Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (34). In Erwartung dieser geschmeidigen Katzenbewegung in hellrot
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
34
Es ist hell draußen heute, die Sonne leuchtet in den Wald hinein, den Hang hinauf, das Laub wird rostrot, dort wo sie hinfällt, das Grün grüner als im Regen. Die Rinden der Bäume sonnen sich braun. Windstill ist es, nichts bewegt sich. Und für gewöhnlich ist das ein Tag, ist das eine Uhrzeit, morgens früh, in der der Kater, wir nennen ihn Katzo, mit seinem dicken rotscheckigen Fell und seinem Buschenschwanz durchs Gelände zieht.
Seit zwei Wochen ist er umgezogen. Wir wissen sogar wohin. Er wohnt nun ein Dorf weiter in einem Neubau, dessen Umgebung tausendmal weniger schön ist als dieser Ort, dieser Wald hier. Der Katzo ist hier groß geworden, zwei Jahre alt dürfte er nun sein und er hat unser Grundstück am Wald zu seinem gemacht, er hat darauf gewohnt. Mehr draußen als drinnen. Er ist ein wildes Tier, wir haben das oft gesagt. Wir sind sicher, er kennt jedes Mauseloch und jeden Igel und was hier sonst noch unterwegs ist, die Rehe kennt er eh. Vor ihnen hat er Respekt. Im Sommer lag der Katzo immer im Schatten unter den Buchen, deren Zweige ihm auch bei hoher Sonne Schatten spendeten, immer mit Blick auf unsere Terrasse, auf uns. Manchmal kam er vorbei, legte sich dazu, wenn wir frühstückten, betrachtete, markierte von der erhöhten Terrasse aus sein Revier. Manchmal, dann fanden wir ihn gar nicht gut, spürte er in der Böschung die Blindschleichen auf, die Eidechsen, spielte mit ihnen, wie es Katzen halt tun, als sei dieses Kleintier nichts wert. Manchmal gelang es, ihn so abzulenken, dass die kleinen Reptilien wieder freikamen, oft aber nicht.
Manchmal, bei Regen, bei Kälte, stand er bei uns an der Terrassentür und muckte so lange herum, bis wir ihn hereinließen. Er warf sich aufs Holz, auf den Teppich, putzte sich und schließlich verschwand er die Treppe hinauf in den oberen Stock und warf sich auf den Sessel. Da blieb er, halbe Tage. Wenn er Hunger hatte oder es dunkel wurde und die Jagdzeit begann, verabschiedete er sich. Er war, sagt mein Mann, das letzte Mal vor zwei Wochen da.
Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, schaue ich hinaus auf die Terrasse, die Wiese, immer in Erwartung dieser geschmeidigen Katzenbewegung in hellrot, in fast orange, aber nichts bewegt sich, wenn nicht gerade die Rehe vorbeikommen, aber auch die halten sich gerade vor allem im Wald gegenüber auf. Manchmal sehe ich sie, in hellem braunen Grau zwischen den Brombeerbüschen oben am Hang. Schnell sind sie wieder verschwunden. Dann huscht eine Meise vorbei. Und nichts mehr.
Die Nachbarin sagt, kann gut sein, dass der Katzo hier wohnen will. Hier sein will, dann kommt er wieder. Er findet den Weg.
So hell wie es heute draußen ist, man würde ihn im gleißenden Sonnenlicht für einen Fuchs halten. Und dann wäre er es doch.
**
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (34). In Erwartung dieser geschmeidigen Katzenbewegung in hellrot>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Es ist hell draußen heute, die Sonne leuchtet in den Wald hinein, den Hang hinauf, das Laub wird rostrot, dort wo sie hinfällt, das Grün grüner als im Regen. Die Rinden der Bäume sonnen sich braun. Windstill ist es, nichts bewegt sich. Und für gewöhnlich ist das ein Tag, ist das eine Uhrzeit, morgens früh, in der der Kater, wir nennen ihn Katzo, mit seinem dicken rotscheckigen Fell und seinem Buschenschwanz durchs Gelände zieht.
Seit zwei Wochen ist er umgezogen. Wir wissen sogar wohin. Er wohnt nun ein Dorf weiter in einem Neubau, dessen Umgebung tausendmal weniger schön ist als dieser Ort, dieser Wald hier. Der Katzo ist hier groß geworden, zwei Jahre alt dürfte er nun sein und er hat unser Grundstück am Wald zu seinem gemacht, er hat darauf gewohnt. Mehr draußen als drinnen. Er ist ein wildes Tier, wir haben das oft gesagt. Wir sind sicher, er kennt jedes Mauseloch und jeden Igel und was hier sonst noch unterwegs ist, die Rehe kennt er eh. Vor ihnen hat er Respekt. Im Sommer lag der Katzo immer im Schatten unter den Buchen, deren Zweige ihm auch bei hoher Sonne Schatten spendeten, immer mit Blick auf unsere Terrasse, auf uns. Manchmal kam er vorbei, legte sich dazu, wenn wir frühstückten, betrachtete, markierte von der erhöhten Terrasse aus sein Revier. Manchmal, dann fanden wir ihn gar nicht gut, spürte er in der Böschung die Blindschleichen auf, die Eidechsen, spielte mit ihnen, wie es Katzen halt tun, als sei dieses Kleintier nichts wert. Manchmal gelang es, ihn so abzulenken, dass die kleinen Reptilien wieder freikamen, oft aber nicht.
Manchmal, bei Regen, bei Kälte, stand er bei uns an der Terrassentür und muckte so lange herum, bis wir ihn hereinließen. Er warf sich aufs Holz, auf den Teppich, putzte sich und schließlich verschwand er die Treppe hinauf in den oberen Stock und warf sich auf den Sessel. Da blieb er, halbe Tage. Wenn er Hunger hatte oder es dunkel wurde und die Jagdzeit begann, verabschiedete er sich. Er war, sagt mein Mann, das letzte Mal vor zwei Wochen da.
Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, schaue ich hinaus auf die Terrasse, die Wiese, immer in Erwartung dieser geschmeidigen Katzenbewegung in hellrot, in fast orange, aber nichts bewegt sich, wenn nicht gerade die Rehe vorbeikommen, aber auch die halten sich gerade vor allem im Wald gegenüber auf. Manchmal sehe ich sie, in hellem braunen Grau zwischen den Brombeerbüschen oben am Hang. Schnell sind sie wieder verschwunden. Dann huscht eine Meise vorbei. Und nichts mehr.
Die Nachbarin sagt, kann gut sein, dass der Katzo hier wohnen will. Hier sein will, dann kommt er wieder. Er findet den Weg.
So hell wie es heute draußen ist, man würde ihn im gleißenden Sonnenlicht für einen Fuchs halten. Und dann wäre er es doch.
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