Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (24). Wo der Wald am Meer steht

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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24

Gestern am Abend kam ich nach einer Woche in der Stadt wieder aufs Land. Ich stieg aus dem Auto und hatte eine Offenbarung, die eben nicht nur in der Nase war, sondern sofort meinen ganzen Körper erfüllte. Ich spürte die Luft. Sie kam nicht nur durch die Nase in meinen Körper, sondern ich hatte das Gefühl, sie umwölkte, umfing mich ganz. Und sofort. Und ich hielt den Kopf in den kleinen Wind, der durch die Wiese aus dem Wald am Haus vorbeizog, und versuchte zu verstehen, was ich da rieche und was da mit mir passiert. Viel. Aber was eigentlich genau? Und ich ging hinein ins Haus, stellte meine Sachen ab, ging wieder hinaus, stand auf der Terrasse und wieder trieb eben genau diese Luft aus dem Wald heraus und sofort in mich hinein.

Gute Luft, reine Luft. Was sagen wir da immer alles? Ja. Es stimmt. Aber wie ungenau ist das eigentlich?

Diese gut riechende Luft ist ja keine Luft, die nach nichts riecht, denn röche sie nach nichts, könnte ich sie nicht riechen. Aber wonach riecht sie?

Ich sitze jetzt beim Schreiben auf dem Balkon, der sich direkt zum Wald hinwendet. Ich halte die Nase in die Luft und da ist eine andere Luft, als die, die ich gestern Abend riechen konnte. Es ist eine Luft, in der ich noch die Feuchtigkeit der Nacht spüren kann, die sich in der Sonne erwärmt, in der ich Holz riechen kann, aber nur ganz zart. Grün riecht sie, würde ich sagen, und es fällt mir schwer, dieses Riechen davon zu trennen, was ich hören kann, wenn so wie gerade eben, ein Vogel laut zwitschert. Wie trennt man, was man hört, von dem, was man riecht?

Der Geruchssinn lese ich, ist bereits bei der Geburt vollständig ausgebildet, und dass es auch in der Haut Riechzellen gibt. Dass man den Geruchssinn trainieren kann ist klar:

Also. Vom Wald kommt Wiese herabgeweht, Heu, warmes Holz, aber auch etwas kühles Grasiges. Dann plötzlich kommt der Geruch nach Holzrauch herbeigezogen. Woher? Und dann stehe ich auf, ich gehe hinter das Haus, ich stehe hinter dem Haus unter den Kiefern und brauche nichts zu tun, weil ihr Duft so stark ist. Ich rieche Harz. Es riecht so gut, dass ich sofort Sehnsucht bekomme nach dem Meer, und ich glaube, es hat damit zu tun, dass Pinienwälder in der Sommerhitze stark ausdünsten, gut ausdünsten, und wie die Feuchtigkeit des Wassers diese Ausdünstungen in die Körper der Menschen hineinatmet. Und dieser Geruch bleibt, bleibt für immer ein großer, ein schöner Geruch.

Und vermutlich ist das genau das, was mich am Abend so einnimmt, wenn ich aus der Stadt komme, oder einfach nur aus dem Haus trete und der Wald nach einem Sonnentag seine gesamten Ausschwitzungen in die Atmosphäre hineindunstet. Und ich stehe dann da so und habe das große schöne Gefühl: Mein Wald steht am Meer!

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