das halbe land nahm sie auf
das halbe Land schützte sie
das halbe land brachte hilfe
woher kommen diese 200%
der gesamtbevölkerung?
die verteidigung war taktisch
aber die veränderungen waren tektonisch:
die Krym löste sich an der landenge
um die eindringlinge abzuschütteln
driftete und dockte an Odesa an
und wurde zu einem neuen ufer
im osten der Ukraine
und im norden der Ukraine
floss ein ganzes meer von blut
ein Schwarzes Meer aus blut
entlang der neuen ufer
aber niemand leistete
den besatzern erste hilfe
2022
(Übersetzung von Lukas Joura)