Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (21). Und hört die Sprache der Waldtiere und sich selbst atmen
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
21
Ich sitze am Waldrand. Es ist früher Vormittag, für die Vögel, die Tiere, überhaupt für den Wald bereits eine fortgeschrittene Zeit. In der Nacht gewitterte es, Blitz und Donner geschahen fast gleichzeitig und es regnete Sturzbäche. Alles ist feucht. Ich sitze hier, das Notebook auf meinen Knien und habe mir vorgenommen, einige Minuten nur dem Wald zu lauschen.
Ich bin ein Augenmensch, glaube ich, ich sehe, ich denke filmisch, aber jetzt will ich wissen, was höre ich eigentlich, wenn ich nicht schaue.
Wie das Ohr weiß, etwas ist nah und etwas ist fern. In der Nähe also hohes, kurzlautiges Vogeltschilpen, dessen Töne lange stehen bleiben, lange in der Luft hängen, auch wenn der Vogel schon aufgehört hat zu singen, zu sprechen, was eigentlich? Fallendes Wasser, das Plätschern des Bächleins, tiefes Geräusch, das immer da ist. Im Hintergrund das Gurren von Wildtauben, die Krähen, zwei, drei fliegen auf, überqueren mich und ich höre für einen Augenblick nur sie. Als sie verschwunden sind, in der Ferne der Kuckuck, ganz nahe, der hochtschilpende Vogel, der Antwort bekommt von einem anderen: Tschilpen, eine Tonlage tiefer als der von vorhin. Ein Lastauto, es muss sehr groß sein, in einiger Entfernung. Ein Vogelgeräusch, als das Fahrzeug weiter entfernt ist, kurz knarzig, stechend, eher stakkato.
Etwas raschelt im Gebüsch. Wieder und wieder und weiter. Dann raschelt es oben im Kirschbaum. Das Eichhörnchen? Wir sind still, ich und die Vögel.
Der Bach plätschert, das ist immer da. Dann wieder freundliches Tschilpen. Ganz oben im Himmel, das gibt es jetzt wieder, die Geräusche eines Flugzeuges. Ein Blatt fällt, Tropfen.
Ich habe keine Ahnung, wie das gehen kann, diesen gefühlten Stereostereo-Sound zu einem Text zu machen.
Eine Hornisse nähert sich dem Haus, laut, sehr sehr laut ihr Brummen, sie muss einen gewaltigen Körper haben. Eine von den ganz großen muss das sein.
Ich kenne sie. Jedes Jahr wohnen hier welche.
Im Wald, nicht weit entfernt – die Vögel sind immer da, im Vordergrund, im Hintergrund – schnaubt immer wieder ein Tier. Ich habe den kleinen Rehbock gesehen, vorhin, er haut nicht mehr ab, wenn ich mit ihm spreche, ich am Fenster des Waldhauses, er zehn Meter entfernt, schaut mich an, hört mir zu, geht zwei Schritte weiter, frisst junge Buchenblätter. Vielleicht ist er das, vielleicht schnaubt er jetzt von Busch zu Busch durch den Wald. Ein Regentropfen fällt. Ein kleiner Wind kommt plötzlich von Osten den Hang hinab, dann beginnt es zu regnen. Die Vögel verändern ihr Tschilpen nicht. Ein ruhiges Sprechen in ihrer Sprache, der Sprache der fliegenden Waldtiere.
In mir wird es ganz still, stiller innen als außen. Ich höre mich atmen. Ich höre, wo ich bin. Ich bin im Wald. Ein Satz von Peter Handke. Ich bin da aber auch!
Regen. Jetzt.
**
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (21). Und hört die Sprache der Waldtiere und sich selbst atmen>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Ich sitze am Waldrand. Es ist früher Vormittag, für die Vögel, die Tiere, überhaupt für den Wald bereits eine fortgeschrittene Zeit. In der Nacht gewitterte es, Blitz und Donner geschahen fast gleichzeitig und es regnete Sturzbäche. Alles ist feucht. Ich sitze hier, das Notebook auf meinen Knien und habe mir vorgenommen, einige Minuten nur dem Wald zu lauschen.
Ich bin ein Augenmensch, glaube ich, ich sehe, ich denke filmisch, aber jetzt will ich wissen, was höre ich eigentlich, wenn ich nicht schaue.
Wie das Ohr weiß, etwas ist nah und etwas ist fern. In der Nähe also hohes, kurzlautiges Vogeltschilpen, dessen Töne lange stehen bleiben, lange in der Luft hängen, auch wenn der Vogel schon aufgehört hat zu singen, zu sprechen, was eigentlich? Fallendes Wasser, das Plätschern des Bächleins, tiefes Geräusch, das immer da ist. Im Hintergrund das Gurren von Wildtauben, die Krähen, zwei, drei fliegen auf, überqueren mich und ich höre für einen Augenblick nur sie. Als sie verschwunden sind, in der Ferne der Kuckuck, ganz nahe, der hochtschilpende Vogel, der Antwort bekommt von einem anderen: Tschilpen, eine Tonlage tiefer als der von vorhin. Ein Lastauto, es muss sehr groß sein, in einiger Entfernung. Ein Vogelgeräusch, als das Fahrzeug weiter entfernt ist, kurz knarzig, stechend, eher stakkato.
Etwas raschelt im Gebüsch. Wieder und wieder und weiter. Dann raschelt es oben im Kirschbaum. Das Eichhörnchen? Wir sind still, ich und die Vögel.
Der Bach plätschert, das ist immer da. Dann wieder freundliches Tschilpen. Ganz oben im Himmel, das gibt es jetzt wieder, die Geräusche eines Flugzeuges. Ein Blatt fällt, Tropfen.
Ich habe keine Ahnung, wie das gehen kann, diesen gefühlten Stereostereo-Sound zu einem Text zu machen.
Eine Hornisse nähert sich dem Haus, laut, sehr sehr laut ihr Brummen, sie muss einen gewaltigen Körper haben. Eine von den ganz großen muss das sein.
Ich kenne sie. Jedes Jahr wohnen hier welche.
Im Wald, nicht weit entfernt – die Vögel sind immer da, im Vordergrund, im Hintergrund – schnaubt immer wieder ein Tier. Ich habe den kleinen Rehbock gesehen, vorhin, er haut nicht mehr ab, wenn ich mit ihm spreche, ich am Fenster des Waldhauses, er zehn Meter entfernt, schaut mich an, hört mir zu, geht zwei Schritte weiter, frisst junge Buchenblätter. Vielleicht ist er das, vielleicht schnaubt er jetzt von Busch zu Busch durch den Wald. Ein Regentropfen fällt. Ein kleiner Wind kommt plötzlich von Osten den Hang hinab, dann beginnt es zu regnen. Die Vögel verändern ihr Tschilpen nicht. Ein ruhiges Sprechen in ihrer Sprache, der Sprache der fliegenden Waldtiere.
In mir wird es ganz still, stiller innen als außen. Ich höre mich atmen. Ich höre, wo ich bin. Ich bin im Wald. Ein Satz von Peter Handke. Ich bin da aber auch!
Regen. Jetzt.
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