Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (40). Und ist fasziniert von den Bibern und fühlt mit den Weiden

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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40

Kann sein, ich habe das schon einmal erwähnt, aber meine große Faszination gilt nicht nur den Rehen, die ich hier draußen fast täglich sehe, und auf die ich jedes Mal von neuem so gebannt schaue, als ob es das erste Mal wäre.

Und genauso geht es mir mit den Bibern oder genauer, mit den Biberarbeiten. Ich habe die Tiere selbst noch nie gesehen, aber immer wenn ich entlang des Bachs gehe, der durch das Dorf läuft, an dessen Rand wir wohnen, betrachte ich ihre nicht zu brechende Schaffenskraft.

Als Kind wurde mir von wem auch immer erzählt, die Biber machen das, um Dämme zu bauen. Aber das ist eigentlich nicht ganz wahr. Klar brauchen sie Dämme, und zwar dann, wenn der Eingang ihres Baus nicht mehr im Wasser liegt, und sie deshalb gefährdet durch Angreifer sind. Aber für den Bau von Dämmen finden sie genügend Material am Fluss, das nicht erst gefällt werden muss.

Es geht den Bibern vor allem um Nahrung. Der Biber ist ja ein Vegetarier und eigentlich liebt er es, viele verschiedene Wurzeln und Kräuter und Knospen zu essen, was ich gut verstehen kann, weil ich das auch liebe. Aber für den Biber gibt es die im Winter nicht. Deshalb nagt er die Bäume durch. Die Rinde der Weiden ist nahrhaft, das ist schonmal gut, aber im Grunde genommen will der Biber an die feinen Knospen kommen, die vor allem in den Kronen der Bäume wachsen, deshalb müssen die Bäume fallen.

Ich gehe da also immer entlang, und einerseits bin ich natürlich schwer beeindruckt von den Fortschritten, die die Tiere während ihrer nächtlichen Arbeiten machen, andererseits schmerzen mich diese alten Weiden sehr. Und ich staune darüber, dass die Gemeinde den Bibern ihre Arbeiten weiterhin ermöglicht. Denn man kann ja etwas dagegen tun. Im Englischen Garten haben die Münchner Stadtgärtner alle Bäume, die am Eisbach entlang stehen, mit Drahtgitter so eingeschlagen, dass weder der kleinste Biber durchschlüpfen noch der größte Biber sich zum Baum durchnagen kann. Ich halte das für sinnvoll.

Andererseits, da, wo ich auf dem Land wohne, ist der Bayerische Wald nahe und wie man weiß, ist das ein Naturpark, in dem alles fällt und wächst wie es kommt. Was so einen wilden Wald schafft, dass man sich einen anderen gar nicht mehr wünscht. Vielleicht hat sich die Gemeinde, in der ich hier draußen wohne, da was abgeguckt. Was schön und schade zugleich wäre: Weil so schnell wächst am Fluss ja nichts nach. Dann wären die Bäume weg und die Biber auch und ich würde nur noch nach Rehen schauen.

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Die Kolumne pausiert und wird ab dem 1. August 2022 wieder fortgesetzt. 

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