Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (38). Hört einem schnorchelnden Siebenschläfer zu und spielt abends Katze

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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38

Alles gehört ja irgendwie mit allem zusammen. Was ich draußen sehe und was ich drinnen höre, und was ich drinnen vielleicht nur höre, weil sich draußen etwas verändert hat und so weiter.

Ich schlafe neben einem Siebenschläfer. Oder der Siebenschläfer schläft neben mir. Nicht direkt, aber nur etwa einen halben Meter von mir entfernt, schläft und wohnt das Tier in der Holzwand. Ich weiß das sehr genau, weil ich es nachts scharren höre. Jetzt im Winter, wenn es draußen kalt ist und das Tier manchmal wach ist, manchmal schläft, höre ich es auch schnarchen, was eher so wie schnorcheln klingt eigentlich, ein ganz leises Schnorcheln aus der Wand. Das muss mich nicht stören, aber so recht daran gewöhnen kann ich mich auch nicht. Zumal der Siebenschläfer manchmal eben auch wach ist jetzt im Winter in der Nacht und dann stundenlang in der Wand und über mir, über uns, im Dach herumrennt, um irgendwelche Dinge zu erledigen, die ich nicht verstehe. Manchmal vermute ich, er transportiert etwas, aber Siebenschläfer pflegen ja keinen gewöhnlichen Haushalt, und also komme ich mit meinen menschlichen oder vermenschlichenden Phantasien auch nicht weiter.

Im letzten Winter war der Siebenschläfer nicht da. Klar warum, der Nachbars-Kater, genannt Katzo, er kam hier in dieser Reihe auch schon vor, ist das ganze Frühjahr, den ganzen Sommer und den ganzen Herbst und den ganzen Winter auf dem Dach herumgestiegen, überhaupt auf dem ganzen Haus herumgestiegen und hat aufgeräumt. Es war wunderbar. Der Katzo ist bekanntlich umgezogen, und seither steht das Haus nicht mehr unter Schutz.

Vor einigen Tagen bin ich deshalb nach eineinhalb Jahren Pause wieder mit einem Tacker und Gitterstücken ums Haus herumgejagt, um mögliche Löcher zu schließen, aber es sind so viele Stellen am Haus, durch die so ein kleiner geschmeidiger Siebenschläfer zwischen die Holzwände oder unters Dach schlüpfen kann, dass es unmöglich ist, alle zu schließen. Nach einer Stunde kleine Gitterzäune ans Haus tackern, habe ich also wieder aufgehört.

Manchmal spiele ich nun abends Katze. Wenn ich den Siebenschläfer in der Wand neben meinem Bett höre, wo ich gerade lese, beginne ich zu fauchen. Ich fauche die Wände an und zwischen die Holzplanken hinein, immer wieder. Dann wird es darin ganz still. Ich fauche wieder. Manchmal knurrt der Siebenschläfer dann. Nach einer Weile huscht das Tier hörbar und auf Wegen, die ich nicht verstehe, unter dem Dach entlang in die andere Hälfte des Hauses, wo es dann umso mehr herumturnt.

So geht das immer. Fast jeden Abend. In der Nacht wache ich auf und er schnorchelt wieder. Ich versuche das zu akzeptieren, ich denke mir, ist doch gemütlich, auf der einen Seite von mir schnorchelt mein Mann ein bisschen, auf der anderen der Siebenschläfer. Alles ziemlich familiär. Mit den Reality-Fotos muss ich heute passen.

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