Logen-Blog [148]: Dritte Fortsetzung des Bamberger Berichts
Wenige Wochen nach dem zweiten Bamberg-Besuch erwähnte er in seiner Vorrede zur Unsichtbaren Loge „Friedrich Hoffmann“ – dies war eine seltsame Verwechslung des Vornamens des Autors, über den man sich in Bamberg garantiert unterhielt. Erinnerte er sich daran, dass es bei seiner Begegnung mit dem Dichter nicht ganz so friedlich zugegangen war? Als Jean Paul das erste Mal nach Bamberg reiste, traf er hier noch E. T. A. Hoffmann an. Kunz hat darüber später einen ausführlichen Bericht geschrieben – denn es war, sagt er, „einer der denkwürdigsten Tage meines Lebens“: der 27. August 1810.
Wir müssen uns nun den Dichter und seinen Bekannten in einem Haus am Grünen Markt vorstellen: im Krackhardt-Haus, Nr. 31, einem schönen Barockbau aus den Jahren 1729 bis 1737, das zunächst das Katharinenspital beherbergte[1]. Unten der Weinkeller, oben, im ersten Stock, die Wohnung und die Leihbibliothek. Jean Paul ging sofort zum Bücherschrank und zog ein Büchlein heraus, dessen Titelkupfer sich heute auch im Bayreuther Jean-Paul-Museum befindet: den Vergötterungsalmanach auf das Jahr 1801. Die Graphik ist eine ausgesprochen feine Arbeit, geschaffen von einem anonymen Künstler, es zeigt, schrieb Funck, „Jean Pauls Monument, über welchem eine Hexe, auf einem Besenstiel reitend, schwebt“. Ich kann nur jedem raten, sich diese Zeichnung genau anzuschauen, wenn man das Museum besucht, auch Jean Paul fand sie nicht despektierlich (nachdem er seine Überraschung überwunden hatte): „Nun wahrhaftig, seinem Schicksal kann doch niemand entgehen!“
Er entging in Bamberg auch nicht dem Mitarbeiter des Bamberger Theaters, dem Musiker und Dekorationsmaler E. T. A. Hoffmann, der zusammen mit dem Doktor Adalbert Marcus zum Essen kam. Hoffmann blieb während des heiteren Gesprächs ungewöhnlich stumm, begleitete es aber, schrieb Funck, „durch schallendes Gelächter“. Dann erhielt Funck die Nachricht, dass ihn, Jean Paul, Eleonore von Kalb – eine Schwester der berühmten von Kalb, die Jean Paul so gut kannte, und die er im Titan verewigt hatte – „mit einer Menge Damen“ am Ufer der Regnitz erwarte. Jean Paul blieb jedoch im Haus, erfand eine Ausrede, die ein Diener überbringen sollte, und Hoffmann griff zum Zeichenstift, um eben jene Szene der Überreichung des Entschuldigungsschreibens an die naserümpfenden Damen zu verewigen. Jean Paul aber fand diese Karikatur gar nicht komisch, empfing die Zeichnung – und vernichtete sie noch in Bamberg, freilich heimlich. Die Stimmung lichtete sich allmählich, man stieg zum Michelsberg hinauf, man genoss die herrliche Aussicht, auf Gesprächsangebote Hoffmanns reagierte Jean Paul zurückhaltend. Abends war man bei Marcus, man unterhielt sich schließlich nur noch über medizinische Gegenstände, worin Jean Paul brillierte (wovon noch seine letzten Briefe, die seine Augenkrankheit betreffen, Auskunft geben).
Hier trafen sich Jean Paul, Hoffmann, Kunz und Marcus im August 1810: unter nicht ganz glücklichen Voraussetzungen.
Am nächsten Morgen war Jean Paul wieder bei Kunz zu Gast – und äußerst aufgeräumt. Man sprach über seine Bücher, über den Titan und den Siebenkäs, Jean Paul beschloss, sich bei Frau von Kalb persönlich zu entschuldigen – aber Hoffmann wurde mit keiner Silbe erwähnt. Nein, er scheint nicht allzu viel von ihm gehalten zu haben; die Vorrede, die er drei Jahre später zu den Fantasiestücken schrieb, ist bewusst-unbewusst eine Kritik geworden. Da spielte auch Persönliches hinein, nicht allein Literarisches: Jean Paul, der feste Moralvorstellungen hatte, verübelte es Hoffmann, dass der einmal eine Freundin seiner Gemahlin Karoline, Wilhelmine Dörffer also, sitzen gelassen hatte. Das war zwar schon ein Jahrzehnt her, aber Jean Paul und vor allem seine Frau fanden Hoffmann offensichtlich moralisch unsauber – was Hoffmann nicht daran hinderte, in den letzten Märztagen 1811 nach Bayreuth zu fahren, um Jean Paul in der Friedrichstraße zu besuchen. Man scheint sich zusammengerauft zu haben, denn das Tagebuch vermerkt: „Opernhaus Theater. Visite bei Jean Paul. Seine Frau erkennt mich und denkt nicht an Odiosa.“
Sehr weit voneinander entfernt: der Weintrinker Hoffmann und sein Kollege, der Biertrinker Jean Paul. Im Antiquariat Lorang – einem der schönsten fränkischen Antiquariate, zu finden in einem Haus auf der Rathausbrücke, unterspült von der immerzu rauschenden Regnitz – kommen sie gelegentlich zusammen. Im Hoffmannhaus am Schillerplatz aber trinkt Hoffmann heute allein seinen Alkohol. (Fotos: Frank Piontek, 3.5. 2013).
