Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (37). Im Angesicht der schwindenden Tierwelt
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
37
Gestern Abend, bevor ich einschlief, hörte ich, wie so oft in letzter Zeit, ziemlich laut den Waldkauz rufen. Früher habe ich mich davor gefürchtet. Seine Laute kamen mir unheimlich vor, irgendwo im Off rief jemand nach mir. Ich dachte an den Tod. Daran erinnere ich mich auch heute noch, wenn ich seine Rufe höre, aber Angst machen sie mir keine mehr. Vielmehr würde ich den Kauz gerne mal sehen, finden. Er kann nicht weit weg sein. Aber so leicht ist das nicht. Ich müsste den Abend stillsitzend im Wald verbringen. Ich nehme mir das vor für den Sommer.
Aber es beruhigt mich sehr, dass er da ist, denn mein Gefühl täuscht mich nicht: Die Vögel hier, in der freien Natur, sind weniger vielfältig geworden. Ich erinnere mich, wie viele verschiedene Vogelarten ich noch vor sechs Jahren sah, das war der erste Winter, in dem wir das Haus am Wald hatten. Heute kommen die Blaumeise, eine Kohlmeise, die Haubenmeise, Amseln, der Sperber und Eichelhäher zum Haus. Das ist es dann auch schon. Und auch an Tagen, an denen die Luft Minus sechs Grad hat, wie heute, der Boden gefroren ist, werden es nicht mehr. Keine Goldammer, kein Rotkehlchen, kein Gimpel, kein Zaunkönig. Heute Morgen zum Beispiel war eine ganze Weile nur die eine einzige Kohlmeise da.
Überhaupt die Tiere.
Vorhin bin ich ums Haus herumgelaufen, ich wollte nach Tierspuren schauen, weil unter unserem Dach eine ganz Bande Siebenschläfer wohnt, ich wollte schauen, ob ich endlich einmal Spuren finden kann, die ins Haus führen, nichts. Unsere Vermutung ist, sie springen über einen Baum aufs Dach. Aber auch sonst war wenig los, natürlich die Rehe waren unterwegs, aber kein Hase, kein Marder, nichts.
Vielleicht hatte ich auch nur Pech und die Tiere haben sich lieber im dichten Wald versteckt in dieser eher schneestürmigen Nacht hier draußen. Ich könnte das verstehen.
Aber zu denken gibt es mir trotzdem.
Vor ein paar Jahren hatte ich mal zu einer Werkstatt mit Studierenden den Münchner Stadtjäger eingeladen. Er erzählte, dass inzwischen in der Stadt mehr Füchse und Kaninchen, Hasen leben als auf dem Land, weil es mehr zu fressen gibt, klar, er erzählte, dass die Vogelpopulation in der Stadt weitaus höher ist, als die auf dem Land, weil im Englischen Garten (zum Beispiel) keine Pestizide versprüht werden, und im wilden Teil, jenseits des Rings, die Wiesen eine größere Artenvielfalt aufweisen als die meisten Wiesen auf dem Land.
Ich fand das früher immer albern, im Winter ein Vogelhaus aufzustellen, und was für Menschen mit Kindern oder alte Leute, die sonst nicht mehr zu tun haben, als den Vögeln beim Picken zuzuschauen, aber das hat sich verändert; seit ich kapiere, dass wir nicht nur Bienen und Schmetterlinge verlieren, sondern auch der Vogelbestand drastisch zurückgeht, weil vielen Bauern die Vögel so nichtsnutzig zu sein scheinen wie der Wolf. Sind sie aber nicht (genausowenig wie der Wolf), und sie im Winter zu füttern, hilft ihnen zu überleben.
Außerdem, wenn es dann doch einmal geschieht, dass der Schwarzspecht oder der Buntspecht am Häuschen vor meinem Schreibtischbalkon vorbeischauen, tue ich Abbitte bei meiner Oma. Schon sehr beeindruckend, diese wilden Tiere.
