Krieg und Frieden (8): Über die Pazifistin Constanze Hallgarten
Die 137. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern beschäftigt sich mit dem Themenschwerpunkt Krieg und Frieden. Constanze Hallgarten spielte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle als Frauenrechtlerin und Pazifistin. Im nachfolgenden Artikel schildert Renée Rauchalles deren Leben und Wirken in und um München in einem breiten geschichtlichen Kontext.
*
Es war ein serbischer Student, der am 28. Juni 1914 in Sarajewo durch zwei tödliche Schüsse auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau den Ersten Weltkrieg auslöste, der die bald darauf in den Krieg eintretenden Länder Österreich-Ungarn, Serbien, Deutschland, Russland und Frankreich in eine mörderische Vernichtungsorgie stürzte, an deren Ende rund drei Viertel der ehemaligen Weltbevölkerung beteiligt war. Dass am 4. August auch noch Englands Kriegserklärung an Deutschland folgte, erschütterte die am 12. September 1881 in Leipzig geborene Frauenrechtlerin Constanze Hallgarten (sie setzte sich für die Gleichberechtigung der Frau und deren Wahlrecht ein) zutiefst. Sie konnte nicht glauben, „[...] daß es möglich wäre, daß man ernsthaft auf Menschen - auf Deutsche - schießen würde [...]“. Während der Kriegsbeginn in ganz Deutschland eine regelrechte Kriegseuphorie auslöste, (auch zahlreiche Intellektuelle und Schriftsteller meldeten sich als Freiwillige, Thomas Mann meinte in der Neuen Rundschau im September 1914: „Deutschlands ganze Tugend und Schönheit - wir sahen es erst jetzt - entfaltet sich erst im Kriege.") war für sie der Gedanke an Krieg unerträglich.1910 zog die Familie nach München Bogenhausen in eine Villa im Herzogpark, die Robert Hallgarten vom Erbe seines Vaters erbauen ließ. In deren Mittelpunkt, einer Halle mit einigen tausenden Bänden bestückten Bibliothek, fanden Empfänge und kulturelle Festivitäten statt. Sie machten die Hallgartens in der Münchner Gesellschaft bekannt, deren Söhne ihren prominentesten Nachbarn und Freund, Thomas Mann, Onkel nannten.
Ja, sie war gegen den Krieg, dennoch beteiligte sie sich mit Kameradinnen vom Münchner „Verein für Frauenstimmrecht“, dem sie seit 1913 als Schriftführerin und Vorsitzende der Münchner Ortsgruppe angehörte, am Hilfsdienst für Kriegerfrauen und Mütter. Sie richtete in ihrem Haus eine Heimarbeitsabgabestelle für notleidende Frauen ein (zahlte Arbeitslöhne aus eigener Tasche), organisierte Kleiderspenden für die Front, bewirtete in ihrem Garten Verwundete und Offiziere. Und jeder, der wollte, konnte mittags in ihrer Suppenküche eine warme Suppe essen oder abholen.
Als im Frühjahr 1915 ein Aufruf aus Holland an Frauen aller Länder zur Teilnahme an einer Frauenkonferenz in Den Haag kam, fragten ihre pazifistischen Kameradinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, ob sie es wage mit ihnen zu fahren. Beide hatte sie durch ihre Mutter Philippine Wolff-Arndt, Malerin und Frauenrechtlerin (zog 1918 in die Villa Hallgarten, noch im Alter war sie mit Constanze in der Friedensbewegung aktiv) kennengelernt. Aus Rücksicht auf ihren Mann („wegen unserer gesellschaftlichen Stellung“) trat sie die Reise nicht an. Die „Internationale der pazifistischen Frauen“ nahm in Den Haag ihren Anfang. In München nannte sich der „Verein für Frauenstimmrecht“ nun „Ortsgruppe des Internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden“.
Im Winter 1921/22 bildete sich aus den pazfistischen Organisationen das „Münchner Friedenskartell“, das Juni 1922 zum ersten Mal in einer öffentlichen Versammlung mit dem Apell „Nie wieder Krieg“ an die Öffentlicheit trat. Redner waren Quidde, für den IFFF Constanze. Ihre Rede veranlassten Mimi und Hans Pfitzner den Hallgartens wegen unvereinbarer Auffassung von Nationalgefühl die Freundschaft zu kündigen. Kurz darauf, bei einer Abendveranstaltung, verließ ein Schwager von Thomas Mann beim Anblick von Constanze dessen Haus. Obwohl kein Pazifist, reagierte Mann voller Zorn: „Diese Spießer ... Wenn Sie in Zukunft zu leiden haben oder verfolgt werden, Frau Nachbarin, kommen Sie zu mir - hier finden Sie immer eine Zuflucht.“
Gruß an die Mutter von Ricki (rechts) mit Klaus Mann um 1929 in Berlin. Klaus, der ebenfalls 1949 den Freitod wählte, setzte dem Freund mit seinem Essay Ricki Hallgarten - Radikalismus des Herzens ein literarisches Denkmal. © Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, P/a 1470
Ihr Engagement für den Frieden ging dennoch weiter. Im Mai 1927 fand die erste Friedensausstellung im Asamsaal in der Sendlingerstraße in München statt. Für Constanze bedeutete sie eine Riesenarbeit, die ihr viel Kraft kostete, trotz der Vorarbeit der Lehrerin Marie Zehetmaier, die Materialien aus aller Herren Länder gesammelt hatte. Die Ausstellung, sie ging auch auf weitere Stationen im In- und Ausland, fand großen Beifall, aber auch Gegner.
