Panizza-Blog [25]: Kekse und politischer Mord
Panizza lebt in Paris sehr zurückgezogen. Er wird sonderbar, wie die wenigen Besucher berichten. Seine Bücher lässt er erst mal in den Umzugskisten, erst Monate später packt er sie aus. Manchmal wird die Einsamkeit unerträglich und er lädt Freunde ein, ihn zu besuchen. 1902, ich greife ein wenig vor, besuchen ihn der Würzburger Schriftsteller Max Dauthendey mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Malerin Gertraud Rostosky, und der Norwegerin Maja Vogt. Gertraud Rostosky berichtet später, Panizza sei auf diesen Besuch dann doch nicht vorbereitet gewesen, er sei erst mal verschwunden. „Mit einem grauen Papiersack, der ihm bis an die Hüften reichte, und einer großen Flasche Kognak kam Panizza zurück und schenkte uns in verschiedenen grotesken Tontöpfen die Schnäpse ein. Den großen Sack stellte er in unsere Mitte und erklärte uns: dass die darin befindlichen Kekse sein Proviant für 5 Jahre seien. Die Kekse waren bereits so hart, dass wir ihn nicht beraubten [...].“ Er zeigt ihnen die Wohnung: „5 Zimmer, sämtliche Bibliothek, die Einrichtung nur aus Bücherregalen bestehend. In der Ecke des letzten Zimmers ein ungemachtes Bett.“ (Zit. nach der Panizza-Biographie von Michael Bauer, München: Hanser Verlag 1984, S. 207.)
In den ersten Pariser Jahren verwendet Panizza fast all seine Energie auf seine Zeitschrift, die Zürcher Diskuszionen, die er weiter in der Schweiz erscheinen lässt. Anfangs können darin auch andere Autoren veröffentlichen. Zum Beispiel Franziska zu Reventlow (Jg. 2, Nr. 22: „Viragines oder Hetären?“). Doch dann wird das anders. Auf der letzten Seite findet der Leser nun immer die Zeilen: „!! Wir ersuchen dringend, unaufgefordert keine Manuskripte einzusenden – ausgenommen von persönlich dem Verlag Bekanten oder offenkundig in der Literatur stehenden Persönlichkeiten!!“ Die meisten Artikel stammen nun von ihm selber und werden unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht. Darin gleicht er Karl Kraus, der in seiner Zeitschrift, Die Fackel, später auch nur noch eigene Texte veröffentlicht hat. Insgesamt erscheinen zwanzig Ausgaben der Zürcher Diskuszionen. Rolf Düsterberg hat drei programmatische Themenschwerpunkte konstatiert: 1. Freie Liebe / Sexualität, 2. Revolution und Anarchismus, 3. Propagierung des Genies (in seinem Nachwort zu O. Panizza: Das Schwein... München: Belleville Verlag o. J., S. 100). Zur letzten Gruppe gehört für Düsterberg auch der Student K(C)arl Ludwig Sand, der 1819 den reaktionären Schriftsteller August Kotzebue ermordet und damit scharfe Repressionen in Deutschland ausgelöst hat („Karlsbader Beschlüsse“). Panizza veröffentlicht (unter dem Pseudonym Louis Andrée) in seiner Zeitschrift über ihn einen Essay mit dem Titel „Karl Ludwig Sand. Eine biografisch-psichologische Darstellung“ (2. Jg. 1899, Nr. 13-15, S. 1-24; das Heft enthält keinen weiteren Beitrag).
Er sieht Parallelen zum eigenen Schicksal („Man hat versucht, ihn als geisteskrank hinzustellen“, S. 23) und rechtfertigt seine Tat: „Ganz Deutschland dachte damals so wie Sand. [Das dürfte ziemlich übertrieben sein!] Er war nur der einzige, der den Mut hatte, den Gedanken bis zu Ende zu denken.“ Von Interesse sind Panizzas Überlegungen zum politischen Mord, der in diesem Fall oder im Fall der Charlotte Corday (beide mussten mit dem Todesurteil rechnen) „identisch“ ist mit dem Selbstmord (S. 20). Hier sei es erlaubt auf Jean Paul, der heuer seinen 250. Geburtstag feiert, hinzuweisen. Er hat in einer kleinen Schrift die Tat der Charlotte Corday, die 1793 den radikalen Revolutionsführer Jean Paul Marat erstochen hat, befürwortet. Karl Ludwig Sand (wie Jean Paul in Wunsiedel geboren) hatte diese Schrift bei sich, als er den Mord beging. Jean Paul sah sich gezwungen, einer späteren Publikation dieser Schrift eine Fußnote anzufügen: diesen Mord wollte er nicht gutheißen. Panizza befürwortet diese Tat. Für ihn war Kotzebue zwar ein guter Schriftsteller und „diplomatischer Geschäftsträger“ (für den russischen Zaren), den man aber auch als „Gauner“ bezeichnen konnte (S. 11).
