Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (13). Wo Tiere die Stadt erobern
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
Audiolesung von Sandra Hoffmann:
13
Ich fahre mit dem Fahrrad durch den Englischen Garten, von Süden nach Norden, von Fräulein Grüneis aus fünf Kilometer hinaus bis zum Aumeister, dann kreuz und quer.
Ich habe das sehr lange nicht mehr gemacht.
Ich fange nicht von vorne an zu erzählen, sondern von der Wiese aus, in die ich mich im Nordteil – dort, wo alles noch viel wilder ist – irgendwann hineingelegt habe, zwischen Ehrenpreis und Löwenzahn und Butterblume, die als einzige von den Dreien noch nicht blüht.
Ich bin alleine, ich schließe die Augen und horche und höre, wie das Grundrauschen der Stadt, nachdem irgendwo ganz, ganz weit entfernt ein Martinshorn verklingt, nur noch ein sanftes aber beständiges Rieseln ist. Das nicht verschwindet, wenn ich ihm folge, das immer da ist. Als das Ohr sich daran gewöhnt, wird es überdeckt von einem Brummen, Summen, von Zwitschern und dem Kra-kra der Krähenbande, die über mich hinwegfliegt. Schließlich vom Kia-kia einer Schar Möwen – einem echten Sehnsuchtsgeräusch. Das sofort dazu führt, dass ich mich aufrichte, aufbreche und weiterfahre, auf den verschlungenen Feldwegen an den Kanälen des Eisbachs entlang, kreuz und quer durch die Wiesen und Waldhaine.
Bis ich mich wieder, zurück am Kleinhesselloher See, dorthin setze, wo in Nicht-Pandemie-Zeiten der Biergarten steht und die Tretboote verliehen werden.
Und schnell komme ich mir vor, wie auf der Besucherterrasse der Flughafens.
Graugänse starten mit ziemlichem Geknatter, während parallel Flugenten mit Ansage aus der Luft ins Wasser hineinfräsen, Schwäne sich in Position bringen und ein Trupp Mandarinenten so ungeordnet zwischen allen dümpelt, als sei er gerade frisch in die Schwimmschule gekommen.
Neben mir heben zwei Graugänse ihre Köpfe aus dem Gefieder, schauen auf den See – ich schalte die Sprachmemo auf meinem iPhone ein – sie beginnen zu zetern, offenbar unschlüssig, wohin ihre Reise gehen soll, sie scheinen sich zu besprechen, werden dabei lauter, dann leiser, bis sie ihre Köpfe wieder im Gefieder versenken.
Kurz sieht alles um mich herum geordnet aus. Ich lehne mich an einen Baum.
In diesem Moment setzt sich ein Höckerschwan auf dem Wasser wippend in Bewegung. Und zuerst denke ich noch, er schwimmt hinüber zum anderen Schwan, der vielleicht eine Schwänin ist, aber schon ist er da. Er steigt aus dem Wasser, er kommt auf mich zu. Ich, an den Baum gelehnt, und der Schwan, Auge in Auge. Ich stehe langsam auf, weiche zurück. Der Schwan duckt sich, biegt seinen Hals zum Buckel, zischelt, geht schließlich an mir vorbei und hinüber zu den zwei Damen auf der bunten Decke. Sie bemerken ihn nicht, sprechen miteinander, und dann schreien sie auf. Der Schwan geht aufrecht über ihre Decke, geht zwischen ihnen hindurch, ohne sie weiter zu beachten, und zurück ins Wasser.
Ich bin beeindruckt: Die Tiere haben nicht nur den See ganz für sich erobert, sondern auch noch seine Ränder. Mir gefällt das. Sehr sogar!
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (13). Wo Tiere die Stadt erobern>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Audiolesung von Sandra Hoffmann:
13
Ich fahre mit dem Fahrrad durch den Englischen Garten, von Süden nach Norden, von Fräulein Grüneis aus fünf Kilometer hinaus bis zum Aumeister, dann kreuz und quer.
Ich habe das sehr lange nicht mehr gemacht.
Ich fange nicht von vorne an zu erzählen, sondern von der Wiese aus, in die ich mich im Nordteil – dort, wo alles noch viel wilder ist – irgendwann hineingelegt habe, zwischen Ehrenpreis und Löwenzahn und Butterblume, die als einzige von den Dreien noch nicht blüht.
Ich bin alleine, ich schließe die Augen und horche und höre, wie das Grundrauschen der Stadt, nachdem irgendwo ganz, ganz weit entfernt ein Martinshorn verklingt, nur noch ein sanftes aber beständiges Rieseln ist. Das nicht verschwindet, wenn ich ihm folge, das immer da ist. Als das Ohr sich daran gewöhnt, wird es überdeckt von einem Brummen, Summen, von Zwitschern und dem Kra-kra der Krähenbande, die über mich hinwegfliegt. Schließlich vom Kia-kia einer Schar Möwen – einem echten Sehnsuchtsgeräusch. Das sofort dazu führt, dass ich mich aufrichte, aufbreche und weiterfahre, auf den verschlungenen Feldwegen an den Kanälen des Eisbachs entlang, kreuz und quer durch die Wiesen und Waldhaine.
Bis ich mich wieder, zurück am Kleinhesselloher See, dorthin setze, wo in Nicht-Pandemie-Zeiten der Biergarten steht und die Tretboote verliehen werden.
Und schnell komme ich mir vor, wie auf der Besucherterrasse der Flughafens.
Graugänse starten mit ziemlichem Geknatter, während parallel Flugenten mit Ansage aus der Luft ins Wasser hineinfräsen, Schwäne sich in Position bringen und ein Trupp Mandarinenten so ungeordnet zwischen allen dümpelt, als sei er gerade frisch in die Schwimmschule gekommen.
Neben mir heben zwei Graugänse ihre Köpfe aus dem Gefieder, schauen auf den See – ich schalte die Sprachmemo auf meinem iPhone ein – sie beginnen zu zetern, offenbar unschlüssig, wohin ihre Reise gehen soll, sie scheinen sich zu besprechen, werden dabei lauter, dann leiser, bis sie ihre Köpfe wieder im Gefieder versenken.
Kurz sieht alles um mich herum geordnet aus. Ich lehne mich an einen Baum.
In diesem Moment setzt sich ein Höckerschwan auf dem Wasser wippend in Bewegung. Und zuerst denke ich noch, er schwimmt hinüber zum anderen Schwan, der vielleicht eine Schwänin ist, aber schon ist er da. Er steigt aus dem Wasser, er kommt auf mich zu. Ich, an den Baum gelehnt, und der Schwan, Auge in Auge. Ich stehe langsam auf, weiche zurück. Der Schwan duckt sich, biegt seinen Hals zum Buckel, zischelt, geht schließlich an mir vorbei und hinüber zu den zwei Damen auf der bunten Decke. Sie bemerken ihn nicht, sprechen miteinander, und dann schreien sie auf. Der Schwan geht aufrecht über ihre Decke, geht zwischen ihnen hindurch, ohne sie weiter zu beachten, und zurück ins Wasser.
Ich bin beeindruckt: Die Tiere haben nicht nur den See ganz für sich erobert, sondern auch noch seine Ränder. Mir gefällt das. Sehr sogar!
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