In den Tagen und Wochen darauf gab es Fluten von übelsten Schmähartikeln über den „Pazifistenskandal in München“. Hallgarten und Mann verklagten zwei Journalisten und gewannen den Prozess, wozu vor allem auch Capys Rede beitrug. Diese schickte sie an die „frühere Freundin“ Elsa Bruckmann (verheiratet mit Hugo Bruckmann, ihnen gehörte der berühmte Münchner Kunstverlag Bruckmann), die sich dadurch aber nicht „bekehren“ ließ. Sie war damals die beste Freundin und große Förderin Hitlers, der in ihrem Salon häufig zu Gast war, was dazu führte, dass viele ehemalige Besucher wie Hallgarten, Thomas Mann oder Rilke fernblieben. Hitler setzte sie später als Vorsitzende der noch heute bekannten Künstlervereinigung GEDOK ein, nachdem er die Jüdin Ida Dehmel entlassen hatte. Später sah sie ihren Irrtum ein.
Die nächsten Jahre lebte sie unter großen finanziellen Problemen und Entbehrungen in Paris und in der Schweiz, zudem musste sie ihre kranke Mutter pflegen. Während ab dem 3. Juni 1940 deutsche Bomben auf Paris fielen, saß sie allein an deren Sterbebett (Tod am 4. Juni). Wolfgang war am 11. März 1937 in die USA emigriert, (nannte sich seitdem George W. F.). Nach langwierigen Visumsschwierigkeiten konnte auch sie, stark geschwächt vom Thyphus, ab Lissabon mit dem Schiff nach New York in die USA reisen, wo sie am 10. November 1941 in New York ankam. Wenige Tage später dann das glückliche Wiedersehen mit George in San Francisco und ein baldiges Treffen mit Thomas und Katia Mann (seit 1941 ebenfalls in Kalifornien).
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Die 137. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern beschäftigt sich mit dem Themenschwerpunkt Krieg und Frieden. Constanze Hallgarten spielte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle als Frauenrechtlerin und Pazifistin. Im nachfolgenden Artikel schildert Renée Rauchalles deren Leben und Wirken in und um München in einem breiten geschichtlichen Kontext.
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Es war ein serbischer Student, der am 28. Juni 1914 in Sarajewo durch zwei tödliche Schüsse auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau den Ersten Weltkrieg auslöste, der die bald darauf in den Krieg eintretenden Länder Österreich-Ungarn, Serbien, Deutschland, Russland und Frankreich in eine mörderische Vernichtungsorgie stürzte, an deren Ende rund drei Viertel der ehemaligen Weltbevölkerung beteiligt war. Dass am 4. August auch noch Englands Kriegserklärung an Deutschland folgte, erschütterte die am 12. September 1881 in Leipzig geborene Frauenrechtlerin Constanze Hallgarten (sie setzte sich für die Gleichberechtigung der Frau und deren Wahlrecht ein) zutiefst. Sie konnte nicht glauben, „[...] daß es möglich wäre, daß man ernsthaft auf Menschen - auf Deutsche - schießen würde [...]“. Während der Kriegsbeginn in ganz Deutschland eine regelrechte Kriegseuphorie auslöste, (auch zahlreiche Intellektuelle und Schriftsteller meldeten sich als Freiwillige, Thomas Mann meinte in der Neuen Rundschau im September 1914: „Deutschlands ganze Tugend und Schönheit - wir sahen es erst jetzt - entfaltet sich erst im Kriege.") war für sie der Gedanke an Krieg unerträglich.1910 zog die Familie nach München Bogenhausen in eine Villa im Herzogpark, die Robert Hallgarten vom Erbe seines Vaters erbauen ließ. In deren Mittelpunkt, einer Halle mit einigen tausenden Bänden bestückten Bibliothek, fanden Empfänge und kulturelle Festivitäten statt. Sie machten die Hallgartens in der Münchner Gesellschaft bekannt, deren Söhne ihren prominentesten Nachbarn und Freund, Thomas Mann, Onkel nannten.