Hoffmann selbst wusste, was er am Dichter Jean Paul hatte. Er kannte – und zitierte ihn. Im Dezember 1794 brachte er in einem Geburtstagsbrief an seinen Freund Theodor Gottlieb von Hippel beispielsweise ein Zitat aus der Unsichtbaren Loge unter, indem er das Wort „prenez“ benutzte, das am Ende des 22. Sektors eine Rolle spielt – und noch in Zusammenhang mit der Affäre um den Meister Floh berief er sich in Sachen satirischer Technik auch auf Jean Paul. Jean Paul aber blieb skeptisch. Ludwig Rellstab berichtete, dass Jean Paul sich im August 1821 – kurz nachdem er den Namen des großen Dichters in der zweiten Vorrede zur Loge unbegreiflicherweise falsch geschrieben und den Mann selbst kritisiert hatte – „ziemlich unwillig“ über den Kollegen geäußert hätte: er sei eine „ewig abwärts sinkende Sonne, die bei ihrem Aufstieg kulminiert habe“. Seine Fantasiestücke (obwohl „nicht von selbständigen Gehalt) hätten immerhin zu Hoffnungen Anlass gegeben, die er enttäuscht habe, er wiederhole sich und steigere seine „Ausartungen“. Damit war der Fall Hoffmann für Jean Paul erledigt.
Nein, die großen Köpfe müssen einander nicht erkennen. Es genügt, wenn sie große, nach wie vor wirksame Werke schreiben.
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[1] Auch diese Information verdanke ich dem guten Rainer Lewandowski, der sich mit nicht weniger als vier teils sehr umfangreichen Buchveröffentlichungen über Hoffmann und/in Bamberg verdient gemacht hat. Ohne diese Führer durch das Leben und Werk des geliebten Dichtes wäre der Blogger im Jahre 1996 – trotz Lektüre der von Hans Mayer in vier grüngebundenen Bänden gesammelten Werke - weniger inspiriert durch die Domstadt an der Regnitz gelaufen.
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Wenige Wochen nach dem zweiten Bamberg-Besuch erwähnte er in seiner Vorrede zur Unsichtbaren Loge „Friedrich Hoffmann“ – dies war eine seltsame Verwechslung des Vornamens des Autors, über den man sich in Bamberg garantiert unterhielt. Erinnerte er sich daran, dass es bei seiner Begegnung mit dem Dichter nicht ganz so friedlich zugegangen war? Als Jean Paul das erste Mal nach Bamberg reiste, traf er hier noch E. T. A. Hoffmann an. Kunz hat darüber später einen ausführlichen Bericht geschrieben – denn es war, sagt er, „einer der denkwürdigsten Tage meines Lebens“: der 27. August 1810.
Wir müssen uns nun den Dichter und seinen Bekannten in einem Haus am Grünen Markt vorstellen: im Krackhardt-Haus, Nr. 31, einem schönen Barockbau aus den Jahren 1729 bis 1737, das zunächst das Katharinenspital beherbergte[1]. Unten der Weinkeller, oben, im ersten Stock, die Wohnung und die Leihbibliothek. Jean Paul ging sofort zum Bücherschrank und zog ein Büchlein heraus, dessen Titelkupfer sich heute auch im Bayreuther Jean-Paul-Museum befindet: den Vergötterungsalmanach auf das Jahr 1801. Die Graphik ist eine ausgesprochen feine Arbeit, geschaffen von einem anonymen Künstler, es zeigt, schrieb Funck, „Jean Pauls Monument, über welchem eine Hexe, auf einem Besenstiel reitend, schwebt“. Ich kann nur jedem raten, sich diese Zeichnung genau anzuschauen, wenn man das Museum besucht, auch Jean Paul fand sie nicht despektierlich (nachdem er seine Überraschung überwunden hatte): „Nun wahrhaftig, seinem Schicksal kann doch niemand entgehen!“
Er entging in Bamberg auch nicht dem Mitarbeiter des Bamberger Theaters, dem Musiker und Dekorationsmaler E. T. A. Hoffmann, der zusammen mit dem Doktor Adalbert Marcus zum Essen kam. Hoffmann blieb während des heiteren Gesprächs ungewöhnlich stumm, begleitete es aber, schrieb Funck, „durch schallendes Gelächter“. Dann erhielt Funck die Nachricht, dass ihn, Jean Paul, Eleonore von Kalb – eine Schwester der berühmten von Kalb, die Jean Paul so gut kannte, und die er im Titan verewigt hatte – „mit einer Menge Damen“ am Ufer der Regnitz erwarte. Jean Paul blieb jedoch im Haus, erfand eine Ausrede, die ein Diener überbringen sollte, und Hoffmann griff zum Zeichenstift, um eben jene Szene der Überreichung des Entschuldigungsschreibens an die naserümpfenden Damen zu verewigen. Jean Paul aber fand diese Karikatur gar nicht komisch, empfing die Zeichnung – und vernichtete sie noch in Bamberg, freilich heimlich. Die Stimmung lichtete sich allmählich, man stieg zum Michelsberg hinauf, man genoss die herrliche Aussicht, auf Gesprächsangebote Hoffmanns reagierte Jean Paul zurückhaltend. Abends war man bei Marcus, man unterhielt sich schließlich nur noch über medizinische Gegenstände, worin Jean Paul brillierte (wovon noch seine letzten Briefe, die seine Augenkrankheit betreffen, Auskunft geben).
