Dichtung ist Revolution (3): Revolutionäre Internationalisten um Erich Mühsam
Im November 1918 wird die Wittelsbacher Monarchie gestürzt, der Schriftsteller und Revolutionär Kurt Eisner ruft in München den „Freistaat Bayern“ aus. Zum 100. Jubiläum von Revolution und Rätezeit zeigt die Monacensia im Hildebrandhaus die Ausstellung „Dichtung ist Revolution“. Kuratorin Laura Mokrohs und Zeichnerin Barbara Yelin erzählen begleitend in zehn Episoden in Text und Bild von den Überzeugungen, Ideen und Taten der revolutionären Schriftsteller Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller.
Bei Erich Mühsam legt sich die Euphorie über den unblutigen revolutionären Umsturz schnell. Er fürchtet, dass die Errungenschaften der Revolution allzu bald wieder verloren sein würden, wenn sie nicht entschieden genug umgesetzt würden. Ab dem 8. November arbeitet Mühsam mit anderen Anarchisten, Mitgliedern der USPD und Kommunisten im Revolutionären Arbeiterrat zusammen. Auch Ernst Toller und Gustav Landauer werden nach ihrer Ankunft in München in den Rat aufgenommen. Als Bedingung zur Mitarbeit nennt Mühsam den „Wille[n], die Revolution bis zur Durchführung des Sozialismus auf der Grundlage des Rätegedankens weiterzutreiben.“ Das ist ein Ziel, das er mit Eisners provisorischer Regierungsbildung nicht verwirklicht sieht. Die rund 50 Mitglieder des Revolutionären Arbeiterrats kommen regelmäßig in den Arbeits- und Tagungsräumen im Landtagsgebäude zusammen und arbeiten an ihren Forderungen und Zielen.
Mitte November protestieren sie „im Interesse der Revolution“ gegen die Planungen für die Wahl zur Nationalversammlung, sie fordern die Einsetzung von Personen aus ihren Reihen im Staatsdienst und verlangen stärkere Kontrollrechte gegenüber der Regierung. Organisatorisch stehen sie an der Spitze der bayerischen Arbeiterräte, haben aber tatsächlich in der neu gebildeten Regierung wenig Einfluss. Zenzl Mühsam beschreibt den Rat in einem Brief:
[...] dieser revolutionäre Arbeiterrat ist ein Gebilde von jenen, die am 7. Nov. 18 in der Sturmnacht aktiv etwas geleistet haben. Es ist die Seele der Revolution. Es sind jene, die in der Regierung sind und immer die Forderungen der Revolution vertreten, die ewig erinnern, dass wir ein neues Deutschland wollen.
Besonders Erich Mühsam und Gustav Landauer setzten sich schon kurz nach der Revolution vehement für das Rätesystem ein. Mitte November verfasst Mühsam ein Flugblatt, mit dem er sich an die Öffentlichkeit wendet. Er macht darin deutlich, dass der eben erreichte Zustand „Grund zur Freude“, aber noch nicht zum „Übermut“ sei, denn die „Befreiung der Welt von den Ursachen jedes Krieges [sei] fortab Ziel und Trieb aller gemeinsamen Kräfte“. Bei aller Anerkennung für Eisners Verdienste um den Frieden und den Sturz der Monarchie, warnt Mühsam vor dem Parlamentarismus, vor Eisners Zusammenarbeit mit den alten Beamten und mit der gemäßigten MSPD. Durch ein konsequent umgesetztes Rätesystem sollten endlich alle Menschen an der Regierung beteiligt werden. Gelesen wird sein Flugblatt auch von der gerade 18-jährigen Hilde Kramer, die als Pflegekind einer sozialistischen Familie aufgewachsen war. Sie hatte an der großen Demonstration vom 7. November auf der Theresienwiese teilgenommen und sich von da ab der Revolution als Stenographin zur Verfügung gestellt. Sie lernt so Erich Mühsam kennen und tauscht sich mit ihm aus. Auch sie verspürt „trotz der verschiedenen neuen Errungenschaften“ eine „riesengroße Enttäuschung“ und befürchtet, dass Kurt Eisner „das ‚Sozialisieren’ zum St. Nimmerleinstag“ aufschieben werde. Erich Mühsams Flugblatt spricht ihr also aus der Seele.
