Kultur trotz Corona: Schullektüre und Junges Lesen (4). Von Leander Steinkopf
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Dana Vowinckel wurde 1996 in Berlin-Kreuzberg geboren, wo sie heute lebt. Nach dem Abitur Arbeit an der Labyrinth Theater Company, New York. Studium der Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. Ausgezeichnet mit dem Deutschlandfunk-Preis beim Bachmann-Wettbewerb 2021. Arbeitet derzeit an ihrem ersten Roman, der bei Suhrkamp erscheinen wird.
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation bei Claassen.
Mit der folgenden zehnteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an der Fortsetzung von „Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.
*
Hast Du als Schülerin gern gelesen?
Ein bisschen zu gerne, nämlich immer unter dem Tisch in Mathe, Physik, Bio und Chemie. Und das etwas eingebildet, selbstgerecht, weil ich ernsthaft dachte, mehr als gute Bücher bräuchte man nicht. Jetzt kann ich nicht mal den Dreisatz. Und ich kann mich nicht auf Gespräche konzentrieren, wenn mich etwas brutal langweilt, weil ich immer dachte, ich muss das nicht, ich kann auch lesen. Also ja, ich habe gern gelesen, aber ich vermute, es hat negativ zu meiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen.
Hat Dir Schullektüre im Leben weitergeholfen?
Nein. Höchstens darin, Dinge zu tun, auf die ich keine Lust habe, etwa langweilige Dinge lesen.
Gab es ein Buch, welches Du in der Schulzeit gelesen hast, das Dich in besonderer Weise geprägt hat?
Ähm, Harry Potter wahrscheinlich. Ich war acht, als ich den vierten Band gelesen habe, und hatte so schlimme Albträume von Voldemort, dass mir die Lektüre des fünften Bandes verboten wurde. Er stand allerdings schon weit oben im Regal. Also bin ich, jedes Mal, wenn meine Mutter außer Haus ging, auf einen Stuhl geklettert und habe dort hektisch gelesen. Die Albträume schweigend in Kauf genommen, und an meinem zehnten Geburtstag, als mir der fünfte Band feierlich präsentiert wurde, so getan, als würde ich mich wahnsinnig freuen. Das hat mich geprägt, denn manche Bücher, so schwer sie zu ertragen sind, müssen gelesen werden, und wenn es nur Harry Potter ist.
Wenn Du Deutschlehrerin wärst, welches Buch würdest Du Deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Ich würde mit ihnen erstmal Bücher lesen, in denen es nicht nur um tote Juden oder lebendige weiße Männer geht. Streulicht von Deniz Ohde zum Beispiel, Die Optimisten von Rebecca Makkai, Ronya Othmanns Die Sommer kommen mir da spontan in den Sinn. Bücher, die vermitteln, dass es eine Welt gibt, die aufregend ist und furchterregend, aber vor allem echt. Die nicht didaktisch sind, sondern zärtlich und wütend gegenüber der Welt.
Warst Du eine gute Schülerin?
Ich bin irgendwie durchgekommen, aber war trotzig und faul. Wenn ich jemanden beeindrucken wollte, habe ich mich ins Zeug gelegt, meine Lateinlehrerin Frau Hort etwa, die ich verehrt habe. Ich kann die Deklinationen noch im Schlaf. Im Deutschunterricht hingegen habe ich mich so krass gelangweilt, dass ich auch da irgendwann schlechte Noten bekam. Ich habe irgendwann im Unterricht angefangen, Kurzgeschichten über meine Lehrer*innen zu schreiben, darüber, warum sie wohl alle so gefrustet sind. Zwei Semester vorm Abi habe ich allerdings gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann, und habe mich richtig ins Zeug gelegt. Mein Abi war dann ganz gut, aber ich bin jeden Tag froh, nie wieder in die Schule zu müssen.
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Emilia Galotti. Was ist das? Warum liest man das? Warum kann man nicht wenigstens Faust lesen? Emilia Galotti war das absolute Low. Das ist nicht lustig, es ist nicht klug, es ist nicht sprachlich spannend. Es ist, was man seinen Schüler*innen gerade mal so zutraut. Kein Wunder, dass sie dann böse Kurzgeschichten schreiben, um sich selbst zu unterhalten.
Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Alles, was ich alleine unter der Bank gelesen habe. Looking for Alaska, da wurde immerhin geraucht. Und Andorra, das hat ein junger Vertretungslehrer unterrichtet, danach habe ich Montauk gelesen und Homo Faber und mit ihm darüber gesprochen, ich glaube, ich war ein bisschen verliebt, aber vielleicht hat mir einfach mal jemand zugehört.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Ja, wie nichts anderes. Sie ist Halt, und man hat das große Glück, zu Charakteren zurückkehren zu dürfen, wenn man sie vermisst. Man kann sich verstanden fühlen wie durch nichts anderes, und das Gefühl, eine eigene Wahrnehmung der Welt in den Worten der Fremden auf Papier zu lesen, ist das, was mir durch schwierige Zeiten immer wieder hilft. Sie weitet das Denken und fordert heraus, sie unterhält und macht sanft, sie öffnet die Türen. Gerade während der Pandemie, und dem Nicht-Reisen-Können, war es für mich so schön und wichtig, mich mit Büchern an andere Orte denken zu können. Ich habe aber auch lange Phasen, in denen ich wenig lese, meistens die Phasen, in denen ich produktiv schreibe. Irgendwie verträgt sich für mich das eine nicht mit dem anderen.
Dana, danke Dir für das Interview!