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Panizza lebt in Paris sehr zurückgezogen. Er wird sonderbar, wie die wenigen Besucher berichten. Seine Bücher lässt er erst mal in den Umzugskisten, erst Monate später packt er sie aus. Manchmal wird die Einsamkeit unerträglich und er lädt Freunde ein, ihn zu besuchen. 1902, ich greife ein wenig vor, besuchen ihn der Würzburger Schriftsteller Max Dauthendey mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Malerin Gertraud Rostosky, und der Norwegerin Maja Vogt. Gertraud Rostosky berichtet später, Panizza sei auf diesen Besuch dann doch nicht vorbereitet gewesen, er sei erst mal verschwunden. „Mit einem grauen Papiersack, der ihm bis an die Hüften reichte, und einer großen Flasche Kognak kam Panizza zurück und schenkte uns in verschiedenen grotesken Tontöpfen die Schnäpse ein. Den großen Sack stellte er in unsere Mitte und erklärte uns: dass die darin befindlichen Kekse sein Proviant für 5 Jahre seien. Die Kekse waren bereits so hart, dass wir ihn nicht beraubten [...].“ Er zeigt ihnen die Wohnung: „5 Zimmer, sämtliche Bibliothek, die Einrichtung nur aus Bücherregalen bestehend. In der Ecke des letzten Zimmers ein ungemachtes Bett.“ (Zit. nach der Panizza-Biographie von Michael Bauer, München: Hanser Verlag 1984, S. 207.)
In den ersten Pariser Jahren verwendet Panizza fast all seine Energie auf seine Zeitschrift, die Zürcher Diskuszionen, die er weiter in der Schweiz erscheinen lässt. Anfangs können darin auch andere Autoren veröffentlichen. Zum Beispiel Franziska zu Reventlow (Jg. 2, Nr. 22: „Viragines oder Hetären?“). Doch dann wird das anders. Auf der letzten Seite findet der Leser nun immer die Zeilen: „!! Wir ersuchen dringend, unaufgefordert keine Manuskripte einzusenden – ausgenommen von persönlich dem Verlag Bekanten oder offenkundig in der Literatur stehenden Persönlichkeiten!!“ Die meisten Artikel stammen nun von ihm selber und werden unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht. Darin gleicht er Karl Kraus, der in seiner Zeitschrift, Die Fackel, später auch nur noch eigene Texte veröffentlicht hat. Insgesamt erscheinen zwanzig Ausgaben der Zürcher Diskuszionen. Rolf Düsterberg hat drei programmatische Themenschwerpunkte konstatiert: 1. Freie Liebe / Sexualität, 2. Revolution und Anarchismus, 3. Propagierung des Genies (in seinem Nachwort zu O. Panizza: Das Schwein... München: Belleville Verlag o. J., S. 100). Zur letzten Gruppe gehört für Düsterberg auch der Student K(C)arl Ludwig Sand, der 1819 den reaktionären Schriftsteller August Kotzebue ermordet und damit scharfe Repressionen in Deutschland ausgelöst hat („Karlsbader Beschlüsse“). Panizza veröffentlicht (unter dem Pseudonym Louis Andrée) in seiner Zeitschrift über ihn einen Essay mit dem Titel „Karl Ludwig Sand. Eine biografisch-psichologische Darstellung“ (2. Jg. 1899, Nr. 13-15, S. 1-24; das Heft enthält keinen weiteren Beitrag).
Er sieht Parallelen zum eigenen Schicksal („Man hat versucht, ihn als geisteskrank hinzustellen“, S. 23) und rechtfertigt seine Tat: „Ganz Deutschland dachte damals so wie Sand. [Das dürfte ziemlich übertrieben sein!] Er war nur der einzige, der den Mut hatte, den Gedanken bis zu Ende zu denken.“ Von Interesse sind Panizzas Überlegungen zum politischen Mord, der in diesem Fall oder im Fall der Charlotte Corday (beide mussten mit dem Todesurteil rechnen) „identisch“ ist mit dem Selbstmord (S. 20). Hier sei es erlaubt auf Jean Paul, der heuer seinen 250. Geburtstag feiert, hinzuweisen. Er hat in einer kleinen Schrift die Tat der Charlotte Corday, die 1793 den radikalen Revolutionsführer Jean Paul Marat erstochen hat, befürwortet. Karl Ludwig Sand (wie Jean Paul in Wunsiedel geboren) hatte diese Schrift bei sich, als er den Mord beging. Jean Paul sah sich gezwungen, einer späteren Publikation dieser Schrift eine Fußnote anzufügen: diesen Mord wollte er nicht gutheißen. Panizza befürwortet diese Tat. Für ihn war Kotzebue zwar ein guter Schriftsteller und „diplomatischer Geschäftsträger“ (für den russischen Zaren), den man aber auch als „Gauner“ bezeichnen konnte (S. 11).
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