Logen-Blog [115]: DIe hold-selige Kunst der Meistersänger und ihr Nachleben
„Jean Paul“ wanderte 1798 nach Nürnberg – aber nur und immerhin literarisch. In den Palingenesien, die er in Leipzig schrieb, setzte er der alten Gassenstadt und den Meistersingern und -sängern ein poetisches Denkmal, doch noch 1811 hatte er „den Entschluss, nach Nürnberg zu gehen, eine Wetterveränderung, die ihn länger aufhalten mochte, fürchtend, aufgegeben, und „so sehr ich“, schrieb der Erlanger Pfarrer Johann Philipp le Pique 1804, „ihm auch riet, diese Stadt zu sehen, worin er, wiewohl er Fata und Werke vor und in Nürnberg geschrieben, doch nie dem Leibe nach gewesen, so ließ er sich doch nicht dazu vermögen“. Erst im Juni 1812 reiste er von Bayreuth in die Pegnitzstadt: diesmal für einen vollen Monat. Hier traf er endlich Jacobi (eine Enttäuschung) und Hegel und dessen Frau, eine echte Tucherin, Nürnbergischen Patriziergeblüts also. „Übrigens“, schrieb er an Emanuel Osmund, „find' ich hier überall mehr altes redliches Deutschtum, und unter dem männlichen und weiblichen Volke weniger Sittenverderbnis als in Bayreuth“. Man lebe hier wohlfeiler als in Bayreuth, der Presssack sei zehnmal besser als in Bayreuth. Auch seien die höheren Stünde hier „besser als der zeitfressende baireuther Adel“, und wir erinnern uns daran, was der Erzähler der Loge von diesen „höheren Ständen“ hielt: unherzlich wenig (was den Autor nicht daran hinderte, immer wieder mit dem höchsten Adel zu korrespondieren; siehe König Max, siehe Zar Alexander).
Jean Paul zitierte in den Palingenesien aus einem Werk, das wieder ich in einer schönen Ausstellung im Fembohaus, also dem Stadtgeschichtlichen Museum, zu Gesicht bekomme. Wir haben Wagner-Jahr, seine wunderbaren Meistersinger haben das Bild der Stadt geprägt, aber beide – der alte und der jüngere Meister, der gelegentlich musizierende, musikalische Dichter und der schriftstellernde Musiker – haben, unter anderem, zwei Quellen für ihre Nürnberg-Fata benutzt: die Stücke des Schuhmacherpoeten Hans Sachs – nebenbei: des bedeutendsten deutschen Dichters des 16. Jahrhunderts (falls man „Bedeutung“ so einfach definieren kann, aber die Literaturwissenschaft hat sich, wohl zu Recht, darauf geeinigt) – und jenen Traktat des Altdorfer Professors Johann Christoph Wagenseil: das Buch von der Meister-Singer Holdseligen Kunst. Wenn man die Aufzählung der Meisterweise und -töne vernimmt, die der Geselle David im ersten Akt der Oper in seiner köstlichen „Arie“ (es ist ja keine) dem verwirrten und überforderten Ritter von Stolzing vordekliniert, darf sich auch der Wagnerianer daran erinnern, dass die Stelle ihr Pendant im Nürnberg-Kapitel des anderen großen Bayreuthers hat, der 1793 – da lebte er noch nicht am Roten Main – nach Neustadt kam. In der Zeit der Unsichtbaren Loge also besuchte er, von Schwarzenbach hierher wandernd, zusammen mit Christian Otto die Stadt an der Aisch, um den Geistesfreund Johann Friedrich Wernlein zu sprechen und Freund Oertel wiederzusehen. Und eine Dame namens Christiana Juliana Walz – fatalerweise die Verlobte Oertels – entzückte den jungen Mann, der gerade eine unschuldige Beata- und Gustav-Liebe beschrieben hatte. Kein Wunder, dass er die Zeit noch länger als eine besonders glückliche in Erinnerung hielt – trotz des harten Abschieds von der jungen Frau mit den schwarzen Augen.
Wieso ich auf Neustadt komme? Weil die Stadt mir in der Stadt Nürnberg, der Stadt der Meistersinger, begegnet. Ich weiß übrigens nicht, ob Sean Paul ein Meistersinger ist; ich weiß nur, dass er ein Sänger ist, dem der Osterspaziergänger auch in Nämberch – wie die Nürnberger zärtlich ihre Stadt nennen – begegnen kann, wenn auch nur und immerhin im Plakat.
Hat wohl je, ich bitt' es mir zu sagen, irgendein Burggraf, ein Losunger, ein junger Patrizier, ein Reisediener, ein Brandenburger sich so hässlich und so spät verirret wie ich? Kam er wie ich (er sag' es frei) zum Hallertürlein hinein und dann in die Negeleinsgasse – dann auf den Geiersberg – dann in die Irrergasse? So sieht es heute an Irrerstraße und Geiersberg aus: weniger eng, nach dem Kriege neugebaut – doch immer noch „altdeutsch“ anmutend.
