Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (26). Und sieht zu, wie es im Herbst schneit

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Sechs Monate lang schrieb Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album – nun setzt die Autorin ihre Kolumne bei uns fort. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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26

Ich habe den Herbst immer nicht geliebt. Das sage ich extra so. Weil sich etwas verändert hat.

Der Herbst hat mir Angst gemacht. Alles war reif geworden, das Obst auf den Bäumen, das Getreide auf den Äckern, die Pilze im Wald. Die Katholiken feierten Erntedank. Ich betrauerte das Ende des Sommers, das Ende des Wachstums. Ich schaute dem Tod ins Auge.

Schon im August, wenn die Tage wieder kürzer wurden, im September, wenn das Laub anfing zu verfärben, wenn so eine Schönheit übrig blieb, die hinter dem Nebel und der Feuchtigkeit hervorkam: leuchtend blauer Himmel auftauchte, darunter dieses vielfarbige Brennen und Glühen der Büsche, Bäume. Da trauerte ich. Die Schönheit kam mit scheinheilig vor. Ich wusste ja, was auf sie folgte.

Das hat sich verändert. Nicht weil und nicht dass ich weniger Angst habe vor dem Sterben, dem Tod. Aber ein Auge für die Schönheit des Prozesses der Veränderung hat sich mir geöffnet.

So sitze ich nun also, es ist der 1. November, draussen auf dem Land an meinem Schreibtisch. Es ist Mittag und beginnt zu regnen, das höre ich gut, während ich unter dem Dach arbeite. Und als ich aufschaue, mein Blick aus dem Fenster wandert, geschieht dort etwas, was ich – glaube ich – noch nie gesehen, noch nie so wahrgenommen habe. Es regnet Blätter. Es fallen gelbe Hainbuchen-Blätter, rostige Ahornblätter, braune Eichenblätter, es kreiseln die Blattzweige von Eschen herunter, mit den Regentropfen gehen sie nieder, und es schaut aus hier im Wald, als ob es im Herbst schneit. Als ob der Herbst mit dem Regen auf den Boden fällt, wo sich Laubschnee bildet, braun.

Und wo ich so konzentriert schaue, sehe ich die Vielfarbigkeit und die Vielschichtigkeit dieses Waldes, die Farben der noch hängenden Blätter gelbgrün, hellgrün, verblichen gelbbraun gescheckt, verbrannt fast, über unsteht braunem weichen Laubboden.

Ich habe das Gefühl, ich sehe das zum ersten Mal so, und ich habe das Gefühl vielleicht nur deshalb, weil der Herbst, seit ich im Wald sitze, weil der Herbst, seit ich besser aushalten kann, dass alles in Wellen geschieht, seit ich keine Angst mehr habe vor Tagen mit weniger Sonne, vor kaltem Wasser – aber dazu mehr in einer der nächsten Wochen – weil der Herbst eine Jahreszeit geworden ist, nach der eine weitere kommt und danach noch eine und noch eine.

Wenn alles gut geht.

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

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