Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (33). Und braucht den Winter mit seinen Zumutungen
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
33
Eigentlich dachte ich bisher immer, Winter, das brauch ich nicht. Diese Kälte, diese Feuchtigkeit, diese Farben, dieses Licht. Stimmt aber gar nicht.
Ich war jetzt drei Wochen in Italien unterwegs, Sizilien zuerst, dann Süditalien, Kalabrien, ganz unten am Stiefel. Wenn das Wetter sehr freundlich war, konnte die Temperatur mittags auf siebzehn Grad ansteigen, windgeschützt T-Shirt-Wetter. Es konnte aber auch tagelang regnen, Schauer über Schauer drückten die Temperatur auf unter zehn Grad, und es fühlte sich an, wie hier unter null. Und klar, das Licht an den schönen Tagen! Groß.
Ganz groß.
Und hier.
Ganz groß, das Licht an den schönen Tagen hier vor Weihnachten jetzt nach dem Vollmond, der morgens um sieben im wolkenlosen Westhimmel leuchtet, als wolle er sagen, was diese Sonne kann, schaff ich schon lange.
Und ja, dieses Licht, und ja, diese Farben in diesem klaren kaltblauen Winterlicht in der Dämmerung, und ja, diese Farben, wenn die Sonne aufgeht über der reifgeweißten Wiese, und wenn sie dann überm Wald steht und in die Braunfarben hineinscheint, durch die Stämme hindurch, wenn sie mich trifft auf der Wiese oder die Rehe oder den die Wiese überquerenden roten Kater.
Das Licht, wenn man es kaum sieht, und es doch da ist im Spiegel von gefrorenem Wasser, Eis in den Trögen im Garten, in den Wannen, in den Pfützen in der Wiese. Diese mürben Farben der gefrorenen Pflanzen drum herum. Das wundersame Leuchten dieser Braun- und Blau- und grauen Grüntöne, das glasige Leuchten von Eis.
Ich bin nach Hause gekommen, denke ich, die den Süden über alles liebt, und meine Lust, mich in die kalte Wiese zu legen, meine Lust in den kalten See zu steigen, auszuhalten, was die Pflanzen hier aushalten, kommt mir wenigstens so schön vor wie die beiden Male schwimmen im noch gar nicht kalten Mittelmeer.
Zum ersten Mal habe ich die Idee, dass es sein könnte, auch ich brauche den Winter mit seinen Zumutungen, und dass er schöner sein kann, als ich bisher vermutet habe.
**
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (33). Und braucht den Winter mit seinen Zumutungen>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Eigentlich dachte ich bisher immer, Winter, das brauch ich nicht. Diese Kälte, diese Feuchtigkeit, diese Farben, dieses Licht. Stimmt aber gar nicht.
Ich war jetzt drei Wochen in Italien unterwegs, Sizilien zuerst, dann Süditalien, Kalabrien, ganz unten am Stiefel. Wenn das Wetter sehr freundlich war, konnte die Temperatur mittags auf siebzehn Grad ansteigen, windgeschützt T-Shirt-Wetter. Es konnte aber auch tagelang regnen, Schauer über Schauer drückten die Temperatur auf unter zehn Grad, und es fühlte sich an, wie hier unter null. Und klar, das Licht an den schönen Tagen! Groß.
Ganz groß.
Und hier.
Ganz groß, das Licht an den schönen Tagen hier vor Weihnachten jetzt nach dem Vollmond, der morgens um sieben im wolkenlosen Westhimmel leuchtet, als wolle er sagen, was diese Sonne kann, schaff ich schon lange.
Und ja, dieses Licht, und ja, diese Farben in diesem klaren kaltblauen Winterlicht in der Dämmerung, und ja, diese Farben, wenn die Sonne aufgeht über der reifgeweißten Wiese, und wenn sie dann überm Wald steht und in die Braunfarben hineinscheint, durch die Stämme hindurch, wenn sie mich trifft auf der Wiese oder die Rehe oder den die Wiese überquerenden roten Kater.
Das Licht, wenn man es kaum sieht, und es doch da ist im Spiegel von gefrorenem Wasser, Eis in den Trögen im Garten, in den Wannen, in den Pfützen in der Wiese. Diese mürben Farben der gefrorenen Pflanzen drum herum. Das wundersame Leuchten dieser Braun- und Blau- und grauen Grüntöne, das glasige Leuchten von Eis.
Ich bin nach Hause gekommen, denke ich, die den Süden über alles liebt, und meine Lust, mich in die kalte Wiese zu legen, meine Lust in den kalten See zu steigen, auszuhalten, was die Pflanzen hier aushalten, kommt mir wenigstens so schön vor wie die beiden Male schwimmen im noch gar nicht kalten Mittelmeer.
Zum ersten Mal habe ich die Idee, dass es sein könnte, auch ich brauche den Winter mit seinen Zumutungen, und dass er schöner sein kann, als ich bisher vermutet habe.
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