„Bayern ist nicht (nur) München...“ (4). Von Petra Bartoli y Eckert und Gerda Stauner

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Schreiben zusammen einen Blog über die bairische Sprache in Form einer Email-Korrespondenz: Petra Bartoli y Eckert (l.) und Gerda Stauner.

Die in Niederbayern aufgewachsene Autorin Petra Bartoli y Eckert arbeitet in Form einer literarischen Email-Korrespondenz mit der Oberpfälzer Autorin Gerda Stauner auf, was die wunderbare und klangvolle Sprache in ihren jeweiligen Heimatbezirken ausmacht. Dabei zeigen sie besonders schöne Beispiele von Begriffen oder Redewendungen auf, die die Liebe der Menschen zu ihrer Heimat begreifbar machen. In ihren Texten driften die Autorinnen jedoch nicht in sprachwissenschaftliche Gewässer ab, sondern formulieren ihre Beiträge stets so, dass auch ein Zugezogener dem Geschriebenen gut folgen kann.

Mit der folgenden achtteiligen Blogreihe über die bairische Sprache beteiligen sich Petra Bartoli y Eckert und Gerda Stauner an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.

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Feste und Feiern, Sitten und Bräuche (4)

 

Von: Gerda Stauner

An: Petra Bartoli y Eckert
Betreff: Re: Re: Bayern ist nicht (nur) München. Und in München wird nicht (mehr) bayerisch gesprochen.

Liebe Petra,

das Spektrum der niederbayerischen Persönlichkeiten mit überregionaler Bekanntheit ist wirklich beachtlich! Du hast eine illustre Gesellschaft aufgezählt, von denen einige sicher für gute Stimmung sorgen können. Dabei frage ich mich, wie es grundsätzlich mit der Feierlaune in Niederbayern bestellt ist. Gibt es besondere Feste oder Bräuche, die nur dort begangen werden?

In der Oberpfalz gibt es davon eine ganze Menge. Einige sind mir selbst gut bekannt, zum Beispiel das Tillyfest in Breitenbrunn im Landkreis Neumarkt, das normalerweise im September gefeiert wird und zu einem der größten, historischen Feste Bayerns geworden ist. Ein Wochenende lang wird dabei an den Feldherrn Johann T'Serclaes von Tilly erinnert, der im Dreißigjährigen Krieg kämpfte und 1630 die Nachfolge Wallensteins antrat. Sechs Jahre zuvor hatte er von Bayerns Herrscher Maximilian I. die Grundherrschaft über Preitenegg mit dem Markt Breitenbrunn als Lehen zugesprochen bekommen. Mit dem Massaker von Magdeburg, auch Bluthochzeit genannt, ging Tilly allerdings auch als brutaler Eroberer in die Geschichte ein. Ein Brand verwandelte Magdeburg nach Tillys Erstürmung 1631 in einen Trümmerhaufen und von den vormals 35.000 Einwohnern wurden nach der Katastrophe nur noch 449 gezählt.

Übrigens hat Eduard Dietz in seinem wunderbaren Roman Steinlese Breitenbrunn ein ewiges Denkmal gesetzt und damit in meinen Augen weit mehr für den Ort getan als der streitbare Feldherr Tilly.

Aber ich wollte ja eigentlich von Festen schreiben, und nicht von Katastrophen oder Romanen. Ein schönes Beispiel für die Feierkultur in der Oberpfalz ist der Chinesenfasching in Dietfurt, von dem du sicher schon gehört hast. Da ich nur wenige Kilometer von der schönen Stadt im Altmühltal entfernt geboren wurde, habe ich diese besondere Faschingsfeier natürlich schon oft besucht. Der Chinesenfasching findet jedes Jahr an Weiberfasching statt und zieht viele Besucher an. Pünktlich um 13.61 Uhr setzt sich der Maskenzug mit fünfzig Wagen und Fußgruppen in Bewegung und anschließend wird bis in den frühen Morgen hinein auf dem Marktplatz und in den Gaststätten und Kneipen der Stadt gefeiert. Von mir gibt es ein schönes Foto mit dem „Kaiser“, der für die Faschingszeit die Geschäfte der Stadt vom Bürgermeister übernimmt. Der Name der Feier ist auf eine Legende zurückzuführen. Demnach verriegelten die Dietfurter vor dem Kämmerer des Fürstbischofs von Eichstätt die Stadttore, um keine Abgaben leisten zu müssen. Seither wurden sie wohl als „Chinesen“ bezeichnet, weil sie sich hinter ihren Mauern versteckten.

Nur wenige Kilometer von Dietfurt entfernt liegt die Stadt Berching, die für ihren Rossmarkt berühmt ist. Seit rund hundert Jahren findet der Pferde- und Fohlenmarkt am Mittwoch nach Mariä Lichtmess statt. Ursprünglich wurde er nach dem Ersten Weltkrieg zur wirtschaftlichen Förderung der Stadt Berching eingeführt. Der überregionale Markttag sollte zahlungskräftiges Publikum anlocken, wovon wiederum die ansässige Geschäftswelt profitieren würde. Der Plan ging auf, denn früher endeten die Dienstverträge der Mägde und Knechte an Mariä Lichtmess und sie hatten danach eine Woche frei, um sich eine neue Dienststelle zu suchen. Mit einem ganzen Jahreslohn ausgestattet kamen viele Arbeitssuchende nach Berching und gaben einen Teil ihres Geldes dort aus. Mittlerweile nutzen viele Politiker den Markt als Podium für ihre Festreden.