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„Jean Paul“ wanderte 1798 nach Nürnberg – aber nur und immerhin literarisch. In den Palingenesien, die er in Leipzig schrieb, setzte er der alten Gassenstadt und den Meistersingern und -sängern ein poetisches Denkmal, doch noch 1811 hatte er „den Entschluss, nach Nürnberg zu gehen, eine Wetterveränderung, die ihn länger aufhalten mochte, fürchtend, aufgegeben, und „so sehr ich“, schrieb der Erlanger Pfarrer Johann Philipp le Pique 1804, „ihm auch riet, diese Stadt zu sehen, worin er, wiewohl er Fata und Werke vor und in Nürnberg geschrieben, doch nie dem Leibe nach gewesen, so ließ er sich doch nicht dazu vermögen“. Erst im Juni 1812 reiste er von Bayreuth in die Pegnitzstadt: diesmal für einen vollen Monat. Hier traf er endlich Jacobi (eine Enttäuschung) und Hegel und dessen Frau, eine echte Tucherin, Nürnbergischen Patriziergeblüts also. „Übrigens“, schrieb er an Emanuel Osmund, „find' ich hier überall mehr altes redliches Deutschtum, und unter dem männlichen und weiblichen Volke weniger Sittenverderbnis als in Bayreuth“. Man lebe hier wohlfeiler als in Bayreuth, der Presssack sei zehnmal besser als in Bayreuth. Auch seien die höheren Stünde hier „besser als der zeitfressende baireuther Adel“, und wir erinnern uns daran, was der Erzähler der Loge von diesen „höheren Ständen“ hielt: unherzlich wenig (was den Autor nicht daran hinderte, immer wieder mit dem höchsten Adel zu korrespondieren; siehe König Max, siehe Zar Alexander).
Jean Paul zitierte in den Palingenesien aus einem Werk, das wieder ich in einer schönen Ausstellung im Fembohaus, also dem Stadtgeschichtlichen Museum, zu Gesicht bekomme. Wir haben Wagner-Jahr, seine wunderbaren Meistersinger haben das Bild der Stadt geprägt, aber beide – der alte und der jüngere Meister, der gelegentlich musizierende, musikalische Dichter und der schriftstellernde Musiker – haben, unter anderem, zwei Quellen für ihre Nürnberg-Fata benutzt: die Stücke des Schuhmacherpoeten Hans Sachs – nebenbei: des bedeutendsten deutschen Dichters des 16. Jahrhunderts (falls man „Bedeutung“ so einfach definieren kann, aber die Literaturwissenschaft hat sich, wohl zu Recht, darauf geeinigt) – und jenen Traktat des Altdorfer Professors Johann Christoph Wagenseil: das Buch von der Meister-Singer Holdseligen Kunst. Wenn man die Aufzählung der Meisterweise und -töne vernimmt, die der Geselle David im ersten Akt der Oper in seiner köstlichen „Arie“ (es ist ja keine) dem verwirrten und überforderten Ritter von Stolzing vordekliniert, darf sich auch der Wagnerianer daran erinnern, dass die Stelle ihr Pendant im Nürnberg-Kapitel des anderen großen Bayreuthers hat, der 1793 – da lebte er noch nicht am Roten Main – nach Neustadt kam. In der Zeit der Unsichtbaren Loge also besuchte er, von Schwarzenbach hierher wandernd, zusammen mit Christian Otto die Stadt an der Aisch, um den Geistesfreund Johann Friedrich Wernlein zu sprechen und Freund Oertel wiederzusehen. Und eine Dame namens Christiana Juliana Walz – fatalerweise die Verlobte Oertels – entzückte den jungen Mann, der gerade eine unschuldige Beata- und Gustav-Liebe beschrieben hatte. Kein Wunder, dass er die Zeit noch länger als eine besonders glückliche in Erinnerung hielt – trotz des harten Abschieds von der jungen Frau mit den schwarzen Augen.
Wieso ich auf Neustadt komme? Weil die Stadt mir in der Stadt Nürnberg, der Stadt der Meistersinger, begegnet. Ich weiß übrigens nicht, ob Sean Paul ein Meistersinger ist; ich weiß nur, dass er ein Sänger ist, dem der Osterspaziergänger auch in Nämberch – wie die Nürnberger zärtlich ihre Stadt nennen – begegnen kann, wenn auch nur und immerhin im Plakat.
Hat wohl je, ich bitt' es mir zu sagen, irgendein Burggraf, ein Losunger, ein junger Patrizier, ein Reisediener, ein Brandenburger sich so hässlich und so spät verirret wie ich? Kam er wie ich (er sag' es frei) zum Hallertürlein hinein und dann in die Negeleinsgasse – dann auf den Geiersberg – dann in die Irrergasse? So sieht es heute an Irrerstraße und Geiersberg aus: weniger eng, nach dem Kriege neugebaut – doch immer noch „altdeutsch“ anmutend.