Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (19). Und weiß sich geschmacklich in einer guten Tradition
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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19
Die Erdbeere. Ich weiß, es gibt Menschen, die schwören auf die großen dicken. Vermutlich ist das aber ein Fehler. Nachdem ich nun mein ganzes erwachsenes Leben lang schon versuche herauszufinden, welche Sorte am besten schmeckt, nachdem ich in meinem Hochbeet inzwischen auch eine mit roten Blüten kultiviere, weil sie sehr gute, nur etwa daumengroße rauschalige Früchte mit kleinen Kernen macht, bin ich jedes Jahr im frühen Sommer, wenn die Walderdbeeren auf unserem etwas wilden Grundstück zu reifen beginnen, vollkommen begeistert über ihr Aroma. Je reifer sie sind, desto betörender und aromatischer ihr Duft, desto süßer und vollmundiger und intensiver ihr Geschmack.
Nun habe ich mal nachgeschaut und entdeckt, dass schon Ovid die Erdbeere in den Metamorphosen gepriesen hat: „Und die Menschen, zufrieden mit zwanglos gewachsenen Speisen/ sammelten Früchte des Erdbeerbaums ...“, dass die Walderdbeere, botanisch Fragaria vesca, schon in der Steinzeit eine Bedeutung hatte, dass französische Gärtner sie im 14. Jahrhundert begonnen haben systematisch anzubauen, und sie schon sehr früh, in ihrer kleinen Walderdbeerenform, auf allerlei Verzierungen vorkam. So hat Lucas Cranach sie in der Weimarer Lucaskirche etwa auf einem Altarbild verwendet.
Soll nur heißen, ich bin nicht alleine mit meinem guten Geschmack.
Jedes Jahr im Frühling, wenn der Giersch, der einerseits jung so gut schmeckt wie Spinat, aber eben auch ein gewaltig wucherndes Unkraut ist, dessen Wurzeln kaum zu bewältigen sind, jedes Jahr also, wenn er zwischen den wildwuchernden Erdbeerpflänzchen auftaucht und sich dort natürlich deshalb wohlfühlt, weil die Erdbeertriebe ein feines Gezweig bilden, das die Wurzeln des Gierschunkrauts schützt, oder sich sogar mit ihnen verbindet, hadere ich beim Jäten mit jedem Trieb einer Walderdbeerpflanze, den ich abgerissen habe. Als ob sie heilig sind, diese Beeren. Und irgendwie sind sie das auch, denn kaufen kann man sie selten oder nur für teures Geld.
Manchmal pflücke ich, in ziemlicher Kleinstkleinarbeit, aber das ist das Schreiben ja auch, ein Schälchen der Beeren ab, es dauert ewig, und bin dann fast ein bisschen beleidigt, wenn jemand, was in diesem Fall mein Mann ist, sich eine Handvoll einfach so in den Mund schiebt. Aber ich sage nichts dazu, weil ich verstehe gut, dass kaum etwas besser und mehr nach Sommer schmeckt als eben diese kleinen Früchte. Ich sage also nichts, aber gehöre trotzdem zu denen, die sich diese kleinen Erdbeeren immer noch, so wie als Kind schon, Perle für Perle in den Mund stecken. Ich vermute, ich habe dann länger von ihrem Geschmack. Könnte aber sein, das ist streitbar.
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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (19). Und weiß sich geschmacklich in einer guten Tradition>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Die Erdbeere. Ich weiß, es gibt Menschen, die schwören auf die großen dicken. Vermutlich ist das aber ein Fehler. Nachdem ich nun mein ganzes erwachsenes Leben lang schon versuche herauszufinden, welche Sorte am besten schmeckt, nachdem ich in meinem Hochbeet inzwischen auch eine mit roten Blüten kultiviere, weil sie sehr gute, nur etwa daumengroße rauschalige Früchte mit kleinen Kernen macht, bin ich jedes Jahr im frühen Sommer, wenn die Walderdbeeren auf unserem etwas wilden Grundstück zu reifen beginnen, vollkommen begeistert über ihr Aroma. Je reifer sie sind, desto betörender und aromatischer ihr Duft, desto süßer und vollmundiger und intensiver ihr Geschmack.
Nun habe ich mal nachgeschaut und entdeckt, dass schon Ovid die Erdbeere in den Metamorphosen gepriesen hat: „Und die Menschen, zufrieden mit zwanglos gewachsenen Speisen/ sammelten Früchte des Erdbeerbaums ...“, dass die Walderdbeere, botanisch Fragaria vesca, schon in der Steinzeit eine Bedeutung hatte, dass französische Gärtner sie im 14. Jahrhundert begonnen haben systematisch anzubauen, und sie schon sehr früh, in ihrer kleinen Walderdbeerenform, auf allerlei Verzierungen vorkam. So hat Lucas Cranach sie in der Weimarer Lucaskirche etwa auf einem Altarbild verwendet.
Soll nur heißen, ich bin nicht alleine mit meinem guten Geschmack.
Jedes Jahr im Frühling, wenn der Giersch, der einerseits jung so gut schmeckt wie Spinat, aber eben auch ein gewaltig wucherndes Unkraut ist, dessen Wurzeln kaum zu bewältigen sind, jedes Jahr also, wenn er zwischen den wildwuchernden Erdbeerpflänzchen auftaucht und sich dort natürlich deshalb wohlfühlt, weil die Erdbeertriebe ein feines Gezweig bilden, das die Wurzeln des Gierschunkrauts schützt, oder sich sogar mit ihnen verbindet, hadere ich beim Jäten mit jedem Trieb einer Walderdbeerpflanze, den ich abgerissen habe. Als ob sie heilig sind, diese Beeren. Und irgendwie sind sie das auch, denn kaufen kann man sie selten oder nur für teures Geld.
Manchmal pflücke ich, in ziemlicher Kleinstkleinarbeit, aber das ist das Schreiben ja auch, ein Schälchen der Beeren ab, es dauert ewig, und bin dann fast ein bisschen beleidigt, wenn jemand, was in diesem Fall mein Mann ist, sich eine Handvoll einfach so in den Mund schiebt. Aber ich sage nichts dazu, weil ich verstehe gut, dass kaum etwas besser und mehr nach Sommer schmeckt als eben diese kleinen Früchte. Ich sage also nichts, aber gehöre trotzdem zu denen, die sich diese kleinen Erdbeeren immer noch, so wie als Kind schon, Perle für Perle in den Mund stecken. Ich vermute, ich habe dann länger von ihrem Geschmack. Könnte aber sein, das ist streitbar.
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