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04.02.2013, 14:59 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [18]: „Das Liebeskonzil“ in der literarischen Kritik

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Detlev von Liliencron (1844-1909). Er fand das "Das Liebeskonzil" „kolossal“. Aus: Hamburgische Männer und Frauen am Anfang des XX. Jahrhunderts. Hamburg 1905.

Am 8. August 1895 tritt Oskar Panizza seine Haftstrafe im Gefängnis Amberg an. Als Gefängnisgeistlicher arbeitet dort der Dekan Friedrich Lippert, mit dem Panizza sich anfreundet. Mit ihm kann er über religiöse und andere Fragen diskutieren. Später soll Lippert Panizzas Vormund werden. Vielleicht hat er es auch Lippert zu verdanken: jedenfalls darf Panizza vom Gefängnis aus weiter publizieren, wenn auch unter Pseudonym in den Zeitschriften, in denen er bisher veröffentlicht hat. Er ist nun wirklich kein Unbekannter mehr. Seit dem Erscheinen des Liebeskonzils Ende 1894 haben sich zahlreiche Autoren und Zeitungen zu Wort gemeldet, insbesondere nach Panizzas Verurteilung, die von Manchen als viel zu hart und ungerecht empfunden wird. Panizza hat diese Stellungnahmen gesammelt und im Anhang zur dritten Auflage des Stücks (1897) im Anhang veröffentlicht. Er zitiert auch aus Briefen, die er in diesen Monaten erhalten hat.

Hier einige bemerkenswerte Beispiele: Hermann Bahr schreibt: „Die christliche Mythologie wird hier behandelt, wie die klassische Mythologie von Offenbach behandelt wurde. Diese Frechheit ist der Reiz der Dichtung, den sie freilich durch Breiten schädigt. Wenn man schon solche Lästerungen und Vermessenheiten wagt, müssen sie byronischen Schwung haben, um zu wirken.“ Detlev von Liliencron findet das Stück einfach „kolossal“. Otto Julius Bierbaum hält das Stück für Panizzas „geschlossenste, künstlerisch abgerundetste Arbeit“, er empfiehlt ihm, außer Landes zu gehen, was Panizza tatsächlich kurz erwogen hat. Der Fränkische Kurier aus Nürnberg schreibt am 5. Mai 1895, die Strafe sei eine auffällig hohe. „Für das Jahr Gefängnis hätte Dr. Panizza fast einen Menschen mit tödlichem Ausgange körperlich verletzten können“ Die Kölnische Volkszeitung ist empört (11. Mai 1895): „Wenn die deutsche Litteratur auf solche Wege sich verirrt, ist es Zeit, dass ein Psychiater sie untersucht. – Und dieser Kerl wird von Blättern des ‚gebildeten Bürgertums‘ liebevoll in Schutz genommen.“ Auch das Neue Münchener Tagblatt ist dieser Meinung (28. Mai 1895): „Gegenüber der Kritik eines Teiles der Presse an diesem Urteil halten wir für Pflicht, zu sagen: der Angeklagte hatte eine empfindliche Strafe verdient.“ Ernst von Wolzogen, der Begründer des Überbrettls, schreibt im Magazin für Litteratur (Nr. 24, Berlin 1895): Ein Jahr Gefängnis: „Das ist bei uns in Bayern kein Wunder. Ein Spottwort über Gott-Vater hätte man immerhin passieren lassen, aber man denkt zu katholisch, als dass man nur den Schatten eines Schimpfs gegen die Jungfrau Maria ungeahndet lassen würde. Zudem waren die Geschworenen durchweg Bauern.“ Das Stück selber hält er jedoch nicht für besonders gelungen. Auf insgesamt 35 Seiten hat Panizza Stimmen und Gegenstimmen zu seinem Drama zusammengestellt. (Insgesamt nachzulesen im Anhang zu der von Peter D. G. Brown besorgten Faksimile-Ausgabe des Liebeskonzils. München: Belleville Verlag 2005.)

Abschließend zitiert er ein Gedicht aus der Münchner Zeitschrift Die Geissel (Nr. 33 vom 15. August 1896):

Oskar Panizza
Hinter eisernen Gardinen
Hatte man dich eingesteckt,
Weil gelüftet du den Vorhang
Und Verborgnes aufgedeckt.

Schreit’ auf deiner Bahn nur weiter,
Du wirst siegen in diesem Kreuz,
Doch gebrauch dabei die Vorsicht –
Dichte in der freien Schweiz.

Was Panizza nach der Verbüßung seiner Gefängnisstrafe auch beherzigt hat...

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