1918/1968 – Revolutionen (4): Erich Mühsams Humanität
Die 132. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Aufbrüche. Als Fortsetzung unserer Blogreihe zu den Revolutionen 1918 und 1968 veröffentlichen wir hier einen Artikel von Gernot Eschrich über den Revolutionär Erich Mühsam.
*
Es gibt Unterschiede zwischen den leidenschaftlichen Rednern und Revolutionären Eisner, Landauer, Mühsam, aber eines verbindet sie: Sie waren menschlich in Ordnung, in ihrer Integrität vorbildlich. Zum Beispiel Erich Mühsam. Hier ein paar Aspekte gewonnen aus Volker Weidermanns Buch Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen (vgl. dazu Hannes Macher in dieser Ausgabe der Literatur in Bayern) und aus dem »Lesebuch« Erich Mühsam. Das seid ihr Hunde wert.
»Ernst Jünger schrieb später in seinen Kriegsaufzeichnungen Strahlungen nach einer Hausdurchsuchung bei ihm ›Ich glaube, man suchte Briefe des alten Anarchisten Mühsam bei mir, der eine kindliche Neigung zu mir gefasst hatte und den man auf so schauerliche Weise ermordete. Er war einer der besten und gutmütigsten Menschen, denen ich begegnet bin.‹« (Weidermann 280/281)
Und Zenzl, Mühsams Frau, schreib in einem Brief vom Oktober 1937: »Erich war der besorgteste Ehemann, den du dir vorstellen kannst. Außerdem furchtbar stolz (meine Frau macht alles selbst) [...] Und Erich war im Stande, mein Leben auszufüllen – weit über den Tod hinaus.« (Lesebuch 322)
Weidermann (S. 200) resümiert: »Aber Mühsam hatte schon etwas von einem reineren Toren. Der Glaube an das Gute im Menschen, an die Kraft der Literatur, an die Ideale des Anarchismus trieben ihn an.«
Dabei war Mühsam kein »Weichei«, er war mutig, oft draufgängerisch, aber nie herrschsüchtig, gehässig oder brutal. Sein Mut bewährte sich am klarsten 1933 im Gefängnis, als er, schwer misshandelt, zu seiner Frau sagte: »Eins merke dir, Zenzl, ich werde ganz bestimmt niemals feige sein«, und als er den SA-Männern, die zum Spaß seine Scheinhinrichtung inszenierten, zurief: »Zum Letzten seid ihr doch zu feig!« (Lesebuch 310)
Der Typ Anarchist, den Erich Mühsam verkörpert, erregt stets den Hass der Zwanghaften. Was er dabei unter Anarchie verstand, definierte er 1912: »Anarchie bedeutet Herrschaftslosigkeit. Wer den Begriff mit keinem Gedanken verbinden kann, ehe er ihn nicht zur Zügellosigkeit umgedeutet hat, der beweist damit, dass er mit den Empfindungsnerven eines Pferdes ausgerüstet ist.
Anarchie ist die Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat. Die anarchische Gesellschaft setzt an ihre Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.« (Lesebuch 127) Dass das eine Utopie ist, ahnt Mühsam selbst, wenn er fortfährt: »Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben.«
An Beherrschtheit lässt Mühsam es nach Ansicht Kurt Eisners allerdings selber fehlen, als er am 7. Januar 1919 einen in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei mündenden Demonstrationszug anführt und von Eisner dafür kurzfristig inhaftiert wird. (Weidermann 81/82)
Überzeugt von der Notwendigkeit einer linkssozialistischen Räterepublik, agitiert und kämpft Mühsam geradezu fanatisch mit seiner besten Waffe, dem Wort. Als jedoch am ersten Tag von Tollers Regierung das Gerücht umgeht, bewaffnete Studenten näherten sich dem Wittelsbacher Palais, holen Mühsam und Landauer einige Waffen hervor, bereit, äußersten Widerstand zu leisten. (Weidermann 167)
Absolut zivil wiederum zeigt Mühsam menschliche Größe, nachdem Landauer ihn am 6. April 1919 bei der Ämterverteilung einer zu gründenden Räterepublik als für das Außenamt ungeeignet ablehnt. Als man nämlich Landauer seinerseits in der Runde als ›Kultusminister‹ für nicht vermittelbar hält, tritt Mühsam energisch für ihn ein und setzt ihn durch (Weidermann 158). Nicht schlecht, oder?
