Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (6). Und findet das Große im Kleinen
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
Audiolesung von Sandra Hoffmann:
6
Heute Nacht habe ich von der Buchmesse in Leipzig geträumt, wahnsinniger Trubel, viele Leute, nicht alle hatten Betten, weil manche Betten zu Tischen umfunktioniert wurden, dann aber doch wieder zu Betten. Viel Party also. Auch in den Betten. Das war gut, aber auch anstrengend. Als ich heute Morgen darüber nachdachte, dachte ich, mein Unbewusstes füttert einen Mangel: an Trubel, an Party, an Bildern, Geräuschen, Eindrücken, die man hat, wenn man unterwegs ist, wenn man unter Menschen ist.
Als ich dann am Nachmittag draußen herumgelaufen bin, wie ich eben täglich draußen herumlaufe, im Garten oder auf der Wiese oder im Wald oder auf weiten Wegen um alles herum, bemerkte ich wieder all die kleinen guten Lebenszeichen, die man auch hier in den Peripherie eines niederbayerischen Dorfes so sehen kann, entdecken kann, wenn man nur mal genauer hinschaut, hinhört. Und aufhört, auf das große Ding zu warten, darauf, dass man dem Dachs endlich begegnet oder den Biber bei der Arbeit am Baum sieht und darauf, dass die Saatkrähe endlich zu einem Kolkraben wird, und darauf, dass der Maulwurf sich endlich aus dem Garten verpisst, und darauf, dass die Nachbarskatzen die Wühlmäuse killen, alle, und so weiter. Und auch aufhört, auf das große Ding in einem drin zu warten, also DIE IDEE für was auch immer, die einen wichtig macht oder wichtiger, als man sich selbst ist.
Und also sehe ich: wie das Gras die trockenen Blätter am Waldboden durchsticht, wie der Giersch in dicken Trieben die Erde durchbricht, wie der Pfirsichbaum die ersten Knospen bekommt, wie die Amseln das Waldlaub durchpflügen, wie die Meisen sich den Starenkasten erschließen, wie der Eichelhäher das Haus abklopft, wie keine drei Meter neben mir die Rehe den Wald hinaufrennen, dass im klaren Wasser des Rinnsals die erste Sumpfdotterblume sich ausbreitet, und schließlich ein kleines orangefarbenes Leuchten. Es stammt noch aus dem letzten Jahr: eine überlebende Beere vom Sanddorn.
Und wenn ich das hier so hinschreibe, denke ich natürlich, na und? Weil klar, ob das der Rede wert ist? Ja, wir haben ja nur diese eine Erde, und außerdem gibt es das eben gerade zu sehen. Nicht mehr, aber und nicht weniger.
Und nach der Party, die ich in der Nacht hatte, erscheint mir das vollkommen ausreichend.
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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (6). Und findet das Große im Kleinen>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Sechs Monate lang schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Audiolesung von Sandra Hoffmann:
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Heute Nacht habe ich von der Buchmesse in Leipzig geträumt, wahnsinniger Trubel, viele Leute, nicht alle hatten Betten, weil manche Betten zu Tischen umfunktioniert wurden, dann aber doch wieder zu Betten. Viel Party also. Auch in den Betten. Das war gut, aber auch anstrengend. Als ich heute Morgen darüber nachdachte, dachte ich, mein Unbewusstes füttert einen Mangel: an Trubel, an Party, an Bildern, Geräuschen, Eindrücken, die man hat, wenn man unterwegs ist, wenn man unter Menschen ist.
Als ich dann am Nachmittag draußen herumgelaufen bin, wie ich eben täglich draußen herumlaufe, im Garten oder auf der Wiese oder im Wald oder auf weiten Wegen um alles herum, bemerkte ich wieder all die kleinen guten Lebenszeichen, die man auch hier in den Peripherie eines niederbayerischen Dorfes so sehen kann, entdecken kann, wenn man nur mal genauer hinschaut, hinhört. Und aufhört, auf das große Ding zu warten, darauf, dass man dem Dachs endlich begegnet oder den Biber bei der Arbeit am Baum sieht und darauf, dass die Saatkrähe endlich zu einem Kolkraben wird, und darauf, dass der Maulwurf sich endlich aus dem Garten verpisst, und darauf, dass die Nachbarskatzen die Wühlmäuse killen, alle, und so weiter. Und auch aufhört, auf das große Ding in einem drin zu warten, also DIE IDEE für was auch immer, die einen wichtig macht oder wichtiger, als man sich selbst ist.
Und also sehe ich: wie das Gras die trockenen Blätter am Waldboden durchsticht, wie der Giersch in dicken Trieben die Erde durchbricht, wie der Pfirsichbaum die ersten Knospen bekommt, wie die Amseln das Waldlaub durchpflügen, wie die Meisen sich den Starenkasten erschließen, wie der Eichelhäher das Haus abklopft, wie keine drei Meter neben mir die Rehe den Wald hinaufrennen, dass im klaren Wasser des Rinnsals die erste Sumpfdotterblume sich ausbreitet, und schließlich ein kleines orangefarbenes Leuchten. Es stammt noch aus dem letzten Jahr: eine überlebende Beere vom Sanddorn.
Und wenn ich das hier so hinschreibe, denke ich natürlich, na und? Weil klar, ob das der Rede wert ist? Ja, wir haben ja nur diese eine Erde, und außerdem gibt es das eben gerade zu sehen. Nicht mehr, aber und nicht weniger.
Und nach der Party, die ich in der Nacht hatte, erscheint mir das vollkommen ausreichend.
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