Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (25). Über Schneckenliebe und Schneckenwut
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
25
Eigentlich wollte ich nicht über Schnecken schreiben, aber ihre derzeitige Überzahl in meinem Hochbeet zwingt mich.
Ich will aber früher anfangen.
Ich habe Schnecken immer geliebt. Vor allem jene mit den Häusern. Als kleines Mädchen und auch als größeres Mädchen sammelte ich die Schecken mit den Häusern von Treppen, von Wegen, von Straßen ab, damit sie niemand tottritt. Ich machte das vor der Schule und die Schnecke mit dem schönsten Haus wurde meine Begleiterin für den Tag. Es gab Phasen, da hielt ich Schnecken wie Haustiere.
Was bis heute geblieben ist, ist das Bedürfnis, die Schnecken mit ihren Häusern in Schutz zu bringen, wenn sie auf (Ab)-Wegen unterwegs sind, es schmerzt mich, wenn sie zertreten werden, denn so ein Haus ist nicht so einfach zu reparieren. Ich verwende darauf gerne meine Zeit, bleibe stehen, sammle ein, trage sie weg.
Allerdings hat sich inzwischen zu meiner Schneckenliebe auch eine gewisse Schneckenwut gesellt. Sie gilt vor allem jenen Schnecken ohne Haus und nur dann, wenn sie sich, wie auf einer Sternwallfahrt, aus sämtlichen Richtungen des Gartens auf meine Hochbeete zubewegen, oder schon darin sind. Meine Verachtung für diese roten und braunen Nacktschnecken wird umso größer, je dicker sie sind. In diesem Jahr sind sie besonders dick.
Und klar, ich verstehe schon, dass in meinem Hochbeet ausgezeichnete Kräuter und Gemüse wachsen, so viele davon, dass sich eine ganze Tiergemeinschaft – so fasst man die Gruppe der Nacktschnecken zusammen – bestens davon ernähren kann. Aber auch ich möchte mich ernähren. Ich möchte Salat ernten, Basilikum, Zucchini, und so weiter, ich möchte im Herbst wenigstens einen einzigen Kürbis haben, was schwierig werden wird, wenn die Tiergemeinschaft die ganzen Blüten auffrisst, die anscheinend besonders gut schmecken. Und ich gebe zu, ich empöre mich schwer, wenn meine einzige grüne Shisopflanze, Perilla, ein Lippenblüter-Gewächs, das ganz wunderbar zur japanischen und vietnamesischen Küche passt, der Tiergemeinschaft komplett zum Opfer fällt.
Und klar, wenn ich darüber schreibe, muss ich auch sagen, was ich nun tue.
Ich stelle keine Bierfalle auf, das ist ekelhaft, ich habe aufgehört dieses ökologische Schneckenkorn zu streuen, das sieht bei Regen auch ekelhaft aus. Ich zerschneide so eine Schnecke auch so gut wie nie, weil ich mich dann selbst ganz ekelhaft finde, aber: ich habe es schon zwei Mal gemacht, aus Zorn. Und mich dann aber gleich sehr beim Schneckengott entschuldigt. Ich weiß gar nicht, ob Schneckenmord vom Schneckengott verziehen wird. Nein.
Was ich für gewöhnlich tue: Ich sammle die Schnecken ein, und ich werfe sie auf die Straße, jede einzeln. Was, wenn ich das hier hinschreibe, auch schlimm klingt, weil ich das Bild vor mir sehe: Auch das sieht nicht gut aus. Manchmal kommt ein Auto. Manchmal trocknet die Straße in der Nacht.
Ich tue Abbitte, das schlechte Gewissen bleibt; vielleicht aber auch ein wenig von meinem Gemüse.
**
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (25). Über Schneckenliebe und Schneckenwut>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Eigentlich wollte ich nicht über Schnecken schreiben, aber ihre derzeitige Überzahl in meinem Hochbeet zwingt mich.
Ich will aber früher anfangen.
Ich habe Schnecken immer geliebt. Vor allem jene mit den Häusern. Als kleines Mädchen und auch als größeres Mädchen sammelte ich die Schecken mit den Häusern von Treppen, von Wegen, von Straßen ab, damit sie niemand tottritt. Ich machte das vor der Schule und die Schnecke mit dem schönsten Haus wurde meine Begleiterin für den Tag. Es gab Phasen, da hielt ich Schnecken wie Haustiere.
Was bis heute geblieben ist, ist das Bedürfnis, die Schnecken mit ihren Häusern in Schutz zu bringen, wenn sie auf (Ab)-Wegen unterwegs sind, es schmerzt mich, wenn sie zertreten werden, denn so ein Haus ist nicht so einfach zu reparieren. Ich verwende darauf gerne meine Zeit, bleibe stehen, sammle ein, trage sie weg.
Allerdings hat sich inzwischen zu meiner Schneckenliebe auch eine gewisse Schneckenwut gesellt. Sie gilt vor allem jenen Schnecken ohne Haus und nur dann, wenn sie sich, wie auf einer Sternwallfahrt, aus sämtlichen Richtungen des Gartens auf meine Hochbeete zubewegen, oder schon darin sind. Meine Verachtung für diese roten und braunen Nacktschnecken wird umso größer, je dicker sie sind. In diesem Jahr sind sie besonders dick.
Und klar, ich verstehe schon, dass in meinem Hochbeet ausgezeichnete Kräuter und Gemüse wachsen, so viele davon, dass sich eine ganze Tiergemeinschaft – so fasst man die Gruppe der Nacktschnecken zusammen – bestens davon ernähren kann. Aber auch ich möchte mich ernähren. Ich möchte Salat ernten, Basilikum, Zucchini, und so weiter, ich möchte im Herbst wenigstens einen einzigen Kürbis haben, was schwierig werden wird, wenn die Tiergemeinschaft die ganzen Blüten auffrisst, die anscheinend besonders gut schmecken. Und ich gebe zu, ich empöre mich schwer, wenn meine einzige grüne Shisopflanze, Perilla, ein Lippenblüter-Gewächs, das ganz wunderbar zur japanischen und vietnamesischen Küche passt, der Tiergemeinschaft komplett zum Opfer fällt.
Und klar, wenn ich darüber schreibe, muss ich auch sagen, was ich nun tue.
Ich stelle keine Bierfalle auf, das ist ekelhaft, ich habe aufgehört dieses ökologische Schneckenkorn zu streuen, das sieht bei Regen auch ekelhaft aus. Ich zerschneide so eine Schnecke auch so gut wie nie, weil ich mich dann selbst ganz ekelhaft finde, aber: ich habe es schon zwei Mal gemacht, aus Zorn. Und mich dann aber gleich sehr beim Schneckengott entschuldigt. Ich weiß gar nicht, ob Schneckenmord vom Schneckengott verziehen wird. Nein.
Was ich für gewöhnlich tue: Ich sammle die Schnecken ein, und ich werfe sie auf die Straße, jede einzeln. Was, wenn ich das hier hinschreibe, auch schlimm klingt, weil ich das Bild vor mir sehe: Auch das sieht nicht gut aus. Manchmal kommt ein Auto. Manchmal trocknet die Straße in der Nacht.
Ich tue Abbitte, das schlechte Gewissen bleibt; vielleicht aber auch ein wenig von meinem Gemüse.
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