„München-Träume“. Von Nikolai Vogel (3)
München verändert sich dauernd – eine Stadt ist lebendig. Und in einer Stadt bleibt sich aber dauernd auch vieles gleich. Manches verschwindet fast unmerklich, anderes ist schlagartig weg. Neue Realitäten entstehen – wir schauen ihnen beim Gebautwerden zu oder entdecken sie im Vorbeigehen ganz unerwartet. Wie also geht der Wandel vonstatten? Wie geht es weiter? Wie öffnet sich Zukunft? In seiner neuen Kolumne hier im Literaturportal Bayern träumt der Autor und Künstler Nikolai Vogel davon, wie die Stadt, in der er seit vielen Jahren lebt, ihn immer wieder verblüfft ...
Mit der Kolumne „München-Träume“ beteiligt sich Nikolai Vogel an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
Englischer Garten ausgewachsen
Ich gehe mal wieder durch den Englischen Garten. Es ist einiges los. Die Leute fahren auf dem Kiesweg so langsam Rad, dass sie gerade nicht umfallen. Die Leute liegen auf dem Rasen. Die Leute spielen Ball. Die Leute planschen im Eisbach. Manche gehen in ihrer Straßenkleidung herum, manche sind in Badeklamotten, andere haben überhaupt nichts an. In München geht das. Der Monopteros steht unter einem frisch blaugestrichenen Himmel, der Biergarten ist schon zu erahnen. Ich wohne ja nicht mehr ganz so nahe wie früher, als ich im Univiertel ein Studentenzimmer hatte, aber muss wieder öfter hierherkommen, nehme ich mir vor.
Und so bin ich wirklich schon wieder hier – aber wo war ich denn gerade eben? Dieses Mal komme ich vom Odeonsplatz. Ich gehe über den Hofgarten. Die Boulespieler beratschlagen sich noch. Im Dichtergarten kommen mir die Kaninchen entgegen, ich kenne sie von früher. Aber das hier, das ist doch zweifellos – ein Känguru! Und noch eines, viele sind es. Sie springen herum wie gute Laune. Und eigenartig, es gibt gar keine Straße mehr, die anliegt. Da war doch früher viel Verkehr und man musste immer warten. Wie hieß sie gleich. Ja, Von-der-Tann und Prinzregenten. Ist das jetzt schon weiter vorne alles untertunnelt?
Das Haus der Kunst ragt vor mir auf. Dieser Koloss aus pathetischem Stein. Und muss früher doch so luftig gewesen sein, der Glaspalast! Aber der stand auch woanders, ach ja, am Alten Botanischen Garten, schade, dass das nicht von längerer Dauer war. Also hier den Stein. Aber es hat sich etwas getan. Das Erdgeschoss ist weit geöffnet, es gehört dem Garten. Keine Türen mehr. Ich sehe Wiese, sie fließt hindurch, ich sehe Blumen, Bäume, sogar ein Surfer hat sich eingefunden, von der nahen weltberühmten Welle.
Eisbach. Foto von Erwin Gabler aus Pixabay
Der Parkplatz ist endlich aufgelöst, die Terrasse abgetragen jetzt ein sanfter Hügel. Menschen liegen darauf und unterhalten sich, lesen oder schauen in die Luft, so tolle Wolken heute. Ich gehe hinunter, vorbei am Teehaus, den Eisbach entlang – springen da die Lachse? Vom Monopteros schwingen sich Trommelklänge übers Land, eine Karawane hat dort oben Halt gemacht. Und am Chinesischen Turm die neueren Essensausgabe-Bauten sind verschwunden, das ist jetzt eine Art Oase. Palmen gibt es, Sonnenschirme, Gnus machen neben Menschen Rast.
