Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (12). Und bekommt dort tierisch viel Besuch

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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Audiolesung von Sandra Hoffmann:

12

Unter dem Dachbalken vor meinem Schreibtisch baut eine Amsel ihr Nest. Ich bemerke es erst, als eine Schnur in meinem Blickfeld pendelt und ich mich frage, wo die nun herkommt. Dann sehe ich das angefangene Nest, unordentlich sind Zweige, Laub, Schnüre und trockenes Gras noch auf den dicken Balken geschichtet; der Balkon sieht aus, als sei jemand mit der Schubkarre voller getrockneter Gartenabfälle vorbeigekommen und hätte die Hälfte unterwegs verloren. Immer wieder höre ich jetzt die Amsel rascheln, manchmal sehe ich sie im Kirschbaum gegenüber sitzen. Sie beobachtet mich, sobald ich nicht ruhig bei der Arbeit bleibe. Sie traut sich dann nicht, weiterzuarbeiten.

Deshalb verhalte ich mich still. Ich versuche es wenigstens.

Aber das geht nur, bis die Rehe vorbeikommen. Und die kommen zur Zeit drei Mal täglich. Vom Wald herab kommt als erstes der einjährige, noch sehr kleine und zarte Bock, seine Hörnchen sind mit Fell umrankt, seine Decke sieht warm aus, wahrscheinlich trägt er noch die für den Winter. Er hat keine Angst vor dem Haus, scheint alle Geräusche zu kennen, den Rasierapparat, den er aus dem Badezimmer unten hören muss, die elektrische Kaffeemühle, unsere Schritte, Stimmen. Ganz in sich ruhend frisst er sich die Stirnseite des Hauses entlang durch frische Brombeerschößlinge, Giersch und was er da noch findet, bis ihm die beiden Ricken, die zu seiner Bande gehören (es gibt nämlich noch zwei weitere), folgen. Jetzt fressen sie sich gemeinsam nach vorne auf die Wiese durch, wo neben dem gelbblühenden, wechselblättrigen Milzkraut, das sie lieben, anscheindend noch vieles wächst, was auch gut schmeckt.

 

 

Es ist Frühling im Wald.

Der Eichelhäher kommt vorbei, schaut, was sich tut, der Specht klopft rund ums Haus, mehrere Sperber finden noch letzte Sonnenblumenkerne auf dem Balkon, und das Eichhörnchen macht akrobatische Übungen in den noch laubfreien Bäumen.

Es wird um mich herum ganz tierisch gearbeitet, und ich komme mir zuweilen vor wie in Brehms Tierleben.

Das ist schön, aber mich hält es, wenn ich ehrlich bin, immerzu von der Arbeit ab, weil es mir natürlich kaum gelingt, all die Tiere aus den Augen zu lassen. So bin ich hier draußen auf dem Land derzeit abgelenkter als in der pandemiebedingt deutlich leerer gewordenen Stadt.

Das ist keine Klage, es zeigt nur, wo das wilde Leben gerade spielt.

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

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