**
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (37). Im Angesicht der schwindenden Tierwelt>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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37
Gestern Abend, bevor ich einschlief, hörte ich, wie so oft in letzter Zeit, ziemlich laut den Waldkauz rufen. Früher habe ich mich davor gefürchtet. Seine Laute kamen mir unheimlich vor, irgendwo im Off rief jemand nach mir. Ich dachte an den Tod. Daran erinnere ich mich auch heute noch, wenn ich seine Rufe höre, aber Angst machen sie mir keine mehr. Vielmehr würde ich den Kauz gerne mal sehen, finden. Er kann nicht weit weg sein. Aber so leicht ist das nicht. Ich müsste den Abend stillsitzend im Wald verbringen. Ich nehme mir das vor für den Sommer.
Aber es beruhigt mich sehr, dass er da ist, denn mein Gefühl täuscht mich nicht: Die Vögel hier, in der freien Natur, sind weniger vielfältig geworden. Ich erinnere mich, wie viele verschiedene Vogelarten ich noch vor sechs Jahren sah, das war der erste Winter, in dem wir das Haus am Wald hatten. Heute kommen die Blaumeise, eine Kohlmeise, die Haubenmeise, Amseln, der Sperber und Eichelhäher zum Haus. Das ist es dann auch schon. Und auch an Tagen, an denen die Luft Minus sechs Grad hat, wie heute, der Boden gefroren ist, werden es nicht mehr. Keine Goldammer, kein Rotkehlchen, kein Gimpel, kein Zaunkönig. Heute Morgen zum Beispiel war eine ganze Weile nur die eine einzige Kohlmeise da.
Überhaupt die Tiere.
Vorhin bin ich ums Haus herumgelaufen, ich wollte nach Tierspuren schauen, weil unter unserem Dach eine ganz Bande Siebenschläfer wohnt, ich wollte schauen, ob ich endlich einmal Spuren finden kann, die ins Haus führen, nichts. Unsere Vermutung ist, sie springen über einen Baum aufs Dach. Aber auch sonst war wenig los, natürlich die Rehe waren unterwegs, aber kein Hase, kein Marder, nichts.
Vielleicht hatte ich auch nur Pech und die Tiere haben sich lieber im dichten Wald versteckt in dieser eher schneestürmigen Nacht hier draußen. Ich könnte das verstehen.
Aber zu denken gibt es mir trotzdem.
Vor ein paar Jahren hatte ich mal zu einer Werkstatt mit Studierenden den Münchner Stadtjäger eingeladen. Er erzählte, dass inzwischen in der Stadt mehr Füchse und Kaninchen, Hasen leben als auf dem Land, weil es mehr zu fressen gibt, klar, er erzählte, dass die Vogelpopulation in der Stadt weitaus höher ist, als die auf dem Land, weil im Englischen Garten (zum Beispiel) keine Pestizide versprüht werden, und im wilden Teil, jenseits des Rings, die Wiesen eine größere Artenvielfalt aufweisen als die meisten Wiesen auf dem Land.
Ich fand das früher immer albern, im Winter ein Vogelhaus aufzustellen, und was für Menschen mit Kindern oder alte Leute, die sonst nicht mehr zu tun haben, als den Vögeln beim Picken zuzuschauen, aber das hat sich verändert; seit ich kapiere, dass wir nicht nur Bienen und Schmetterlinge verlieren, sondern auch der Vogelbestand drastisch zurückgeht, weil vielen Bauern die Vögel so nichtsnutzig zu sein scheinen wie der Wolf. Sind sie aber nicht (genausowenig wie der Wolf), und sie im Winter zu füttern, hilft ihnen zu überleben.
Außerdem, wenn es dann doch einmal geschieht, dass der Schwarzspecht oder der Buntspecht am Häuschen vor meinem Schreibtischbalkon vorbeischauen, tue ich Abbitte bei meiner Oma. Schon sehr beeindruckend, diese wilden Tiere.
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