Abgemüht hat er sich wie wenige:
Eisner, Landauer, Toller ...
Siebzig oder achtzig sind sie nicht geworden,
Mühe und Arbeit waren nicht köstlich.
Erschlagen, erschossen, aufgehängt.
Als Revolutionäre gescheitert.
Doch revolutionär
ihr politischer Anstand.
Gernot Eschrich wurde 1938 geboren und wuchs in Landshut auf. Er studierte die Fächer Deutsch, Latein und Griechisch in München und Freiburg. Von 1964 bis 2001 war er Gymnasiallehrer in Tegernsee und Gilching.
- Zum 90. Todestag von Erich Mühsam: „Jetzt haben sie mich einkasernt“ / Rita Steininger
- Die Mappe eines Großvaters: Hubert Vogl und seine Schwabacher Drucke / Gernot Eschrich
- Dichtung ist Revolution (10): Erich Mühsam und Ernst Toller vor dem Standgericht und in der Festungshaft, 4. Juni / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (9): Die Niederschlagung der Räterepublik in München, 2. Mai 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (8): Die Ausrufung der Räterepublik in München, 7. April 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Zum 90. Todestag von Erich Mühsam: „Jetzt haben sie mich einkasernt“ / Rita Steininger
- Die Mappe eines Großvaters: Hubert Vogl und seine Schwabacher Drucke / Gernot Eschrich
- Dichtung ist Revolution (10): Erich Mühsam und Ernst Toller vor dem Standgericht und in der Festungshaft, 4. Juni / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (9): Die Niederschlagung der Räterepublik in München, 2. Mai 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (8): Die Ausrufung der Räterepublik in München, 7. April 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (7): Der Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (6): Ermordung und Beerdigung Kurt Eisners / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (5): Konflikte im Vorfeld der Landtagswahlen 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (4): Die Sitzungen des provisorischen Nationalrates / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (11): Christian Springer über die Bahn als das Internet der Revolution / Christian Springer
- Dichtung ist Revolution (3): Revolutionäre Internationalisten um Erich Mühsam / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (10): Einige Neuerscheinungen zu Revolution und Räterepublik / Hannes S. Macher
- 1918/1968 – Revolutionen (9): Michael Appels Studie »Die letzte Nacht der Monarchie« / Klaus Hübner
- 1918/1968 – Revolutionen (8): Die wilden 1960er und ihre literarischen Spuren / Michaela Karl
- Dichtung ist Revolution (2): 15. November 1918 – Ernst Toller und Gustav Landauer treffen in München ein / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (7): Tiny Stricker, fast vergessener Rebell und Pop-Pionier / Klaus Hübner
- 1918/1968 – Revolutionen (6): Gustav Regler – Ein Leben voller Aufbrüche / Gerd Holzheimer
- Dichtung ist Revolution (1): Revolutionäre Schriftsteller für Demokratie und Menschlichkeit / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (5): Eine Ausstellung über Kurt Eisners kurze Revolution / Renée Rauchalles
- 1918/1968 – Revolutionen (3): Ein Auszug aus dem Revolutionsroman von Norbert Göttler / Norbert Göttler
- 1918/1968 – Revolutionen (2): Ein Denkmal für Gustav Landauer / Michael Stephan
- 1918/1968 – Revolutionen (1): Das Phantom. Als B. Traven noch Ret Marut war / Klaus Hübner
1918/1968 – Revolutionen (4): Erich Mühsams Humanität>
Die 132. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Aufbrüche. Als Fortsetzung unserer Blogreihe zu den Revolutionen 1918 und 1968 veröffentlichen wir hier einen Artikel von Gernot Eschrich über den Revolutionär Erich Mühsam.
