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07.03.2023, 13:01 Uhr
Katrin Diehl
Literarische Erkundungen
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Katrin Diehl (Foto: Frank Zuber)

Literarische Erkundungen in und um die Monacensia (1)

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Alle Fotos © Katrin Diehl

Literarische Erkundungen: Das luftige „Forum Atelier“ ist wie die Empfangshalle der Monacensia. Seine Höhe ist von einem großen, grünen Ateliertor bestimmt und vom ehemaligen Villenbesitzer, dem Künstler Adolf von Hildebrand (1847-1921), für seine Atelierarbeit an mächtigen Skulpturen so gewollt. Einer Bücherwand bietet sie heute schwindelerregende Möglichkeiten. Hier steht die Privatbibliothek Peter de Mendelssohns.

*

Hier stimmt etwas nicht. Und das macht Laune. Ein Ort mit Potential. Stimmt zu vieles, werden wir zurückkatapultiert in paradiesische Zustände, die dermaßen abturnen, dass Gott die Schlange erfinden musste. „Stimmen“ heißt recht tatenlos mitschwingen, sich nach Resonanzen strecken, sich umhören, weil man selbst keinen Ton herausbekommt.

Im Leseraum, dem „Forum Atelier“, dort auf dem Regal, das die sechs Meter hohe Ostwand hochklettert, zweite Abteilung von links, Regalbrett Nummer neun (von unten gezählt), da das vierzehnte und fünfzehnte Buch von links...

Die beiden Bände, so schwer wie rot, liegen quer. Sind umgekippt. Wirken verrutscht und ziemlich erschöpft. Sind in Schieflage geraten. Nicht wirklich dramatisch, aber schon. Wann und wie ist das passiert? Wer weiß was darüber? Wer hat etwas gehört (wenn Bücher umfallen, hört man das doch, zumal in einem Leseraum!), wer hat etwas gesehen? Die Suche nach der Ursache ist die Suche nach dem Schmetterling, dem flüchtigen Moment, den kleinen, zarten Dingen.

Ändern lässt sich daran so schnell nichts. Das Handy versagt total, kriegt es nicht hin, die Sache so weit heranzuzoomen, dass sich wenigstens erkennen ließe, was auf den Buchrücken steht. Da steht jedenfalls etwas. Und erkennen lässt sich auch, dass jeden der Bände ein strenger Stoffeinband überzieht, einer aus grobem, rotem Leinen. Lassen sich eventuell mit einem Fernglas, das auf Berggämsen geschult ist, auch schwerleibige Buchbände ins Visier nehmen? In Bayern sollte das möglich sein. Und auszuschließen ist nicht, dass im Archiv dieses doch sehr bayerisch-münchnerischen Hauses, dieser Monacensia, in einer der durchgezählten Kartons dort, auch ein Fernglas entzweckt und abgeschoben und „mit Spuren des Gebrauchs“ liegt. Denn die Münchner Schreibenden der vergangenen zwei Jahrhunderte liebten ja ihre Berge, wenn sie nicht gerade ganz unten im Tal einem Bohèmeleben nachhingen, sich ihre Bäuche mit Kaffee oder Bier abfüllten und mit gelben Fingerspitzen ein paar Zeilen aufs Papier brachten.

Ab Regal drei bräuchte man eine Leiter, die es hier nicht gibt. Hier im Lesesaal der Monacensia hat man, ohne dass man das mitbekommen hätte, am Eingang unterm grünen Scheunentor zur Begrüßung einen Schrumpftrunk verpasst bekommen.

Und dann schrumpft man. Die Regale wachsen in den Himmel und das grüne Holztor vergisst jedes Bewusstsein für Proportionen. Ist ein wenig größenwahnsinnig geworden. Es gibt Fotos, da schiebt Meister Adolf von Hildebrand (1847-1921) Marmor-Vater-Rhein-Monster durch diese Riesenöffnung ins Innere seiner feinen Bogenhausener Villa.

