Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (7). Und Haut an Haut mit einer Eiche
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
Audiolesung von Sandra Hoffmann:
7
Ich bin in diesem Winter, als es sehr kalt war, mehr im Wald spaziert als gelaufen, gejoggt, und ganz abgesehen davon, wie viel mehr man dabei entdeckt, sieht, wahrnimmt und also an neuer Aufmerksamkeit erfährt für alles mögliche, habe ich auch endlich mal die Rinden von Bäumen betrachtet. Wie unterschiedlich ihre Oberflächen sind, wie mehr oder weniger rauh, wie mehr oder weniger ausgeprägt in ihren Höhen und Tiefen, in ihrer Kerbigkeit, auch in ihrer Farbigkeit, auch darin, wie sie mit Narben, mit alten Wunden umgehen und wie mit Pilzen, mit Moosen, die auf ihnen wachsen.
Seither kann ich nicht mehr durch den Wald gehen, ohne die Rinden der Bäume zu beachten. Es ist unmöglich, sie nicht zu sehen. Und ich frage mich, wie es passieren konnte, dass ich seit meiner Kindheit keine Aufmerksamkeit mehr dafür hatte, warum ich nie mehr darauf geachtet habe. Ein Baum war ein Baum. Ganz einfach. Eben nicht ganz so einfach!
Hätte mich also jemand gefragt, wie schaut die Rinde einer Eiche eigentlich aus, wie fühlt sich die Rinde einer Eiche an? Ich hätte passen müssen.
Die Rinde einer Eiche ist stabil und hart, wie der Baum selbst. Sie hat im Verhältnis zu vielen anderen Bäumen eine eher großflächige obere Schicht, die sich an manchen Stellen fast ein bisschen glatt anfühlt, obwohl sie sehr zerfurcht ist. So sehr, dass man mit den Fingern an vielen Stellen in sie hineingreifen kann, sie festhalten, um dann zu spüren, wie sich der Baum in die Handflächen drückt. Wie die Rinde sich auf der Handlfäche abzeichnet, jedenfalls nach einer Weile. Wie warm sie sich dann anfühlt, auch im Winter. Und je älter sie wird, desto konturierter werden ihre Furchen, ihre Haut also, ihre Kerben, mit all den Wölbungen, mit ihren Verfärbungen und Schrammen.
Ich schaue von meinem Zimmer im Wald aus täglich auf die Eiche hinter dem Haus. Und seit ich sie wirklich einmal gesehen habe, seit ich sie wirklich be-griffen habe, sehe ich sie anders. Und ein bisschen wie einen Spiegel. Und deshalb ist das dann kein Zufall mehr, wenn mir beim Schreiben dieser Zeilen meine Hände auf der Tastatur auffallen, ihre Haut und die Haut auf meinen Unterarmen und wie viel robuster sie noch einmal ausschaut mit dem Blick durch die Eichenrinde: wie viel bewahrender, schützender, dichter, rindiger eben. Und wie ich ehrfürchtiger werde auch beim Mich-selbst-anschauen: ein ganzes Leben verbirgt sich in dieser Haut.
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (7). Und Haut an Haut mit einer Eiche>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Audiolesung von Sandra Hoffmann:
7
Ich bin in diesem Winter, als es sehr kalt war, mehr im Wald spaziert als gelaufen, gejoggt, und ganz abgesehen davon, wie viel mehr man dabei entdeckt, sieht, wahrnimmt und also an neuer Aufmerksamkeit erfährt für alles mögliche, habe ich auch endlich mal die Rinden von Bäumen betrachtet. Wie unterschiedlich ihre Oberflächen sind, wie mehr oder weniger rauh, wie mehr oder weniger ausgeprägt in ihren Höhen und Tiefen, in ihrer Kerbigkeit, auch in ihrer Farbigkeit, auch darin, wie sie mit Narben, mit alten Wunden umgehen und wie mit Pilzen, mit Moosen, die auf ihnen wachsen.
Seither kann ich nicht mehr durch den Wald gehen, ohne die Rinden der Bäume zu beachten. Es ist unmöglich, sie nicht zu sehen. Und ich frage mich, wie es passieren konnte, dass ich seit meiner Kindheit keine Aufmerksamkeit mehr dafür hatte, warum ich nie mehr darauf geachtet habe. Ein Baum war ein Baum. Ganz einfach. Eben nicht ganz so einfach!
Hätte mich also jemand gefragt, wie schaut die Rinde einer Eiche eigentlich aus, wie fühlt sich die Rinde einer Eiche an? Ich hätte passen müssen.
Die Rinde einer Eiche ist stabil und hart, wie der Baum selbst. Sie hat im Verhältnis zu vielen anderen Bäumen eine eher großflächige obere Schicht, die sich an manchen Stellen fast ein bisschen glatt anfühlt, obwohl sie sehr zerfurcht ist. So sehr, dass man mit den Fingern an vielen Stellen in sie hineingreifen kann, sie festhalten, um dann zu spüren, wie sich der Baum in die Handflächen drückt. Wie die Rinde sich auf der Handlfäche abzeichnet, jedenfalls nach einer Weile. Wie warm sie sich dann anfühlt, auch im Winter. Und je älter sie wird, desto konturierter werden ihre Furchen, ihre Haut also, ihre Kerben, mit all den Wölbungen, mit ihren Verfärbungen und Schrammen.
Ich schaue von meinem Zimmer im Wald aus täglich auf die Eiche hinter dem Haus. Und seit ich sie wirklich einmal gesehen habe, seit ich sie wirklich be-griffen habe, sehe ich sie anders. Und ein bisschen wie einen Spiegel. Und deshalb ist das dann kein Zufall mehr, wenn mir beim Schreiben dieser Zeilen meine Hände auf der Tastatur auffallen, ihre Haut und die Haut auf meinen Unterarmen und wie viel robuster sie noch einmal ausschaut mit dem Blick durch die Eichenrinde: wie viel bewahrender, schützender, dichter, rindiger eben. Und wie ich ehrfürchtiger werde auch beim Mich-selbst-anschauen: ein ganzes Leben verbirgt sich in dieser Haut.
Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.