Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (43). Wo Nordsee und Niederbayern sich im Luziden begegnen

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/2022/klein/hoff_43_500.jpg
Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

*

43

Eigentlich finde ich, muss ich nicht mehr viel erklären, wenn Sie sich das Bild dieser Pflanze anschauen. Vielleicht noch, warum ich sie Ihnen zeige, wenn ich gleichzeitig Tomaten, Auberginen, Birnen und Pfirsiche, Kapuzinerkresse und Karotten und Zucchini und was weiß ich nicht vorführen könnte und ohne zu lügen, behaupten, dass am Hang gegenüber gerade ein Reh, das vermutlich ein Rehbock ist, durchs Gebüsch äst. Und by the way erzählen, dass der kleine Rehbock, der hier auch schon ein paar Mal vorkam (glaube ich wenigstens), nicht mehr am Leben ist. Was mich traurig stimmt. Der Nachbar hat ihn oben im Wald gefunden. Woran auch immer gestorben.

Ich will aber vom Sanddorn erzählen. Weil der Sanddorn gerade DIE Pflanze im Garten ist, die ich jeden Abend besuche. Der Sanddorn ist eine Pflanze, die ich mir immer wünschte. Ich habe keine Ahnung, wann sie mir das erste Mal begegnet ist, vielleicht auf meiner ersten Reise alleine, da war ich achtzehn oder neunzehn und bin ein paar Wochen auf den nordfriesischen Inseln unterwegs gewesen. Sylt und Amrum und Föhr und dann auch noch am Festland, die Nordsee-Küste entlang. Eine von weit herreichende Erinnerung glaubt, ich habe damals und dort irgendwo diese Pflanze zum ersten Mal gesehen und sofort bewundert.

Ich mag filigrane Pflanzen, ich mag das Luzide, ich mag, wenn die Blätter im Wind sich so bewegen, dass es immerzu glitzert, im Abendlicht und wenn die Sonne gerade so untergegangen ist auch. Eigentlich immer. Ich mag, wie der Sanddorn, das Weibchen, im Frühling diese kleinen Knospen ausbildet, die wie goldschimmernde Pickel auf den Zweigen sitzen, ich mag, dass ich weiß, daraus werden irgendwann diese wunderschönen Beeren werden, die Sie nun auf den Fotografien sehen.

Ich mag es, die Natur ein bisschen zu feiern für ihre Schönheit.

Der Sanddorn, nicht meiner, jeder Sanddorn mag eigentlich viel lieber Böden, die es hier gar nicht gibt, sandige (und nicht so lehmige harte Böden wie hier in Niederbayern), deshalb sieht man ihn auch viel häufiger dort, wie es solche gibt, in Küstennähe, aber er wächst durchaus auch anderswo und verbreitet sich von selbst oder über Vogelscheiße. Nur, das sagte mir die Gärtnerin, bei der ich ihn kaufte, es braucht immer Männchen und Weibchen, damit das Weibchen Früchte trägt, die anscheinend sogar ohne Bestäubung durch Bienen entstehen können, nur durch die Luft.

Der größte Feind meines Sanddorns ist die Wühlmaus. Die Wühlmaus hat bereits zwei Sanddorn-Männchen vernichtet, indem sie ihnen die anscheinend sehr wohlschmeckenden Wurzeln bis auf den Stamm abgefressen hat. Die eine Pflanze erst neulich. Sie steht noch, ich habe sie nicht extra fotografiert, aber es kann sein, man sieht sie auf einem der Bilder. Das andere Männchen steht noch gut da. Aber anders als bei vielen Tieren ist es hier tatsächlich mal so, dass die weibliche Pflanze die prächtigere ist, die größere und wegen ihrer ovalen, glänzend orangefarbenen Beeren auch die prachtvollere. Das gefällt mir natürlich.

Meine Sanddorn-Dame trägt dieses Jahr zum zweiten Mal. Im letzten Jahr trug sie genau drei Beeren, in diesem trägt sie wenigstens zwanzig. Das ist eine mächtige Steigerung, finde ich. Weil die Pflanzen frühestens ab dem sechsten Jahr tragen, erwarte ich bei solchem Zuwachs, dass ich, wenn ich mal alt bin, unterm Sanddorn-Busch liegen kann und mir die Beeren von den dichtbehangenen Zweigen direkt in den Mund fallen. Ich höre dann wahrscheinlich die Nordsee rauschen. Oder so.

**

Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts
Mehr