Ja, sie war gegen den Krieg, dennoch beteiligte sie sich mit Kameradinnen vom Münchner „Verein für Frauenstimmrecht“, dem sie seit 1913 als Schriftführerin und Vorsitzende der Münchner Ortsgruppe angehörte, am Hilfsdienst für Kriegerfrauen und Mütter. Sie richtete in ihrem Haus eine Heimarbeitsabgabestelle für notleidende Frauen ein (zahlte Arbeitslöhne aus eigener Tasche), organisierte Kleiderspenden für die Front, bewirtete in ihrem Garten Verwundete und Offiziere. Und jeder, der wollte, konnte mittags in ihrer Suppenküche eine warme Suppe essen oder abholen.
Als im Frühjahr 1915 ein Aufruf aus Holland an Frauen aller Länder zur Teilnahme an einer Frauenkonferenz in Den Haag kam, fragten ihre pazifistischen Kameradinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, ob sie es wage mit ihnen zu fahren. Beide hatte sie durch ihre Mutter Philippine Wolff-Arndt, Malerin und Frauenrechtlerin (zog 1918 in die Villa Hallgarten, noch im Alter war sie mit Constanze in der Friedensbewegung aktiv) kennengelernt. Aus Rücksicht auf ihren Mann („wegen unserer gesellschaftlichen Stellung“) trat sie die Reise nicht an. Die „Internationale der pazifistischen Frauen“ nahm in Den Haag ihren Anfang. In München nannte sich der „Verein für Frauenstimmrecht“ nun „Ortsgruppe des Internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden“.
Im Winter 1921/22 bildete sich aus den pazfistischen Organisationen das „Münchner Friedenskartell“, das Juni 1922 zum ersten Mal in einer öffentlichen Versammlung mit dem Apell „Nie wieder Krieg“ an die Öffentlicheit trat. Redner waren Quidde, für den IFFF Constanze. Ihre Rede veranlassten Mimi und Hans Pfitzner den Hallgartens wegen unvereinbarer Auffassung von Nationalgefühl die Freundschaft zu kündigen. Kurz darauf, bei einer Abendveranstaltung, verließ ein Schwager von Thomas Mann beim Anblick von Constanze dessen Haus. Obwohl kein Pazifist, reagierte Mann voller Zorn: „Diese Spießer ... Wenn Sie in Zukunft zu leiden haben oder verfolgt werden, Frau Nachbarin, kommen Sie zu mir - hier finden Sie immer eine Zuflucht.“
Gruß an die Mutter von Ricki (rechts) mit Klaus Mann um 1929 in Berlin. Klaus, der ebenfalls 1949 den Freitod wählte, setzte dem Freund mit seinem Essay Ricki Hallgarten - Radikalismus des Herzens ein literarisches Denkmal. © Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, P/a 1470
Ihr Engagement für den Frieden ging dennoch weiter. Im Mai 1927 fand die erste Friedensausstellung im Asamsaal in der Sendlingerstraße in München statt. Für Constanze bedeutete sie eine Riesenarbeit, die ihr viel Kraft kostete, trotz der Vorarbeit der Lehrerin Marie Zehetmaier, die Materialien aus aller Herren Länder gesammelt hatte. Die Ausstellung, sie ging auch auf weitere Stationen im In- und Ausland, fand großen Beifall, aber auch Gegner.
In den Tagen und Wochen darauf gab es Fluten von übelsten Schmähartikeln über den „Pazifistenskandal in München“. Hallgarten und Mann verklagten zwei Journalisten und gewannen den Prozess, wozu vor allem auch Capys Rede beitrug. Diese schickte sie an die „frühere Freundin“ Elsa Bruckmann (verheiratet mit Hugo Bruckmann, ihnen gehörte der berühmte Münchner Kunstverlag Bruckmann), die sich dadurch aber nicht „bekehren“ ließ. Sie war damals die beste Freundin und große Förderin Hitlers, der in ihrem Salon häufig zu Gast war, was dazu führte, dass viele ehemalige Besucher wie Hallgarten, Thomas Mann oder Rilke fernblieben. Hitler setzte sie später als Vorsitzende der noch heute bekannten Künstlervereinigung GEDOK ein, nachdem er die Jüdin Ida Dehmel entlassen hatte. Später sah sie ihren Irrtum ein.
Die nächsten Jahre lebte sie unter großen finanziellen Problemen und Entbehrungen in Paris und in der Schweiz, zudem musste sie ihre kranke Mutter pflegen. Während ab dem 3. Juni 1940 deutsche Bomben auf Paris fielen, saß sie allein an deren Sterbebett (Tod am 4. Juni). Wolfgang war am 11. März 1937 in die USA emigriert, (nannte sich seitdem George W. F.). Nach langwierigen Visumsschwierigkeiten konnte auch sie, stark geschwächt vom Thyphus, ab Lissabon mit dem Schiff nach New York in die USA reisen, wo sie am 10. November 1941 in New York ankam. Wenige Tage später dann das glückliche Wiedersehen mit George in San Francisco und ein baldiges Treffen mit Thomas und Katia Mann (seit 1941 ebenfalls in Kalifornien).