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Es gibt Unterschiede zwischen den leidenschaftlichen Rednern und Revolutionären Eisner, Landauer, Mühsam, aber eines verbindet sie: Sie waren menschlich in Ordnung, in ihrer Integrität vorbildlich. Zum Beispiel Erich Mühsam. Hier ein paar Aspekte gewonnen aus Volker Weidermanns Buch Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen (vgl. dazu Hannes Macher in dieser Ausgabe der Literatur in Bayern) und aus dem »Lesebuch« Erich Mühsam. Das seid ihr Hunde wert.
»Ernst Jünger schrieb später in seinen Kriegsaufzeichnungen Strahlungen nach einer Hausdurchsuchung bei ihm ›Ich glaube, man suchte Briefe des alten Anarchisten Mühsam bei mir, der eine kindliche Neigung zu mir gefasst hatte und den man auf so schauerliche Weise ermordete. Er war einer der besten und gutmütigsten Menschen, denen ich begegnet bin.‹« (Weidermann 280/281)
Und Zenzl, Mühsams Frau, schreib in einem Brief vom Oktober 1937: »Erich war der besorgteste Ehemann, den du dir vorstellen kannst. Außerdem furchtbar stolz (meine Frau macht alles selbst) [...] Und Erich war im Stande, mein Leben auszufüllen – weit über den Tod hinaus.« (Lesebuch 322)
Weidermann (S. 200) resümiert: »Aber Mühsam hatte schon etwas von einem reineren Toren. Der Glaube an das Gute im Menschen, an die Kraft der Literatur, an die Ideale des Anarchismus trieben ihn an.«
Dabei war Mühsam kein »Weichei«, er war mutig, oft draufgängerisch, aber nie herrschsüchtig, gehässig oder brutal. Sein Mut bewährte sich am klarsten 1933 im Gefängnis, als er, schwer misshandelt, zu seiner Frau sagte: »Eins merke dir, Zenzl, ich werde ganz bestimmt niemals feige sein«, und als er den SA-Männern, die zum Spaß seine Scheinhinrichtung inszenierten, zurief: »Zum Letzten seid ihr doch zu feig!« (Lesebuch 310)
Der Typ Anarchist, den Erich Mühsam verkörpert, erregt stets den Hass der Zwanghaften. Was er dabei unter Anarchie verstand, definierte er 1912: »Anarchie bedeutet Herrschaftslosigkeit. Wer den Begriff mit keinem Gedanken verbinden kann, ehe er ihn nicht zur Zügellosigkeit umgedeutet hat, der beweist damit, dass er mit den Empfindungsnerven eines Pferdes ausgerüstet ist.
Anarchie ist die Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat. Die anarchische Gesellschaft setzt an ihre Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.« (Lesebuch 127) Dass das eine Utopie ist, ahnt Mühsam selbst, wenn er fortfährt: »Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben.«
An Beherrschtheit lässt Mühsam es nach Ansicht Kurt Eisners allerdings selber fehlen, als er am 7. Januar 1919 einen in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei mündenden Demonstrationszug anführt und von Eisner dafür kurzfristig inhaftiert wird. (Weidermann 81/82)
Überzeugt von der Notwendigkeit einer linkssozialistischen Räterepublik, agitiert und kämpft Mühsam geradezu fanatisch mit seiner besten Waffe, dem Wort. Als jedoch am ersten Tag von Tollers Regierung das Gerücht umgeht, bewaffnete Studenten näherten sich dem Wittelsbacher Palais, holen Mühsam und Landauer einige Waffen hervor, bereit, äußersten Widerstand zu leisten. (Weidermann 167)
Absolut zivil wiederum zeigt Mühsam menschliche Größe, nachdem Landauer ihn am 6. April 1919 bei der Ämterverteilung einer zu gründenden Räterepublik als für das Außenamt ungeeignet ablehnt. Als man nämlich Landauer seinerseits in der Runde als ›Kultusminister‹ für nicht vermittelbar hält, tritt Mühsam energisch für ihn ein und setzt ihn durch (Weidermann 158). Nicht schlecht, oder?