Zuletzt möchte ich noch den Further Drachenstich erwähnen, den ich selbst jedoch noch nicht besucht habe. Das Spektakel gilt als ältestes Volksschauspiel Deutschlands und wurde 2018 in das „Bundesweite Verzeichnis es immateriellen Kulturerbes“ aufgenommen. Die Ursprünge gehen wohl ins Jahr 1590 zurück. Während einer Fronleichnamsprozession in der Stadt Furth im Wald traten Bürger in Rüstungen auf, um den „Kampf des Guten gegen das Böse“ zu symbolisieren. Später wurde der Drachenstich dann in den Sommer verlegt. Der Drache selbst ist mittlerweile ein verkleideter Laufroboter, dem die Further den Kosenamen „Fanny“ gegeben haben.

Wie sieht es mit Feiern bei euch in Niederbayern aus? Welche Spektakel gibt es dort zu bestaunen?

Ich freue mich auf deine Antwort und grüße dich herzlich

Gerda

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Gerda Stauner
Freie Autorin

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website: www.gerda-stauner.de

 

 

Von: Petra Bartoli y Eckert
An: Gerda Stauner
Betreff: Re: Re: Bayern ist nicht (nur) München. Und in München wird nicht (mehr) bayerisch gesprochen.

Liebe Gerda,

Spektakel finden sich in Niederbayern zu Hauf! Und natürlich ist auch Niederbayern hier sehr brauchtumsbewusst. Vielleicht liegt das nicht nur daran, dass Niederbayern viele geschichtliche Anlässe hat, die gerne aufgegriffen werden, sondern auch an der in diesem Landstrich besonders ausgeprägten Freude am Feiern.

Als erstes Fest fällt mir hier natürlich das Gäubodenfest in Straubing ein – neben dem Münchner Oktoberfest eines der größten Volksfeste in Bayern. Mittlerweile wird das Fest werbewirksam als „Trumm vom Paradies“ bezeichnet. Ob es sich hier tatsächlich um ein Stückchen Paradies handelt, mag ich nicht beurteilen. Es ist jedenfalls ein Fest mit großer Bedeutung für die Region – und vielbesucht! Knapp eineinhalb Millionen Menschen werden alljährlich auf dem Hagen, dem Festplatz der Stadt, gezählt, wenn Mitte August der Rummel für elf Tage seine Tore öffnet. Schon als Kind war das Gäubodenfest für mich einer der Höhepunkte des Jahres. Ich liebte das quirlige Treiben, die Fahrt mit dem Riesenrad und die Zuckerwatte, die ich mir vom Volksfestgeld meiner Oma kaufen durfte. Was mir damals noch ziemlich egal war, mich heute aber sehr beeindruckt: Bereits 1812 wurde das Gäubodenfest von König Max Josef als Landwirtschaftsfest – eine Art Erntedankfest – ins Leben gerufen. Was auch passt, denn es findet jedes Jahr genau dann statt, wenn gelbe Stoppelfelder von der erfolgreichen Ernte zeugen. Anfang des 19. Jahrhunderts standen Tierschauen und Pferderennen im Mittelpunkt. Nach und nach wurde das Fest dann zum Vergnügungspark. In Zeiten des Wirtschaftswunders in den 1960er-Jahren kam die Ostbayernschau hinzu – eine Verbrauchermesse, die direkt an den Festplatz anschließt. Dort habe ich während meines Studiums gearbeitet – wie viele junge Leute aus dem Landkreis. Und nach der Arbeit durfte selbstverständlich ein Schlendern über das Gäubodenfest und der Besuch in einem der Festzelte nicht fehlen!

Neben dem größten niederbayerischen Volksfest gibt es gerade im August und September noch viele andere Jahrmärkte, Feste und Feiern, die Kultstatus haben: Der Gillamoos in Abensberg, der seinen Ursprung in der Ägidius-Wallfahrt zur Kirche der Einöde Gilla hatte, was dem Fest auch seinen Namen verlieh. Die Auer Kirwa in Frauenau im Bayerischen Wald. Das Grenzlandfest in Neuhaus am Inn bei Passau, das Gäste aus Österreich und Bayern einlädt. Die Bergkirchweih auf dem Arber, die auf dem höchsten Gipfel im Bayerischen Wald gefeiert wird. Und natürlich die Bartlmädult in Landshut, die als eines der ältesten Volksfeste Bayerns bereits seit 1339 traditionell stattfindet.

