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25.04.2013, 09:59 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [28]: Zu fett um Wagner zu dirigieren oder Isoldes Bauchtanz in der Pariser Oper

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Die Pariser Oper. Foto von A. Braun, aus: 200 vues de Paris. Eds. Larousse. Paris 1930, S. 127.

Panizzas Lage wird immer prekärer. Er klagt über Halluzinationen. Das Geld wird knapp. Aber er hält sich wacker. Er geht sogar in die Pariser Oper, um sich eine Inszenierung von Tristan und Isolde anzuschauen. Darüber veröffentlicht er unter dem Pseudonym Hans Dettmar einen langen Artikel in seinen Zürcher Diskuszionen (Nr. 25-26 = 1 Heft, 1900). Dass dies keine normale Theaterkritik ist, verraten schon die ersten Zeilen: „Ich hoke oben auf meiner troisième Galerie – denn zu einer stalle d'orchestre für 25 francs hatte ich kein Geld – auch keine Lust – und sehe hinunter in den kahlen Raum, der sich demnächst mit Damast-Taljen, kahlen Schädeln, ausgeschnittenen Kleidern und strozenden Brüsten füllen soll. [...] Und Richard Wagner wird jetzt in einer Stunde diesen Raum mit seinem Geist ausfüllen“. Wieder diese eigenwillige Orthographie. Wagner ist für ihn das „teutonische Schenie“. (S. 143: Die Seitenangaben beziehen sich auf einen Neudruck des Textes in Ein Himmel voller Geigen. Die schönsten Musikgeschichten. Hg. von Hermann Neudorfer. Ffm: Fischer Tb. 2009, S. 143-161.)

Der Text wird zu einer kolossalen Collage. Einerseits wieder Beschimpfungen! Das Publikum wird beschimpft: „Was die Menschen hier für dumme Gesichter machen!“ (S. 160) Der Dirigent wird beschimpft: „Monsieur Lamoureux, Sie müssen das langsamer nehmen! – bitte sehr: so stirbt kein Mensch!“ (S. 148) Die Dirigenten in Deutschland (Levi und Bülow) können das viel besser. Lamoureux dagegen: „Sie sind überhaupt zu fett, um so eine Oper zu dirigieren! – doch, doch, ich weis Das! [...] Sie haben auch viel Verdienst für Paris, gewiß, Sie haben eine gute Seele – aber ihre Seele ist zu fett, zu fett, um Wagner zu dirigieren“. Panizza muss also diesen Tristan gesehen haben, den Charles Lamoureux kurz vor seinem Tod am 21. Dezember 1899 dirigiert hat. Und außerdem baut Panizza alles ein, was er über Wagner, über diese Oper und ihre Entstehungsgeschichte weiß. Da ist vor allem eine Liebesgeschichte: „Tristan und Isolde, das sind ja nur Fantasmagorien, nur Spiegelbilder, Tristan, das ist ja Richard Wagner, und Isolde, das ist ja Frau Wesendonck in Zürich, in deren Haus der Flüchtling gewohnt und die er verführt hat, und wegen der er vom Manne und von ganz Deutschland Schuft und Schweinehund gescholten wurde“. (S. 146) Dazwischen Bemerkungen zum Geschehen auf der Bühne, das sich von dem in Deutschland unterscheidet. Die Sängerin der Isolde spielt offensichtlich mit vollem Körpereinsatz:

Ein Schrei!... Oh mein Gott, Madame! In Deutschland dürften Sie das nicht tun [...], die Polizei käme Ihnen auf den Hals – Die Theater-Polizei käme Ihnen auf den Hals – Sie arbeiten mit dem Leib, Sie treiben den Leib heraus, dieses konvulsivische Herausstürzen, diese brüllende Aufforderung, – das ist ja die reinste danse du ventre! – so ist es gewiß nicht gewesen – keuscher war Frau Wesendonck gewiß angezogen – ja, wenn Sie auch vergiftet sind! – das Gift wirkt doch lediglich auf die Muskulatur des Unterleibs! – Sie müssen auf diese Weise die Fantasie des hölzernen Tristan zerrütten – er muß auf diese Weise zu Fall kommen. (S. 154)

Dies ist auch eine kleine Erinnerung an sein eigenes Schicksal: ihm kam die Polizei auf den Hals... Dann ein Vergleich zwischen Goethe und Wagner. Goethes Werther war ja ganz in Ordnung, aber der Faust, „dieser Mensch mit seinem bequemen Gehirn-Bordell“ (S. 158). Wagner dagegen: „Etwas, welches die dünnen Wände, die uns vom Ewigen, vom Aussermenschlichen trennen, so deutlich empfinden, so hörbar abklopfen läst – bis nicht der Prozeß des Sich-Selbst-Aufgebens, des Die-eigne-Seele-wie-einen-Waschlappen-Hinwerfens vollendet ist, und der Betreffende dann sozusagen nur noch ausermenschlich, nur noch für die Ewigkeit schaft ... dann schreibt man Tristan“. (S. 158) Im Grunde hat das Pariser Publikum so eine Oper nicht verdient, das ganze bürgerliche Europa hat das nicht verdient. Panizza schließt mit einem Aufruf zur Revolution: „Oh, Richard Wagner! – Heiliger Richard Wagner! – erstehe aus Deinem Grabe – ergreife den Taktstok – und morgen begint die Revoluzjon!“ (S. 161)

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