Abgemüht hat er sich wie wenige:
Eisner, Landauer, Toller ...
Siebzig oder achtzig sind sie nicht geworden,
Mühe und Arbeit waren nicht köstlich.
Erschlagen, erschossen, aufgehängt.
Als Revolutionäre gescheitert.
Doch revolutionär
ihr politischer Anstand.
Gernot Eschrich wurde 1938 geboren und wuchs in Landshut auf. Er studierte die Fächer Deutsch, Latein und Griechisch in München und Freiburg. Von 1964 bis 2001 war er Gymnasiallehrer in Tegernsee und Gilching.
- Zum 90. Todestag von Erich Mühsam: „Jetzt haben sie mich einkasernt“ / Rita Steininger
- Die Mappe eines Großvaters: Hubert Vogl und seine Schwabacher Drucke / Gernot Eschrich
- Dichtung ist Revolution (10): Erich Mühsam und Ernst Toller vor dem Standgericht und in der Festungshaft, 4. Juni / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (9): Die Niederschlagung der Räterepublik in München, 2. Mai 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (8): Die Ausrufung der Räterepublik in München, 7. April 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Zum 90. Todestag von Erich Mühsam: „Jetzt haben sie mich einkasernt“ / Rita Steininger
- Die Mappe eines Großvaters: Hubert Vogl und seine Schwabacher Drucke / Gernot Eschrich
- Dichtung ist Revolution (10): Erich Mühsam und Ernst Toller vor dem Standgericht und in der Festungshaft, 4. Juni / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (9): Die Niederschlagung der Räterepublik in München, 2. Mai 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (8): Die Ausrufung der Räterepublik in München, 7. April 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (7): Der Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (6): Ermordung und Beerdigung Kurt Eisners / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (5): Konflikte im Vorfeld der Landtagswahlen 1919 / Monacensia im Hildebrandhaus
- Dichtung ist Revolution (4): Die Sitzungen des provisorischen Nationalrates / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (11): Christian Springer über die Bahn als das Internet der Revolution / Christian Springer
- Dichtung ist Revolution (3): Revolutionäre Internationalisten um Erich Mühsam / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (10): Einige Neuerscheinungen zu Revolution und Räterepublik / Hannes S. Macher
- 1918/1968 – Revolutionen (9): Michael Appels Studie »Die letzte Nacht der Monarchie« / Klaus Hübner
- 1918/1968 – Revolutionen (8): Die wilden 1960er und ihre literarischen Spuren / Michaela Karl
- Dichtung ist Revolution (2): 15. November 1918 – Ernst Toller und Gustav Landauer treffen in München ein / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (7): Tiny Stricker, fast vergessener Rebell und Pop-Pionier / Klaus Hübner
- 1918/1968 – Revolutionen (6): Gustav Regler – Ein Leben voller Aufbrüche / Gerd Holzheimer
- Dichtung ist Revolution (1): Revolutionäre Schriftsteller für Demokratie und Menschlichkeit / Monacensia im Hildebrandhaus
- 1918/1968 – Revolutionen (5): Eine Ausstellung über Kurt Eisners kurze Revolution / Renée Rauchalles
- 1918/1968 – Revolutionen (3): Ein Auszug aus dem Revolutionsroman von Norbert Göttler / Norbert Göttler
- 1918/1968 – Revolutionen (2): Ein Denkmal für Gustav Landauer / Michael Stephan
- 1918/1968 – Revolutionen (1): Das Phantom. Als B. Traven noch Ret Marut war / Klaus Hübner