Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (28). Und ist kurz davor, einen Igel zu enttarnen
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
28
Keine Ahnung, ob Sie das auch schonmal erlebt haben, aber wenn Sie einen Garten haben oder hatten, bestimmt. Sie kommen nach Hause, nähern sich der Haustüre und da raschelt es im Gebüsch. Und Sie erschrecken. Dann hustet jemand. Und Sie erschrecken nochmals, aber gleichzeitig denken Sie, ein schlechter Mensch würde doch genügend kriminelle Energie aufbringen, um das Husten zu vermeiden. Wenigstens in dem Moment, wo er sein Crime, also Verbrechen verrichten möchte. Ich denke sowas. Und deshalb bin ich, wenn es hustet, weniger erschrocken. Aber klar, ein bisschen schon noch.
Und also, bei uns am Wald hustet es den ganzen Sommer und den ganzen Herbst, und schmatzt und macht auch sonst Geräusche im Gebüsch, und ganz ganz selten sieht man den Huster durch die Dunkelheit huschen.
Neulich aber, ich habe nach einer stürmischen Nacht Äste zusammengesammelt, kam ich am Altholzhaufen vorbei. Ich habe ihn im letzten Frühling begonnen aufzuschichten. Und als ich mich bücke, um ins Schlupf-Loch, das ich an einer Stelle gelassen habe, zu schauen, ist da eine Bewegung. Und ich glaube nur einen kleinen Augenblick lang in die braunen Perlaugen und die Schnauze des Igels geschaut zu haben.
Und obwohl ich nicht ganz sicher bin, lege ich nun nur noch ganz vorsichtig Holz auf den Haufen, lege es so, dass die Äste kleine noch vorhanden Lücken bedecken, und wenn ich Moos finde, das sich von Bäumen löst, lege ich es in Mulden. Ich hoffe, der Igel hat es gut darin. Denn ich vermute nun mehr und mehr, das es einer ist.
Denn manchmal sehe ich nun große Blätter vom Ahorn nahe am Eingang hängen, sie sind zu groß, um durchs Loch zu passen, aber ich mutmaße, der Igel hat versucht, sie hineinzuziehen in seine Höhlen, um mit ihnen sein Winterlager auszustaffieren.
Es wird nicht mehr lange brauchen, dann schläft er, aber weil er ja nicht nur schläft, sondern alle paar Wochen einmal aufwacht, sein Lager verlässt, um zu urinieren und so weiter, sogar um zu fressen, wenn er eine Kleinigkeit findet, hoffe ich, ihn spätestens dann, wenn der Schnee gekommen ist, zu enttarnen. Aber wer weiß, vielleicht ist der Igel dann ein kleiner Dachs.
Apropos: Ich habe IGEL gelesen, erschienen in der Naturkunden-Portrait-Reihe bei Matthes&Seitz, und Sie wissen gar nicht, wieviel ich nun über Igel weiß! Zum Beispiel, dass Igel auf unserem Planeten schon so lange leben wie die Dinosaurier hier nicht mehr leben. Jedenfalls ungefähr. Und dass der Igel sich für Äpfel nur dann interessiert, wenn er einen Wurm darin vermutet. Sowas auch. Und noch viel mehr. Ich kann es Igelkundschaftern nur empfehlen. Verena Auffermann hat es geschrieben.
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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (28). Und ist kurz davor, einen Igel zu enttarnen>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Keine Ahnung, ob Sie das auch schonmal erlebt haben, aber wenn Sie einen Garten haben oder hatten, bestimmt. Sie kommen nach Hause, nähern sich der Haustüre und da raschelt es im Gebüsch. Und Sie erschrecken. Dann hustet jemand. Und Sie erschrecken nochmals, aber gleichzeitig denken Sie, ein schlechter Mensch würde doch genügend kriminelle Energie aufbringen, um das Husten zu vermeiden. Wenigstens in dem Moment, wo er sein Crime, also Verbrechen verrichten möchte. Ich denke sowas. Und deshalb bin ich, wenn es hustet, weniger erschrocken. Aber klar, ein bisschen schon noch.
Und also, bei uns am Wald hustet es den ganzen Sommer und den ganzen Herbst, und schmatzt und macht auch sonst Geräusche im Gebüsch, und ganz ganz selten sieht man den Huster durch die Dunkelheit huschen.
Neulich aber, ich habe nach einer stürmischen Nacht Äste zusammengesammelt, kam ich am Altholzhaufen vorbei. Ich habe ihn im letzten Frühling begonnen aufzuschichten. Und als ich mich bücke, um ins Schlupf-Loch, das ich an einer Stelle gelassen habe, zu schauen, ist da eine Bewegung. Und ich glaube nur einen kleinen Augenblick lang in die braunen Perlaugen und die Schnauze des Igels geschaut zu haben.
Und obwohl ich nicht ganz sicher bin, lege ich nun nur noch ganz vorsichtig Holz auf den Haufen, lege es so, dass die Äste kleine noch vorhanden Lücken bedecken, und wenn ich Moos finde, das sich von Bäumen löst, lege ich es in Mulden. Ich hoffe, der Igel hat es gut darin. Denn ich vermute nun mehr und mehr, das es einer ist.
Denn manchmal sehe ich nun große Blätter vom Ahorn nahe am Eingang hängen, sie sind zu groß, um durchs Loch zu passen, aber ich mutmaße, der Igel hat versucht, sie hineinzuziehen in seine Höhlen, um mit ihnen sein Winterlager auszustaffieren.
Es wird nicht mehr lange brauchen, dann schläft er, aber weil er ja nicht nur schläft, sondern alle paar Wochen einmal aufwacht, sein Lager verlässt, um zu urinieren und so weiter, sogar um zu fressen, wenn er eine Kleinigkeit findet, hoffe ich, ihn spätestens dann, wenn der Schnee gekommen ist, zu enttarnen. Aber wer weiß, vielleicht ist der Igel dann ein kleiner Dachs.
Apropos: Ich habe IGEL gelesen, erschienen in der Naturkunden-Portrait-Reihe bei Matthes&Seitz, und Sie wissen gar nicht, wieviel ich nun über Igel weiß! Zum Beispiel, dass Igel auf unserem Planeten schon so lange leben wie die Dinosaurier hier nicht mehr leben. Jedenfalls ungefähr. Und dass der Igel sich für Äpfel nur dann interessiert, wenn er einen Wurm darin vermutet. Sowas auch. Und noch viel mehr. Ich kann es Igelkundschaftern nur empfehlen. Verena Auffermann hat es geschrieben.
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