Ich gehe noch bis zum Kleinhesseloher See und um ihn herum. Ruderboote sind unterwegs und auch die Riesenschildkröten im Wasser. Flamingos balancieren mit Grandezza. Ganz wunderbar erquickt fühle ich mich jetzt und bin bereit mich wieder in den Stadtverkehr zu tragen. Ich schlage die Richtung Münchner Freiheit ein, aber nur vereinzelt Häuser, außen herum Wiese, Unterholz und Picknick. Der Garten muss vergrößert worden sein, und nicht ein bisschen, sondern ohne Wenn und Aber.
Kleinhesseloher See. Foto von Karlotto aus Pixabay
Ich gehe und komme mir vor wie ein Nomade. Jetzt sehe ich auch neben mir Kamele, die große Wanderdüne ist noch ein Stück weit weg, sie hat bei den Pinakotheken Halt gemacht. Der nächste Föhnwind wird sie wohl bis nach Schwabing tragen, und die Sonnenanbeter machen dort jetzt schon mit den Gottesanbeterinnen gemeinsame Sache.
Nicht mehr der Englische Garten liegt in der Stadt, sondern die Stadt liegt im Englischen Garten. Das ist sehr schön, denke ich noch –
– und wache auf ...
Nikolai Vogel (* 1971 in München) lebt in München als Schriftsteller und bildender Künstler. Er studierte Germanistik, Philosophie und Informatik an der LMU und war Finalist beim Open Mike 2004 sowie beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2005. Darüber hinaus war er Stipendiat der Autorenwerkstatt im Literarischen Colloquium Berlin (2005), Preisträger beim Bayerischen Kunstförderpreis (2007), Projektstipendiat für Bildende Kunst der Stadt München (2008) und Gewinner im Wettbewerb „Letʼs perform Kunst im öffentlichen Raum“ des Kulturreferats München (2012). Zuletzt erschien sein 2520 Verse umfassender Gedichtband fragmente zu einem langgedicht im gutleut Verlag (2019). Vom 18. März bis 26. April 2020 las er in quarantäneähnlicher Zeit 40 Tage lang seinen noch unpublizierten Roman Angst, Saurier ein und veröffentlichte die Lesungsvideos täglich auf YouTube.
„München-Träume“. Von Nikolai Vogel (3)>
München verändert sich dauernd – eine Stadt ist lebendig. Und in einer Stadt bleibt sich aber dauernd auch vieles gleich. Manches verschwindet fast unmerklich, anderes ist schlagartig weg. Neue Realitäten entstehen – wir schauen ihnen beim Gebautwerden zu oder entdecken sie im Vorbeigehen ganz unerwartet. Wie also geht der Wandel vonstatten? Wie geht es weiter? Wie öffnet sich Zukunft? In seiner neuen Kolumne hier im Literaturportal Bayern träumt der Autor und Künstler Nikolai Vogel davon, wie die Stadt, in der er seit vielen Jahren lebt, ihn immer wieder verblüfft ...
Mit der Kolumne „München-Träume“ beteiligt sich Nikolai Vogel an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
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Englischer Garten ausgewachsen
Ich gehe mal wieder durch den Englischen Garten. Es ist einiges los. Die Leute fahren auf dem Kiesweg so langsam Rad, dass sie gerade nicht umfallen. Die Leute liegen auf dem Rasen. Die Leute spielen Ball. Die Leute planschen im Eisbach. Manche gehen in ihrer Straßenkleidung herum, manche sind in Badeklamotten, andere haben überhaupt nichts an. In München geht das. Der Monopteros steht unter einem frisch blaugestrichenen Himmel, der Biergarten ist schon zu erahnen. Ich wohne ja nicht mehr ganz so nahe wie früher, als ich im Univiertel ein Studentenzimmer hatte, aber muss wieder öfter hierherkommen, nehme ich mir vor.