Kultur trotz Corona: Schullektüre und Junges Lesen (4). Von Leander Steinkopf>
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Dana Vowinckel wurde 1996 in Berlin-Kreuzberg geboren, wo sie heute lebt. Nach dem Abitur Arbeit an der Labyrinth Theater Company, New York. Studium der Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. Ausgezeichnet mit dem Deutschlandfunk-Preis beim Bachmann-Wettbewerb 2021. Arbeitet derzeit an ihrem ersten Roman, der bei Suhrkamp erscheinen wird.
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation bei Claassen.
Mit der folgenden zehnteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an der Fortsetzung von „Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.
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Hast Du als Schülerin gern gelesen?
Ein bisschen zu gerne, nämlich immer unter dem Tisch in Mathe, Physik, Bio und Chemie. Und das etwas eingebildet, selbstgerecht, weil ich ernsthaft dachte, mehr als gute Bücher bräuchte man nicht. Jetzt kann ich nicht mal den Dreisatz. Und ich kann mich nicht auf Gespräche konzentrieren, wenn mich etwas brutal langweilt, weil ich immer dachte, ich muss das nicht, ich kann auch lesen. Also ja, ich habe gern gelesen, aber ich vermute, es hat negativ zu meiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen.
Hat Dir Schullektüre im Leben weitergeholfen?
Nein. Höchstens darin, Dinge zu tun, auf die ich keine Lust habe, etwa langweilige Dinge lesen.
Gab es ein Buch, welches Du in der Schulzeit gelesen hast, das Dich in besonderer Weise geprägt hat?
Ähm, Harry Potter wahrscheinlich. Ich war acht, als ich den vierten Band gelesen habe, und hatte so schlimme Albträume von Voldemort, dass mir die Lektüre des fünften Bandes verboten wurde. Er stand allerdings schon weit oben im Regal. Also bin ich, jedes Mal, wenn meine Mutter außer Haus ging, auf einen Stuhl geklettert und habe dort hektisch gelesen. Die Albträume schweigend in Kauf genommen, und an meinem zehnten Geburtstag, als mir der fünfte Band feierlich präsentiert wurde, so getan, als würde ich mich wahnsinnig freuen. Das hat mich geprägt, denn manche Bücher, so schwer sie zu ertragen sind, müssen gelesen werden, und wenn es nur Harry Potter ist.
Wenn Du Deutschlehrerin wärst, welches Buch würdest Du Deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Ich würde mit ihnen erstmal Bücher lesen, in denen es nicht nur um tote Juden oder lebendige weiße Männer geht. Streulicht von Deniz Ohde zum Beispiel, Die Optimisten von Rebecca Makkai, Ronya Othmanns Die Sommer kommen mir da spontan in den Sinn. Bücher, die vermitteln, dass es eine Welt gibt, die aufregend ist und furchterregend, aber vor allem echt. Die nicht didaktisch sind, sondern zärtlich und wütend gegenüber der Welt.
Warst Du eine gute Schülerin?
Ich bin irgendwie durchgekommen, aber war trotzig und faul. Wenn ich jemanden beeindrucken wollte, habe ich mich ins Zeug gelegt, meine Lateinlehrerin Frau Hort etwa, die ich verehrt habe. Ich kann die Deklinationen noch im Schlaf. Im Deutschunterricht hingegen habe ich mich so krass gelangweilt, dass ich auch da irgendwann schlechte Noten bekam. Ich habe irgendwann im Unterricht angefangen, Kurzgeschichten über meine Lehrer*innen zu schreiben, darüber, warum sie wohl alle so gefrustet sind. Zwei Semester vorm Abi habe ich allerdings gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann, und habe mich richtig ins Zeug gelegt. Mein Abi war dann ganz gut, aber ich bin jeden Tag froh, nie wieder in die Schule zu müssen.
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Emilia Galotti. Was ist das? Warum liest man das? Warum kann man nicht wenigstens Faust lesen? Emilia Galotti war das absolute Low. Das ist nicht lustig, es ist nicht klug, es ist nicht sprachlich spannend. Es ist, was man seinen Schüler*innen gerade mal so zutraut. Kein Wunder, dass sie dann böse Kurzgeschichten schreiben, um sich selbst zu unterhalten.
Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Alles, was ich alleine unter der Bank gelesen habe. Looking for Alaska, da wurde immerhin geraucht. Und Andorra, das hat ein junger Vertretungslehrer unterrichtet, danach habe ich Montauk gelesen und Homo Faber und mit ihm darüber gesprochen, ich glaube, ich war ein bisschen verliebt, aber vielleicht hat mir einfach mal jemand zugehört.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Ja, wie nichts anderes. Sie ist Halt, und man hat das große Glück, zu Charakteren zurückkehren zu dürfen, wenn man sie vermisst. Man kann sich verstanden fühlen wie durch nichts anderes, und das Gefühl, eine eigene Wahrnehmung der Welt in den Worten der Fremden auf Papier zu lesen, ist das, was mir durch schwierige Zeiten immer wieder hilft. Sie weitet das Denken und fordert heraus, sie unterhält und macht sanft, sie öffnet die Türen. Gerade während der Pandemie, und dem Nicht-Reisen-Können, war es für mich so schön und wichtig, mich mit Büchern an andere Orte denken zu können. Ich habe aber auch lange Phasen, in denen ich wenig lese, meistens die Phasen, in denen ich produktiv schreibe. Irgendwie verträgt sich für mich das eine nicht mit dem anderen.
Dana, danke Dir für das Interview!