Die Leiter gibt es nicht. Eine Hebebühne vielleicht. Dann wäre man zumindest oben und könnte sehen, um was für Bücher es sich bei den armen Verrutschten handelt, sie berühren, vielleicht sogar in ihnen blättern, vielleicht ein bisschen lesen, ein bisschen träumen in der Höh. Dann ist aber auch genug. Hier handelt es sich immerhin um die Privatbibliothek des deutsch-jüdisch-britischen Schriftstellers Peter de Mendelssohn, 1908 in München geboren, 1982 ebenda gestorben, und dazwischen seinem Land geflohen, verheiratet mit der Schriftstellerin Hilde Spiel. Peter de Mendelssohn, dessen Nachlass an die Monacensia ging, war ein Freund Thomas Manns, später dessen Biograf. Die zwei Bände (Bd. 1: 1875-1905, Bd. 2: 1905-1918) mit Titel Der Zauberer zeichneten ihn als Thomas-Mann-Kenner aus. Es hätten mehr werden sollen, weshalb dieses Werk als unvollendet wie unter auserlesenen Kennern als begehrenswert gilt.

Wer näher tritt, sieht, dass Peter de Mendelssohns Bücher Blüten treiben. Vorgänger unserer schrillfarbenen Post-its lugen in einer erstaunlichen Vielzahl aus den Kopfschnitten heraus. Ein wenig welk, bräunlich und brüchig gewordene Schnipsel großer Gelehrsamkeit.

Literarische Erkundungen in und um die Monacensia – eine neue Blogreihe

Es sind Details, um die es hier in regelmäßig erscheinender Textfolge „Literarische Erkundungen in und um die Monacensia“ gehen soll, bemerkenswerte Kleinigkeiten, die so klein nicht sind und die in Summe, das Große ja ausmachen. Kuriosa kommen zu Wort, auch Menschen, die sich hinter den Türen verbergen, manchmal über die Gänge gehen, sich wissend begegnen. Und immer wieder Dinge, Dinge, Objekte, mit ihren nach Roland Barthes eingewebten wie ausgeworfenen Netzen voller Mythen. Tja. Ist so. Dinge erzählen manchmal mehr als Menschen, weil sie so ausgeliefert wie unberührt nichts brauchen als ein Gegenüber, das in sie hineinliest, hineinsieht, sie dreht und wendet, solange es mag, was so ein Mensch natürlich nicht mit sich machen lässt. Dem reicht es irgendwann. Der braucht Distanz. Und nach einer Weile, in einem magischen Moment, wirft das Objekt, was es hat, aus. Spuckt es aufs Papier.

Es wird also in den regelmäßig erscheinenden „Mona-Literaturerkundungstexten“ ums Hervorkehren von Details am Monacensia-Ort gehen, der nicht mit seinem schmiedeeisernen Zaun endet. Es wird auch um seinen Wirkungsraum gehen, ist er doch eine Institution gelebten Lebens, archivierter Literatur, ein Ort der Veranstaltungen wie Stadthistorie. Es wird um Dinge und Ereignisse gehen, die ein Universum nach sich ziehen, um Wissensräume, die sich erst öffnen, wenn man wo einhakt, wenn man eine Ahnung verfolgt, und also geht es am Ende selbstverständlich um Menschen, die als Team das Geschehen im Haus tragen und lenken, ihre Wünsche, Träume, Arbeitsfelder, aber auch um die, die bereits (Literatur-)Geschichte sind und die sich aus dem ganzen Archivmaterial – so wage wie reizvoll – „rekonstruieren“ lassen.

Es geht um das Archivmaterial selbst, ja, auch um Seltsamkeiten dort, auch um Materialien, die zu einem Kontinuum des großen Narrativs des Literaturkosmos München beitragen. Dabei soll der dringliche Nachholgedanke den Auswahlblick lenken: Wer/was wurde bisher gerne vergessen, wer/was lieber unter Verschluss gehalten, wer/was unterlag und unterliegt einer gewissen Mythenbildung, wer/was macht das Heute aus? Die Frauen gilt es ohnehin nach vorne zu holen, aber auch die „Fremden, Anderen“ und „fremd, anders“ Gemachten, die zu München gehören und gehörten. Auch die Historie des Hildebrandhauses selbst ist natürlich allein durch die ablesbaren Daten kaum zu fassen. Da gibt es zum Beispiel auch eine jüdische Historie hinter allem, wie könnte es anders sein mitten in Bogenhausen.

Die „Literarischen Erkundungen in und um die Monacensia“ oder auch „Mona-Literaturerkundungen“ erscheinen jeden Monat neu (jeden ersten Dienstag) und setzen dabei auf poetische Vermittlung. Mein Name ist Katrin Diehl, ich bin Journalistin und Autorin, gehöre dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen an und für die Monacensia habe ich etwas übrig.

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