Kultur trotz Corona: Schullektüre und Junges Lesen (7). Von Leander Steinkopf

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James Tissot: "Faust and Marguerite in the Garden", Öl auf Leinwand, 1861.

Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.

Im Interview: Frank Rudkoffsky (*1980 in Nordenham) lebt als Autor, freier Journalist und Literaturblogger in Stuttgart, bis 2017 war er auch Mitherausgeber der Tübinger Literaturzeitschrift ]trash[pool. Als Auszeichnung für seinen zweiten Roman Fake erhielt er 2020 ein Jahresstipendium vom Land Baden-Württemberg. Sein dritter Roman erscheint im Herbst 2022 bei Voland & Quist.

Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation bei Claassen.

Mit der folgenden zehnteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an der Fortsetzung von Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.

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Wie kamst Du zum Schreiben?
Ich bin mir über das Klischee im Klaren, aber tatsächlich wollte ich schon seit dem Grundschulalter nie etwas anderes werden als Schriftsteller. Weil in meinem Elternhaus aber deutlich mehr raubkopierte VHS-Kassetten mit Hollywood-Streifen und Spaghetti-Western als Bücher zu finden waren, hat damals vor allem das Kino meine Kreativität geprägt. Spuren davon findet man noch heute in meinen Texten – manchmal durch Referenzen, vor allem aber im oft sehr szenischen Aufbau meiner Romane.

Wann und wodurch entstand Dein Interesse für Literatur?
Leider nicht in der Schule. Zum einen fand ich mich in den Büchern des recht altbackenen Lehrplans nicht wieder, zum anderen hatte ich bis zur Oberstufe nur Lehrer*innen, denen wenig daran gelegen war, Begeisterung für Literatur zu vermitteln. Privat las ich als Jugendlicher noch eher unterhaltsame Bücher, etwa von Douglas Adams oder Terry Pratchett. Sie lieferten mir dann auch die Blaupause für meinen dreist zusammengeklauten ersten Roman, den ich mit 16 schrieb – übrigens der erste von vieren, die zu Recht in der Schublade blieben. Wohl eher nix fürs Literaturarchiv in Marbach, sollte ich eines Tages mal berühmt werden. Heißt im Umkehrschluss aber auch: Dranbleiben lohnt sich.

Was kann Literatur, was Serien und Filme nicht können?
Zum einen natürlich die eigene Vorstellungskraft anregen. Literatur schafft beim Lesen aber auch einen ganz eigenen Resonanzraum: Man ist als Leser*in viel tiefer in die Geschichte und die Gedankenwelt der Figuren eingebunden, bringt beim Lesen auch immer etwas von sich selbst mit ein. Dadurch entsteht eine deutlich nachhaltigere Empathie, eine ganz andere Möglichkeit der Selbsterkenntnis, des Verstehens. Bis zur goldenen Ära der Serien hätte ich auch noch die Zeit ins Feld geführt, die sich Literatur – anders als Filme – etwa für die Figurenentwicklung nehmen kann. Da gibt es aber inzwischen ja viele ganz hervorragende Serien, denen man die literarische Qualität nicht absprechen kann – zum Beispiel bei meinem persönlichen Favoriten Better Call Saul.

Hat Dir Schullektüre im Leben weitergeholfen?
Dafür waren es vielleicht nicht unbedingt die falschen Bücher, aber leider zumeist die falschen Lehrer*innen. Das muss ich also bedauerlicherweise verneinen.

Wenn Du Deutschlehrer wärst, welches Buch würdest Du Deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Viele Klassiker haben natürlich ihre Berechtigung und sollten weiterhin gelesen werden, aber mir wäre es als Lehrer wichtig, meine Schüler*innen für Literatur zu begeistern – und das geht am ehesten mit Autor*innen und Stoffen, die sie in ihrer Lebenswelt abholen und sich mit heute relevanten Themen auseinandersetzen. In der Mittelstufe könnte man anstelle des ewigen Tschick zum Beispiel auch ganz hervorragend Hawaii von Cihan Acar lesen, in der Oberstufe aktuell etwa Drei Kameradinnen von Shida Bazyar. Es gehört einfach viel mehr Diversität in den Bildungskanon – und es sollten auch deutlich mehr Romane von Frauen im Unterricht gelesen werden. Außerdem glaube ich, dass ich als Schüler meine helle Freude an Clemens Setz gehabt hätte. Es muss ja nicht immer nur Kafka sein.

Warst Du ein guter Schüler?
Ich war relativ gut in meinen Leistungskursen Deutsch und Englisch, ansonsten habe ich mich so durchgewurschtelt und selten mehr als das Nötigste getan. Ein klassischer 2,5er im Abi also. Dass ich in der Schule mit einigermaßen begrenztem Aufwand immer gut durchgekommen bin, hat sich dann gerächt, als ich im Studium das Kleine Latinum nachholen musste – und erst einmal lernen, wirklich zu lernen.

Wurde in Deiner Familie viel gelesen?
Früher war ich der einzige mit einem echten Faible fürs Lesen bei uns, heute versorge ich meine Mutter allerdings regelmäßig mit Buchtipps und freue mich darüber, dass ich damit bislang fast immer richtig lag.

Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Gedichtinterpretationen, besonders, wenn wir dann auch noch das Reimschema bestimmen mussten. Auch mit Dramen konnte ich bis zur Oberstufe nur wenig anfangen.

Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Zu meiner damaligen Überraschung tatsächlich Faust – auch weil wir uns dabei nicht nur mit Goethe, sondern auch mit ganz unterschiedlichen und modernen Varianten des Faust-Stoffes befasst haben. Davor wurde mir in der Mittelstufe noch davon abgeraten, Deutsch als Leistungskurs zu wählen – und ich bin froh, dass ich darauf nichts gegeben habe. Im Deutsch-LK hatte ich nämlich endlich einen Lehrer, der Freude an Literatur wecken konnte, und so sprang ich von 6 Punkten in der elften Klasse auf 12 Punkte im Leistungskurs. Dank diesem Lehrer habe ich später dann unter anderem auch Neuere Deutsche Literatur studiert.

Frank, Deine Frau ist Deutschlehrerin. Was macht sie anders als Deine Lehrer früher?
Auch sie ist natürlich zumeist an den Lehrplan gebunden und daran, dass alle Bücher, die im Unterricht gelesen werden dürfen, zum Bestand der Schule gehören müssen. Aber sie ist unglaublich engagiert und sucht immer kreative Wege, um die Lebenswelt ihrer Schüler*innen mit einzubeziehen und ihnen so den Zugang zu den Stoffen zu erleichtern. Ich wäre froh gewesen, jemanden wie sie als Lehrerin gehabt zu haben.

Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Unbedingt. Durch Literatur lernt man, seinen Blick auf sich selbst und andere, seine Wahrnehmung der Welt zu hinterfragen. Man lernt Toleranz, Verständnis und Empathie für Menschen mit ganz anderen Hintergründen als den eigenen. Und nicht zuletzt ist Literatur ja auch ein ganz wichtiger Spiegel. Es heißt zwar manchmal, Lesen sei eine einsame Beschäftigung – dabei ist das Gegenteil der Fall. Nie fühlt man sich weniger allein als dann, wenn man begreift, dass es anderen genauso geht wie einem selbst, dass sie dieselben Sorgen, Ängste und Probleme umtreiben – und all das dann in Figuren und Geschichten übersetzt haben, die einem die Augen öffnen können.

Frank, danke Dir für das Interview!

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