Ein Text zur diesjährigen ausgefallenen Buchmesse. Von Slata Roschal
Slata Roschal (*1992 in St. Petersburg) studierte Slawistik, Germanistik und Komparatistik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, seit 2017 arbeitet sie an ihrer Promotion in Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Auf Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzprosa und Rezensionen in Literaturzeitschriften wurde sie 2018 mit dem Jury- sowie dem Publikumspreis beim Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet, im gleichen Jahr erhielt sie den 2. Preis beim LITERATUR UPDATE der Literaturstiftung Bayern. 2019 veröffentlichte Slata Roschal ihren Gedichtband Wir verzichten auf das gelobte Land.
Die aktuelle Corona-Krise hat die Autorin zum Anlass für einen bislang unveröffentlichten Text genommen, mit dem sie an „Kultur trotz Corona“ teilnimmt, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Wir veröffentlichen hier ihren vollständigen Text und setzen damit unsere neue Reihe fort.
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3.2020, Buchmesse Leipzig
Ein Warten ist es, das süchtig macht, an das man sich gewöhnt wie an ein immer gleiches Parfüm oder an die immer gleiche Dosis Koffein am Morgen, am Mittag, am Abend, das man nicht mehr bemerkt, nur dann spürt, wenn es zufällig gestört wird, eine Ablenkung stattfindet, ein blutiges Attentat in der Zeitung, eine miauende Katze im Flur, und dann wieder, ein sich vor sich her ziehendes Warten. Auf der Straße liegen grüne Narzissen im Karton für neunundneunzig Cent aus, ich nehme mir einen Bund, mir tut alles leid, was unter einem Euro verkauft wird. Weiter dann ein Neunundneunzig-Pfennig-Geschäft, ich bleibe stehen und schaue auf die leeren Vitrinen, dann ein Lottoladen und eine Bäckerei. Man könnte fast aufhören mit allem, zum Beispiel jeden Tag in diesen Laden gehen und Lottoscheine kaufen, nichts anderes mehr machen, nicht mehr zur Arbeit gehen, wie die meisten, nicht staubsaugen bei sich zuhause, keine Kleidung mehr kaufen oder Schuhe, manchmal nur zur Bäckerei gehen und ein großes Brot für die ganze Woche kaufen, es aufteilen, portionieren, alles Geld in Lottoscheine investieren und warten, weiter warten. Irgendwann gewinnt man etwas, nicht gleich eine Million vielleicht, aber doch so viel, dass es sich gelohnt haben muss, jahrelang auf den Gewinn, als ob man sich ein anständiges Gehalt quasi aufgespart hätte und alles auf einmal bekommen und wäre dabei gesund geblieben und ausdauernd, im Gegensatz zu manch anderem, der schuftet und pleite geht oder sonst wie zugrunde geht dabei. Und so, Zahl für Zahl, Brot für Brot, wer weiß, dass es am Ende nichts bringen soll. Ich biege ab und gehe ins Hotel hinein, steige Treppen in den dritten Stock, der Teppichboden riecht muffig, die Wände sind in pastellgrün gestrichen. Auf dem Zimmer, auf dem Tisch stehen zwei Plastikbecher, in den einen gieße ich Wasser und stelle die Narzissen hinein, den anderen drücke ich in der Hand zusammen, das dünne Plastik biegt sich und reißt ein. Im Bad liegen gefaltete Handtücher, eins davon hat einen braunen Fleck, ich werfe es auf den Boden, in der Duschkabine riecht es nach fremdem, starkem Schweiß. Abends dann liege ich auf dem Kissen, spüre die Daunen darin, und träume davon, wie ich mir weiche weiße Federn in den Mund stopfe und langsam vom Boden abzuheben beginne.
Ein Text zur diesjährigen ausgefallenen Buchmesse. Von Slata Roschal>
Slata Roschal (*1992 in St. Petersburg) studierte Slawistik, Germanistik und Komparatistik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, seit 2017 arbeitet sie an ihrer Promotion in Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Auf Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzprosa und Rezensionen in Literaturzeitschriften wurde sie 2018 mit dem Jury- sowie dem Publikumspreis beim Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet, im gleichen Jahr erhielt sie den 2. Preis beim LITERATUR UPDATE der Literaturstiftung Bayern. 2019 veröffentlichte Slata Roschal ihren Gedichtband Wir verzichten auf das gelobte Land.
Die aktuelle Corona-Krise hat die Autorin zum Anlass für einen bislang unveröffentlichten Text genommen, mit dem sie an „Kultur trotz Corona“ teilnimmt, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Wir veröffentlichen hier ihren vollständigen Text und setzen damit unsere neue Reihe fort.
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3.2020, Buchmesse Leipzig
Ein Warten ist es, das süchtig macht, an das man sich gewöhnt wie an ein immer gleiches Parfüm oder an die immer gleiche Dosis Koffein am Morgen, am Mittag, am Abend, das man nicht mehr bemerkt, nur dann spürt, wenn es zufällig gestört wird, eine Ablenkung stattfindet, ein blutiges Attentat in der Zeitung, eine miauende Katze im Flur, und dann wieder, ein sich vor sich her ziehendes Warten. Auf der Straße liegen grüne Narzissen im Karton für neunundneunzig Cent aus, ich nehme mir einen Bund, mir tut alles leid, was unter einem Euro verkauft wird. Weiter dann ein Neunundneunzig-Pfennig-Geschäft, ich bleibe stehen und schaue auf die leeren Vitrinen, dann ein Lottoladen und eine Bäckerei. Man könnte fast aufhören mit allem, zum Beispiel jeden Tag in diesen Laden gehen und Lottoscheine kaufen, nichts anderes mehr machen, nicht mehr zur Arbeit gehen, wie die meisten, nicht staubsaugen bei sich zuhause, keine Kleidung mehr kaufen oder Schuhe, manchmal nur zur Bäckerei gehen und ein großes Brot für die ganze Woche kaufen, es aufteilen, portionieren, alles Geld in Lottoscheine investieren und warten, weiter warten. Irgendwann gewinnt man etwas, nicht gleich eine Million vielleicht, aber doch so viel, dass es sich gelohnt haben muss, jahrelang auf den Gewinn, als ob man sich ein anständiges Gehalt quasi aufgespart hätte und alles auf einmal bekommen und wäre dabei gesund geblieben und ausdauernd, im Gegensatz zu manch anderem, der schuftet und pleite geht oder sonst wie zugrunde geht dabei. Und so, Zahl für Zahl, Brot für Brot, wer weiß, dass es am Ende nichts bringen soll. Ich biege ab und gehe ins Hotel hinein, steige Treppen in den dritten Stock, der Teppichboden riecht muffig, die Wände sind in pastellgrün gestrichen. Auf dem Zimmer, auf dem Tisch stehen zwei Plastikbecher, in den einen gieße ich Wasser und stelle die Narzissen hinein, den anderen drücke ich in der Hand zusammen, das dünne Plastik biegt sich und reißt ein. Im Bad liegen gefaltete Handtücher, eins davon hat einen braunen Fleck, ich werfe es auf den Boden, in der Duschkabine riecht es nach fremdem, starkem Schweiß. Abends dann liege ich auf dem Kissen, spüre die Daunen darin, und träume davon, wie ich mir weiche weiße Federn in den Mund stopfe und langsam vom Boden abzuheben beginne.