Wer braucht schon Schneidezähne? (5)

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Grusel und Kalorien: „Candy Charcuterie“ im Gemeinschaftsbereich des Wohnhauses. Foto: Caroline Burton

Ans Virginia Center for the Creative Arts (VCCA) kommen jedes Jahr über 400 Kunstschaffende aus Literatur, Komposition und Bildender Kunst, um an ihren Projekten zu arbeiten. Im Oktober/November 2022 verbringt Carola Gruber sechs Wochen dort im Rahmen des Internationalen Stipendiums Oberpfälzer Künstlerhaus. Für das Literaturportal Bayern hält sie (literarische) Eindrücke von ihrem Aufenthalt fest.

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Am Virginia Center for the Creative Arts (VCCA) folgen die Generationen schnell aufeinander – Christina Kirchinger, Philipp Ortmeier und ich erleben in unserer vierten Woche sicher bereits die dritte oder vierte Generation Fellows.

Jede dieser Generationen hat ihre eigene Dynamik. Derzeit passt die Chemie besonders gut. Ich schnappe zahlreiche Empfehlungen auf, zum Beispiel für Filme (Jesus of Montreal von Denys Arcand, Nothing so strange von Brian Flemming und Interview with the assassin von Neil Burger) und für Bücher (Homo irrealis von André Aciman und Flamethowers von Rachel Kushner).

Bereits beim Frühstück wird über Heidegger, Raumzeit, buddhistische Sutras, westliche und östliche Denkweisen diskutiert (oder, was mich betrifft: auch mal nur zugehört). Das kann etwas anstrengend werden, ist aber vor allem sehr anregend. Außerdem wird derzeit auch viel miteinander gelacht. Und der abendliche Konsum von Wein und Kartoffelchips ist in die Höhe geschnellt – eine wunderbar familiäre und inspirierende Atmosphäre.

Orgelstück am Klavier

Ankündigung für die gemeinsame Präsentation mit Werken von Jon Pineda, Jake Warren und Philipp Ortmeier (dessen Vorname mit Doppel-P geschrieben wird, wie der Verfasser dieser Ankündigung gerade rechtzeitig vor dem Aufhängen gemerkt hat). Foto: Carola Gruber

Auch diese Woche erlebe ich wieder Werke anderer Fellows. Am Mittwoch präsentieren Jon Pineda, Jake Warren und Philipp Ortmeier Auszüge aus ihren Arbeiten.

Jon Pineda liest aus dem Manuskript, an dem er gerade arbeitet: Sein zweiter, autobiographisch gefärbter Roman erzählt die Geschichte von Paul, der in der gelesenen Passage noch ein kleiner Junge ist und unter liebevoller Anleitung seiner alleinerziehenden Mutter, einer Bibliothekarin, die Bücherei erkundet.

Jake Warren, der bereits in der Vorwoche gelesen hat, liest erneut aus seinem autobiographischen Text. Dieses Mal geht es um einen Moment zu Beginn der Beziehung, den ersten gemeinsamen Sex. Noch scheint zwischen den beiden Figuren alles in Ordnung zu sein; der Schatten, der auf der Beziehung liegen wird, lässt sich jedoch bereits erahnen.

Philipp Ortmeier spielt am Klavier drei Sätze einer Komposition für Orgel, die er in der vergangenen Woche geschrieben hat. Er beeindruckt uns damit, wie rasch und zielstrebig er das Stück geschrieben hat, und auch mit seinem Spiel am Klavier. Darin kommt einerseits die Verspieltheit dieses Instruments zum Tragen, andererseits schwingt auch eine Reminiszenz an den monumental sakralen Klang der Orgel mit.

Hommage an den schönsten Schreibplatz

Klappstuhl, Tee und Sonnenschein: Mein Lieblingsplatz zum Lesen und Schreiben am VCCA befindet sich direkt neben meinem Atelier. Foto: Carola Gruber

Am Freitag kommt James Robert Southard zu mir ins Atelier, um es zu fotografieren. Ich bin seiner Einladung gefolgt und habe einen Vorschlag für eine Fotokomposition gemacht. Gemeinsam haben wir die Idee zu einem Stillleben ausgearbeitet, das zugleich eine Hommage an mein Atelier am VCCA und die tolle Zeit hier ist. Er hat eine Skizze angefertigt und lichtet nun die Gegenstände ab, die ins Bild sollen – zusammenfügen wird er die Komposition zu einem späteren Zeitpunkt. Es ist spannend, Rob bei der Arbeit zuzusehen. Routiniert platziert er Objekte und Beleuchtung. Dabei scheut er vor dem einen oder anderen kleinen Trick, der das zusammengesetzte Bild später besonders glaubwürdig erscheinen lassen wird, nicht zurück.

Dialog der Woche

Kuchen mit Augen in Anlehnung an die Comicfigur „Swamp Thing“. Foto: Carola Gruber

Kulinarisch gesehen steht die Woche am VCCA im Zeichen von Halloween. Zum Nachttisch wird am Montag Kuchen mit Augäpfeln aus Zuckerguss (siehe Foto) serviert und am Dienstag ein Buffet aus Halloween-Süßigkeiten angerichtet (siehe Foto ganz oben). Am Sonntag gibt's „Unglückskekse“ („Misfortune Cookies“). Diese enthalten leicht verunsichernde Botschaften wie: „Your face could be mistaken for a halloween mask“. Oder: „Have you locked all the doors?“ Und: „I see you.“ Oder einfach: „Run.“ Mein Lieblingsspruch: „Who needs front teeth anyway?“

Dazu passt auch der (vollkommen ernst gesprochene) Dialog, den ich am Montag beim Abendessen höre:
Person A: „Hast Du auch einen Augapfel abbekommen?“
Person B: „Ja, hab meinen schon gegessen. Sehr lecker!“

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Carola Gruber (*1983 in Bonn) lebt als Autorin, Journalistin und Dozentin für Kreatives Schreiben in München. Sie studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Berlin, Hildesheim und Montreal. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München promovierte sie mit einer Arbeit über Kürzestprosa von Thomas Bernhard, Ror Wolf und Helmut Heißenbüttel. 2015 war sie Stadtschreiberin von Regensburg und Rottweil. Sie erhielt mehrere Preise und Stipendien, darunter das Literaturstipendium des Freistaats Bayern (2016), den Würth-Literaturpreis (2018) und das Internationale Stipendium Oberpfälzer Künstlerhaus im Virginia Center for the Creative Arts (VCCA), Virginia, USA (2020/22).