Und so bin ich wirklich schon wieder hier – aber wo war ich denn gerade eben? Dieses Mal komme ich vom Odeonsplatz. Ich gehe über den Hofgarten. Die Boulespieler beratschlagen sich noch. Im Dichtergarten kommen mir die Kaninchen entgegen, ich kenne sie von früher. Aber das hier, das ist doch zweifellos – ein Känguru! Und noch eines, viele sind es. Sie springen herum wie gute Laune. Und eigenartig, es gibt gar keine Straße mehr, die anliegt. Da war doch früher viel Verkehr und man musste immer warten. Wie hieß sie gleich. Ja, Von-der-Tann und Prinzregenten. Ist das jetzt schon weiter vorne alles untertunnelt?
Das Haus der Kunst ragt vor mir auf. Dieser Koloss aus pathetischem Stein. Und muss früher doch so luftig gewesen sein, der Glaspalast! Aber der stand auch woanders, ach ja, am Alten Botanischen Garten, schade, dass das nicht von längerer Dauer war. Also hier den Stein. Aber es hat sich etwas getan. Das Erdgeschoss ist weit geöffnet, es gehört dem Garten. Keine Türen mehr. Ich sehe Wiese, sie fließt hindurch, ich sehe Blumen, Bäume, sogar ein Surfer hat sich eingefunden, von der nahen weltberühmten Welle.
Eisbach. Foto von Erwin Gabler aus Pixabay
Der Parkplatz ist endlich aufgelöst, die Terrasse abgetragen jetzt ein sanfter Hügel. Menschen liegen darauf und unterhalten sich, lesen oder schauen in die Luft, so tolle Wolken heute. Ich gehe hinunter, vorbei am Teehaus, den Eisbach entlang – springen da die Lachse? Vom Monopteros schwingen sich Trommelklänge übers Land, eine Karawane hat dort oben Halt gemacht. Und am Chinesischen Turm die neueren Essensausgabe-Bauten sind verschwunden, das ist jetzt eine Art Oase. Palmen gibt es, Sonnenschirme, Gnus machen neben Menschen Rast.
Ich gehe noch bis zum Kleinhesseloher See und um ihn herum. Ruderboote sind unterwegs und auch die Riesenschildkröten im Wasser. Flamingos balancieren mit Grandezza. Ganz wunderbar erquickt fühle ich mich jetzt und bin bereit mich wieder in den Stadtverkehr zu tragen. Ich schlage die Richtung Münchner Freiheit ein, aber nur vereinzelt Häuser, außen herum Wiese, Unterholz und Picknick. Der Garten muss vergrößert worden sein, und nicht ein bisschen, sondern ohne Wenn und Aber.
Kleinhesseloher See. Foto von Karlotto aus Pixabay
Ich gehe und komme mir vor wie ein Nomade. Jetzt sehe ich auch neben mir Kamele, die große Wanderdüne ist noch ein Stück weit weg, sie hat bei den Pinakotheken Halt gemacht. Der nächste Föhnwind wird sie wohl bis nach Schwabing tragen, und die Sonnenanbeter machen dort jetzt schon mit den Gottesanbeterinnen gemeinsame Sache.
Nicht mehr der Englische Garten liegt in der Stadt, sondern die Stadt liegt im Englischen Garten. Das ist sehr schön, denke ich noch –
– und wache auf ...
Nikolai Vogel (* 1971 in München) lebt in München als Schriftsteller und bildender Künstler. Er studierte Germanistik, Philosophie und Informatik an der LMU und war Finalist beim Open Mike 2004 sowie beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2005. Darüber hinaus war er Stipendiat der Autorenwerkstatt im Literarischen Colloquium Berlin (2005), Preisträger beim Bayerischen Kunstförderpreis (2007), Projektstipendiat für Bildende Kunst der Stadt München (2008) und Gewinner im Wettbewerb „Letʼs perform Kunst im öffentlichen Raum“ des Kulturreferats München (2012). Zuletzt erschien sein 2520 Verse umfassender Gedichtband fragmente zu einem langgedicht im gutleut Verlag (2019). Vom 18. März bis 26. April 2020 las er in quarantäneähnlicher Zeit 40 Tage lang seinen noch unpublizierten Roman Angst, Saurier ein und veröffentlichte die Lesungsvideos täglich auf YouTube.