Neben den politischen Forderungen setzt Mühsam auch auf die Kraft seiner Gedichte und druckt sein schon während des Krieges entstandenes Soldatenlied mit ab:
[...]
Lebt wohl, ihr Brüder! Unsre Hand,
daß ferner Friede sei!
Nie wieder reiß das Völkerband
in rohem Krieg entzwei.
Sieg allen in der Heimatschlacht!
Dann sinken Grenzen, stürzt die Macht,
und alle Welt ist Vaterland
und alle Welt ist frei!
Fürs erste ist der Frieden nun gesichert, doch im Kreis um Mühsam wünschen sich viele vor allem die Zusammenarbeit aller revolutionären Strömungen, besonders des revolutionären Proletariats. Am 30. November 1918 gründen sie daher die Vereinigung Revolutionärer Internationalisten. Sie fassen ihre Ziele in einem Flugblatt zusammen, das auch Hilde Kramer mitunterzeichnet:
Revolutionäre, internationalistisch gesinnte, kommunistische
Arbeiter und Soldaten!
Männer und Frauen!
Nicht alle Volksgenossen sind mit dem bisherigen Verlauf der Revolution einverstanden.
[...] Wir verlangen die Verwirklichung des Sozialismus als Krönung der gegenwärtigen Volksbewegung. Das Ende des Weltkrieges bedeutet zusammen mit der Weltrevolution den Zusammenbruch des Kapitalismus. Auf seinen Trümmern wollen wir nicht altes zu retten suchen, sondern neues aufbauen. Wir blicken nicht auf den Weg, sonders aufs Ziel. Das Mittel der Revolution heißt Revolution. Das ist nicht Mord und Totschlag, sondern Aufbau und Verwirklichung. [...] wollen wir die Liebe zur Menschheit zur Richtschnur aller unserer Handlungen machen.
Auch hier wird deutlich, wie stark bei den Revolutionären der Glaube ist, ein neues Zusammenleben durch einen Wandel jedes Einzelnen umsetzen zu können.
Geschäftsstelle ihrer neuen Vereinigung ist das Wirtshaus Braunauer Hof in der Münchner Frauenstraße. Mühsam erinnert sich später im Tagebuch an die Stunden hier als die „eigentlich beste Zeit der Revolution“.
Alle Kräfte sollen für den „gemeinsamen Kampf“ gesammelt werden. Die „Rote Hilde“, wie Oskar Maria Graf sie nennt, Erich Mühsam und einige andere arbeiten nun eng zusammen. In der Revolutionszeit übernachtet sie regelmäßig auf dem Sofa der Mühsams.
Beeindruckt ist Hilde Kramer auch von Zenzl Mühsam, die ihr gastfreundlich Kaffee ans Bett bringt, aber vor allem „für diesen intellektuellen Haushalt eine außerordentliche Erscheinung“ ist, „ein bayrisches Bauernmädchen mit dicken Zöpfen um den Kopf gelegt, stark bayrischem Akzent und fähig, sich in jeder Gesellschaft mit Grazie zu bewegen.“ Erich Mühsam beschreibt sie als „wunderbare[n] Redner“ und „gute[n], ehrliche[n]“ Mann, der immer wieder betone, dass er „kein Kommunist und überhaupt kein Parteimensch sei, sondern ein Anarchist“. Anfang 1919 schließen sich viele Mitglieder seiner Vereinigung der neu gegründeten KPD an, er selbst bleibt unabhängig.