Hier trafen sich Jean Paul, Hoffmann, Kunz und Marcus im August 1810: unter nicht ganz glücklichen Voraussetzungen.
Am nächsten Morgen war Jean Paul wieder bei Kunz zu Gast – und äußerst aufgeräumt. Man sprach über seine Bücher, über den Titan und den Siebenkäs, Jean Paul beschloss, sich bei Frau von Kalb persönlich zu entschuldigen – aber Hoffmann wurde mit keiner Silbe erwähnt. Nein, er scheint nicht allzu viel von ihm gehalten zu haben; die Vorrede, die er drei Jahre später zu den Fantasiestücken schrieb, ist bewusst-unbewusst eine Kritik geworden. Da spielte auch Persönliches hinein, nicht allein Literarisches: Jean Paul, der feste Moralvorstellungen hatte, verübelte es Hoffmann, dass der einmal eine Freundin seiner Gemahlin Karoline, Wilhelmine Dörffer also, sitzen gelassen hatte. Das war zwar schon ein Jahrzehnt her, aber Jean Paul und vor allem seine Frau fanden Hoffmann offensichtlich moralisch unsauber – was Hoffmann nicht daran hinderte, in den letzten Märztagen 1811 nach Bayreuth zu fahren, um Jean Paul in der Friedrichstraße zu besuchen. Man scheint sich zusammengerauft zu haben, denn das Tagebuch vermerkt: „Opernhaus Theater. Visite bei Jean Paul. Seine Frau erkennt mich und denkt nicht an Odiosa.“
Sehr weit voneinander entfernt: der Weintrinker Hoffmann und sein Kollege, der Biertrinker Jean Paul. Im Antiquariat Lorang – einem der schönsten fränkischen Antiquariate, zu finden in einem Haus auf der Rathausbrücke, unterspült von der immerzu rauschenden Regnitz – kommen sie gelegentlich zusammen. Im Hoffmannhaus am Schillerplatz aber trinkt Hoffmann heute allein seinen Alkohol. (Fotos: Frank Piontek, 3.5. 2013).
Hoffmann selbst wusste, was er am Dichter Jean Paul hatte. Er kannte – und zitierte ihn. Im Dezember 1794 brachte er in einem Geburtstagsbrief an seinen Freund Theodor Gottlieb von Hippel beispielsweise ein Zitat aus der Unsichtbaren Loge unter, indem er das Wort „prenez“ benutzte, das am Ende des 22. Sektors eine Rolle spielt – und noch in Zusammenhang mit der Affäre um den Meister Floh berief er sich in Sachen satirischer Technik auch auf Jean Paul. Jean Paul aber blieb skeptisch. Ludwig Rellstab berichtete, dass Jean Paul sich im August 1821 – kurz nachdem er den Namen des großen Dichters in der zweiten Vorrede zur Loge unbegreiflicherweise falsch geschrieben und den Mann selbst kritisiert hatte – „ziemlich unwillig“ über den Kollegen geäußert hätte: er sei eine „ewig abwärts sinkende Sonne, die bei ihrem Aufstieg kulminiert habe“. Seine Fantasiestücke (obwohl „nicht von selbständigen Gehalt) hätten immerhin zu Hoffnungen Anlass gegeben, die er enttäuscht habe, er wiederhole sich und steigere seine „Ausartungen“. Damit war der Fall Hoffmann für Jean Paul erledigt.
Nein, die großen Köpfe müssen einander nicht erkennen. Es genügt, wenn sie große, nach wie vor wirksame Werke schreiben.
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[1] Auch diese Information verdanke ich dem guten Rainer Lewandowski, der sich mit nicht weniger als vier teils sehr umfangreichen Buchveröffentlichungen über Hoffmann und/in Bamberg verdient gemacht hat. Ohne diese Führer durch das Leben und Werk des geliebten Dichtes wäre der Blogger im Jahre 1996 – trotz Lektüre der von Hans Mayer in vier grüngebundenen Bänden gesammelten Werke - weniger inspiriert durch die Domstadt an der Regnitz gelaufen.