Logen-Blog [88]: Vom einfachen Geschmack zum schwülstigen Stil
Balzac sei inzwischen fast völlig vergessen, schrieb ich kürzlich. Wer mich jetzt für debil, ignorant oder arrogant hält, möge bitte nachschlagen, ob er den Namen Balzacs in seinem Literaturlexikon findet. Nicht? Dann sollte er zu Jean Paul greifen, der uns mitteilt, dass „nur Völker“ „von Monboddos Geschmack zu Balzacs seinem herabfallen“.
Jean-Louis Guez de Balzac, nie gehört? Nun ja – von Jean Paul lernen heißt Wissen erfahren. Geboren im Jahre 1597, sollte er zu einem der Gründungsmitglieder der Académie française werden. Angoulême und Poitiers bezeichnen seine ersten Stationen, bevor er seinem Freund Théophile de Viau begegnete, mit dem zusammen er die Universität in Leiden besuchte. In Paris ging er dann im Salon der Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet, also im Hôtel de Rambouillet ein und aus, das einst am Platz des Palais-Royal stand. Berühmt wurde er wegen seiner Briefe, die seinen Ruhm noch bis zu Jean Pauls Zeiten verbürgten und als Neuedition Recueil de nouvelles lettres auf die Romanistik kamen. „His letters, though empty and affected in matter, show a real mastery of style, introducing a new clearness and precision into French prose and encouraging the development of the language on national lines by emphasizing its most idiomatic elements.“ „Héritier de Montaigne (par son sens de la modernité et du moi), de Malherbe (par son souci de l'élocution), Balzac fut 'en un temps de confusion et de désordre' l'initiateur d'une éloquence équilibrée et d'une langue à la fois souple et structurée dont l'évidence classique a fait souvent oublier la genèse“: so steht es im digitalen Netz.
Nun versteht man auch, wieso der Dichter den Monsieur de Balzac mit Monboddo verglich – denn James Burnett, Lord of Monboddo, verfasste ein Werk über den Ursprung und den Fortschritt der Sprache, das Jean Paul nach 1785 gelesen haben muss. Der Editor der Ausgabe der Unsichtbaren Loge erläutert diesen schwierigen Vergleich folgendermaßen: ein einfacher, also gleichsam „klassischer“ Geschmack könne bei Völkern in einen überladenen und schwülstigen Stil „entarten“. Jean Paul kritisiert also die reiche, fein gedrechselte Rhetorik des französischen Belletristen, dessen Briefe traditionell als Werke eines feinen Geschmacks betrachtet und gelobt wurden. Die Abgrenzung ist klar: der progress der Sprache ist ein paradoxer, weil mit dem „erworbnen Geschmack“ zwar der sogenannte Stil steigt, aber die schöne Einfachheit flöten geht.
Balzac ist heute vergessen, doch zurecht? Jean Pauls Sprachkritik kommt von einem Autor, dessen eigener Stil von Überladung gewiss nicht frei ist und der rhetorischen Struktur des Franzosen mangelt; insofern war seine Kritik vielleicht berechtigt, doch nicht von Selbstkritik bestimmt (was ich nicht verurteile, nur feststelle). Wenn ich jedoch Balzacs Nachfolger Racine lese, freue ich mich an dieser Gleichzeitigkeit von höchst kunstvollem Stil und genauester Psychologie. Die Athener, sagt Jean Paul kurz zuvor, beklatschten keine Redner mehr als die Antithesen-Drechsler, die Römer die Wortspieler – mir gefällt das: dieses Drechseln, unter dessen glattpolierter Oberfläche sich Reste von literarischer Wahrhaftigkeit erschließen lassen mögen.
Womit ich fast schon in Paris angekommen bin.
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Balzac sei inzwischen fast völlig vergessen, schrieb ich kürzlich. Wer mich jetzt für debil, ignorant oder arrogant hält, möge bitte nachschlagen, ob er den Namen Balzacs in seinem Literaturlexikon findet. Nicht? Dann sollte er zu Jean Paul greifen, der uns mitteilt, dass „nur Völker“ „von Monboddos Geschmack zu Balzacs seinem herabfallen“.
Jean-Louis Guez de Balzac, nie gehört? Nun ja – von Jean Paul lernen heißt Wissen erfahren. Geboren im Jahre 1597, sollte er zu einem der Gründungsmitglieder der Académie française werden. Angoulême und Poitiers bezeichnen seine ersten Stationen, bevor er seinem Freund Théophile de Viau begegnete, mit dem zusammen er die Universität in Leiden besuchte. In Paris ging er dann im Salon der Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet, also im Hôtel de Rambouillet ein und aus, das einst am Platz des Palais-Royal stand. Berühmt wurde er wegen seiner Briefe, die seinen Ruhm noch bis zu Jean Pauls Zeiten verbürgten und als Neuedition Recueil de nouvelles lettres auf die Romanistik kamen. „His letters, though empty and affected in matter, show a real mastery of style, introducing a new clearness and precision into French prose and encouraging the development of the language on national lines by emphasizing its most idiomatic elements.“ „Héritier de Montaigne (par son sens de la modernité et du moi), de Malherbe (par son souci de l'élocution), Balzac fut 'en un temps de confusion et de désordre' l'initiateur d'une éloquence équilibrée et d'une langue à la fois souple et structurée dont l'évidence classique a fait souvent oublier la genèse“: so steht es im digitalen Netz.
Nun versteht man auch, wieso der Dichter den Monsieur de Balzac mit Monboddo verglich – denn James Burnett, Lord of Monboddo, verfasste ein Werk über den Ursprung und den Fortschritt der Sprache, das Jean Paul nach 1785 gelesen haben muss. Der Editor der Ausgabe der Unsichtbaren Loge erläutert diesen schwierigen Vergleich folgendermaßen: ein einfacher, also gleichsam „klassischer“ Geschmack könne bei Völkern in einen überladenen und schwülstigen Stil „entarten“. Jean Paul kritisiert also die reiche, fein gedrechselte Rhetorik des französischen Belletristen, dessen Briefe traditionell als Werke eines feinen Geschmacks betrachtet und gelobt wurden. Die Abgrenzung ist klar: der progress der Sprache ist ein paradoxer, weil mit dem „erworbnen Geschmack“ zwar der sogenannte Stil steigt, aber die schöne Einfachheit flöten geht.
Balzac ist heute vergessen, doch zurecht? Jean Pauls Sprachkritik kommt von einem Autor, dessen eigener Stil von Überladung gewiss nicht frei ist und der rhetorischen Struktur des Franzosen mangelt; insofern war seine Kritik vielleicht berechtigt, doch nicht von Selbstkritik bestimmt (was ich nicht verurteile, nur feststelle). Wenn ich jedoch Balzacs Nachfolger Racine lese, freue ich mich an dieser Gleichzeitigkeit von höchst kunstvollem Stil und genauester Psychologie. Die Athener, sagt Jean Paul kurz zuvor, beklatschten keine Redner mehr als die Antithesen-Drechsler, die Römer die Wortspieler – mir gefällt das: dieses Drechseln, unter dessen glattpolierter Oberfläche sich Reste von literarischer Wahrhaftigkeit erschließen lassen mögen.
Womit ich fast schon in Paris angekommen bin.