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-> Weiter geht es am 18. Dezember mit Folge 4: Die Sitzungen des provisorischen Nationalrates „Die Welt schmachtet nach neuen Gedanken“
-> Zur letzten Folge 2
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Im November 1918 wird die Wittelsbacher Monarchie gestürzt, der Schriftsteller und Revolutionär Kurt Eisner ruft in München den „Freistaat Bayern“ aus. Zum 100. Jubiläum von Revolution und Rätezeit zeigt die Monacensia im Hildebrandhaus die Ausstellung „Dichtung ist Revolution“. Kuratorin Laura Mokrohs und Zeichnerin Barbara Yelin erzählen begleitend in zehn Episoden in Text und Bild von den Überzeugungen, Ideen und Taten der revolutionären Schriftsteller Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller.
Bei Erich Mühsam legt sich die Euphorie über den unblutigen revolutionären Umsturz schnell. Er fürchtet, dass die Errungenschaften der Revolution allzu bald wieder verloren sein würden, wenn sie nicht entschieden genug umgesetzt würden. Ab dem 8. November arbeitet Mühsam mit anderen Anarchisten, Mitgliedern der USPD und Kommunisten im Revolutionären Arbeiterrat zusammen. Auch Ernst Toller und Gustav Landauer werden nach ihrer Ankunft in München in den Rat aufgenommen. Als Bedingung zur Mitarbeit nennt Mühsam den „Wille[n], die Revolution bis zur Durchführung des Sozialismus auf der Grundlage des Rätegedankens weiterzutreiben.“ Das ist ein Ziel, das er mit Eisners provisorischer Regierungsbildung nicht verwirklicht sieht. Die rund 50 Mitglieder des Revolutionären Arbeiterrats kommen regelmäßig in den Arbeits- und Tagungsräumen im Landtagsgebäude zusammen und arbeiten an ihren Forderungen und Zielen.
Mitte November protestieren sie „im Interesse der Revolution“ gegen die Planungen für die Wahl zur Nationalversammlung, sie fordern die Einsetzung von Personen aus ihren Reihen im Staatsdienst und verlangen stärkere Kontrollrechte gegenüber der Regierung. Organisatorisch stehen sie an der Spitze der bayerischen Arbeiterräte, haben aber tatsächlich in der neu gebildeten Regierung wenig Einfluss. Zenzl Mühsam beschreibt den Rat in einem Brief:
[...] dieser revolutionäre Arbeiterrat ist ein Gebilde von jenen, die am 7. Nov. 18 in der Sturmnacht aktiv etwas geleistet haben. Es ist die Seele der Revolution. Es sind jene, die in der Regierung sind und immer die Forderungen der Revolution vertreten, die ewig erinnern, dass wir ein neues Deutschland wollen.
Besonders Erich Mühsam und Gustav Landauer setzten sich schon kurz nach der Revolution vehement für das Rätesystem ein. Mitte November verfasst Mühsam ein Flugblatt, mit dem er sich an die Öffentlichkeit wendet. Er macht darin deutlich, dass der eben erreichte Zustand „Grund zur Freude“, aber noch nicht zum „Übermut“ sei, denn die „Befreiung der Welt von den Ursachen jedes Krieges [sei] fortab Ziel und Trieb aller gemeinsamen Kräfte“. Bei aller Anerkennung für Eisners Verdienste um den Frieden und den Sturz der Monarchie, warnt Mühsam vor dem Parlamentarismus, vor Eisners Zusammenarbeit mit den alten Beamten und mit der gemäßigten MSPD. Durch ein konsequent umgesetztes Rätesystem sollten endlich alle Menschen an der Regierung beteiligt werden. Gelesen wird sein Flugblatt auch von der gerade 18-jährigen Hilde Kramer, die als Pflegekind einer sozialistischen Familie aufgewachsen war. Sie hatte an der großen Demonstration vom 7. November auf der Theresienwiese teilgenommen und sich von da ab der Revolution als Stenographin zur Verfügung gestellt. Sie lernt so Erich Mühsam kennen und tauscht sich mit ihm aus. Auch sie verspürt „trotz der verschiedenen neuen Errungenschaften“ eine „riesengroße Enttäuschung“ und befürchtet, dass Kurt Eisner „das ‚Sozialisieren’ zum St. Nimmerleinstag“ aufschieben werde. Erich Mühsams Flugblatt spricht ihr also aus der Seele.