Apropos Traditionen: Alle vier Jahre wird in der niederbayerischen Hauptstadt die „Landshuter Hochzeit“ gefeiert. Seit 1903 wird hier in einem Spiel die Heirat der polnischen Königstochter Hedwig mit dem Landshuter Herzogssohn Georg im Jahr 1475 nachgestellt. Dieses historische Fest ist so spektakulär und außergewöhnlich, dass es als eines der größten historischen Festspiele Europas gilt und – wie der Further Drachenstich – 2018 zum immateriellen Kulturerbe ernannt wurde. Ich war leider selbst noch nicht dabei, habe es mir aber für 2023 fest vorgenommen. Und den Besuch des von dir erwähnten Drachenstichs in Furth im Wald auch!

Was ich schon öfter besucht habe, sind die Agnes-Bernauer-Festspiele in Straubing. Sie finden in der Regel alle vier Jahre im Innenhof des Straubinger Herzogsschlosses statt. Laiendarsteller*innen stellen das Drama von der nicht standesgemäßen Liaison zwischen dem bayerischen Herzog Albrecht III und der schwäbischen Baderstochter Agnes Bernauer nach. Die Liebesgeschichte endet mit Schrecken, denn Albrechts Vater Herzog Ernst wollte die Verbindung mit allen Mitteln unterbinden, haderte nicht lange und ließ Agnes Bernauer bei Straubing in der Donau ertränken. Parallel zu den Festspielen brachten einige Straubinger übrigens viele Jahre lang eine Parodie auf das Drama auf die Bühne. Unter dem Titel Schwimm, Agnes, schwimm! wurde der Geschichte mit viel Humor eine neue Wendung gegeben: Agnes widersetzt sich in dem Stück ihrem Schicksal und bleibt am Leben.

Egal, um welches Fest, um welche Feierlichkeit es auch geht: In Niederbayern ist das immer mit gutem und reichlichem Essen verbunden. Aber das ist eine andere Geschichte. Wobei: Jetzt würde mich interessieren, was in der Oberpfalz gerne gegessen wird und welche kulinarischen Köstlichkeiten dein Regierungsbezirk zu bieten hat. Ich merke, bei dem Thema bekomme ich gleich Appetit!

Ich bin gespannt, was du als nächstes auftischst und schicke dir viele Grüße.

Petra

Petra Bartoli y Eckert
Autorin

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website www.petra-bartoli.de 

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Die Autorin Petra Bartoli y Eckert ist Wahloberpfälzerin, im Herzen aber Niederbayern immer treu geblieben. Sie ist 1974 in der Nähe von Regensburg geboren und im Landkreis Straubing-Bogen aufgewachsen. 1994 zog sie für ihr Studium nach Regensburg. Mittlerweile hat sie in Peripherie der Stadt an der Donau Wurzeln geschlagen und lebt dort mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Etliche Jahre arbeitete sie als Sozialpädagogin mit verhaltensoriginellen Kindern und Jugendlichen. Dann entschied sie sich für eine Ausbildung zur Drehbuchautorin und mischte ihre beruflichen Karten neu. Seit 2008 ist Petra Bartoli y Eckert als freie Autorin tätig, schreibt Kinder- und Jugendliteratur, erzählende Sachbücher und Fachliteratur. Daneben arbeitet sie an Stoffen für Rundfunk und Fernsehen. 2022 ist ihr neuestes Buch Zum Glück zu Fuß – Begegnungen auf der Suche nach dem guten Leben (Ueberreuter) erschienen. Dafür war die Autorin mit dem Rucksack und zu Fuß in Bayern, Baden-Württemberg und Österreich unterwegs und hat Menschen interviewt, die besonders zufrieden sind. Petra Bartoli y Eckert wurde 2012 mit dem SOS-Kinderliteraturpreis ausgezeichnet.

Die 1973 in der Oberpfalz geborene Gerda Stauner lebt seit 1999 in Regensburg, ist verheiratet und hat einen Sohn. Nach dem Abitur studierte sie in Rosenheim Betriebswirtschaft. Zeitgleich mit ihrem Umzug nach Regensburg eröffnete sie das Themenhotel „Künstlerhaus“. Ihr erster Roman Grasmond erscheint 2016 im SüdOst Verlag. Darin setzt sich die Autorin mit den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Menschen in der Oberpfalz auseinander. Ihre Texte beschäftigen sich mit den Themen Heimat, Identität und Vertreibung und lassen die jüngere Vergangenheit der Oberpfalz bildhaft wieder aufleben. Die Figuren für ihren zweiten Roman Sauforst – Vom Suchen und Finden der Heimat entstanden in Anlehnung an ihren eigenen Familienstammbaum. Wolfsgrund – Eine Spurensuche erscheint im März 2019 und bildet den Abschluss der Trilogie um die Familie Beerbauer. Gerda Stauner ist erfolgreich mit unterschiedlichen Leseformaten an Schulen, Bibliotheken und bei Kulturveranstaltungen unterwegs. Sie gibt ihr Wissen in Schreibkursen weiter und engagiert sich in der Lese- und Schreibförderung für Jugendliche. 2018 vergibt die Stadt Regensburg den Kulturförderpreis an Gerda Stauner für ihr literarisches Schaffen und ihr kulturelles Engagement. Weitere Förderungen folgten.

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