Neben den politischen Forderungen setzt Mühsam auch auf die Kraft seiner Gedichte und druckt sein schon während des Krieges entstandenes Soldatenlied mit ab:
[...]
Lebt wohl, ihr Brüder! Unsre Hand,
daß ferner Friede sei!
Nie wieder reiß das Völkerband
in rohem Krieg entzwei.
Sieg allen in der Heimatschlacht!
Dann sinken Grenzen, stürzt die Macht,
und alle Welt ist Vaterland
und alle Welt ist frei!
Fürs erste ist der Frieden nun gesichert, doch im Kreis um Mühsam wünschen sich viele vor allem die Zusammenarbeit aller revolutionären Strömungen, besonders des revolutionären Proletariats. Am 30. November 1918 gründen sie daher die Vereinigung Revolutionärer Internationalisten. Sie fassen ihre Ziele in einem Flugblatt zusammen, das auch Hilde Kramer mitunterzeichnet:
Revolutionäre, internationalistisch gesinnte, kommunistische
Arbeiter und Soldaten!
Männer und Frauen!
Nicht alle Volksgenossen sind mit dem bisherigen Verlauf der Revolution einverstanden.
[...] Wir verlangen die Verwirklichung des Sozialismus als Krönung der gegenwärtigen Volksbewegung. Das Ende des Weltkrieges bedeutet zusammen mit der Weltrevolution den Zusammenbruch des Kapitalismus. Auf seinen Trümmern wollen wir nicht altes zu retten suchen, sondern neues aufbauen. Wir blicken nicht auf den Weg, sonders aufs Ziel. Das Mittel der Revolution heißt Revolution. Das ist nicht Mord und Totschlag, sondern Aufbau und Verwirklichung. [...] wollen wir die Liebe zur Menschheit zur Richtschnur aller unserer Handlungen machen.
Auch hier wird deutlich, wie stark bei den Revolutionären der Glaube ist, ein neues Zusammenleben durch einen Wandel jedes Einzelnen umsetzen zu können.
Geschäftsstelle ihrer neuen Vereinigung ist das Wirtshaus Braunauer Hof in der Münchner Frauenstraße. Mühsam erinnert sich später im Tagebuch an die Stunden hier als die „eigentlich beste Zeit der Revolution“.
Alle Kräfte sollen für den „gemeinsamen Kampf“ gesammelt werden. Die „Rote Hilde“, wie Oskar Maria Graf sie nennt, Erich Mühsam und einige andere arbeiten nun eng zusammen. In der Revolutionszeit übernachtet sie regelmäßig auf dem Sofa der Mühsams.
Beeindruckt ist Hilde Kramer auch von Zenzl Mühsam, die ihr gastfreundlich Kaffee ans Bett bringt, aber vor allem „für diesen intellektuellen Haushalt eine außerordentliche Erscheinung“ ist, „ein bayrisches Bauernmädchen mit dicken Zöpfen um den Kopf gelegt, stark bayrischem Akzent und fähig, sich in jeder Gesellschaft mit Grazie zu bewegen.“ Erich Mühsam beschreibt sie als „wunderbare[n] Redner“ und „gute[n], ehrliche[n]“ Mann, der immer wieder betone, dass er „kein Kommunist und überhaupt kein Parteimensch sei, sondern ein Anarchist“. Anfang 1919 schließen sich viele Mitglieder seiner Vereinigung der neu gegründeten KPD an, er selbst bleibt unabhängig.
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