Logen-Blog [74]: Untaugliche Männer, Frauen und Dinge
Wohnkultur des 18. Jahrhunderts, begleitet von einer petrifizierten (versteinerten) Faust: Eine schöne Vase mit Ziegenköpfen und Rosenblättern, ein krummbeiniger Spiegeltisch und eine prächtige Bergére.
Es geht übel zu bei Hoppediezels. Der Mann hat die Angewohnheit, auf Auktionen sich auszutoben: zum Leidwesen von Frau Professor. Man befindet sich also in einem permanent schwelenden, gelegentlich ausbrechenden Ehekrieg – das ist nicht lustig, denn der Professor der Moral pflegt seine Frau zu prügeln. Jean Paul benutzt freilich nicht das Verbum „prügeln“, sondern findet höchst phantasievolle Metaphern für einen einfachen Vorgang – einen einfachen und höchst brutalen. Er wird deshalb nicht bagatellisiert, er wird deshalb nicht besser, im Gegenteil: die Kunst des Erzählers besteht darin, aus einem Akt, den ein anderer (nicht notwendigerweise schlechterer) Autor kurz benannt hätte, mit den Mitteln der rhetorischen Verfremdung derart zu garnieren, dass die Brutalität dieser wiederholten Akte umso grauenhafter[1] ins Auge fällt.
Er war kein Mann, den Zorn oder irgendeine Leidenschaft fortrissen, sondern ein echter Stoiker war er und immer bei sich; daraus lässet sichs erklären, warum er, da Epiktet und Seneka Stoikern den verbotnen innern Zorn durch den äußern Schein desselben zu ersetzen raten, um die Leute zu bändigen, sich sogar dieses zornigen Scheins befliß und gelassen seine Faust petrifizierte und diesen Knauf als eine Leuchtkugel auf diejenigen Gliedmaßen seiner Gattin warf, die ohne Licht in der Sache waren. Dieser stumpfe Wilsonsche Knopfableiter ihres Zorns zog erst die größten beredten Funken aus ihr hervor; und in der Tat ists in der Ehe wie in den alten Republiken, die (nach Homes[2] Bemerkung) nie größere Redner trugen als in stürmenden kriegerischen Zeiten. Er machte das Sinnliche bloß zum Fahrzeug des Geistigen und begleitete seine Hand mit ausgewählten Bruchstücken aus Epiktets Handbuch: „Ich bin wahrlich ganz bei mir;“ (sagt' er) „aber du schreiest gar zu sehr, wenn ich mich nicht dreinschlage.“ Sein weltlicher Arm bewegte sich auf ihr fort. „Ich fahre immer fort“ (fuhr er fort) – „inzwischen danke Gott, dass dein Mann so viel Gelassenheit hat, dass er alles abwägen kann, was er tut.“ Sie wurde nicht eher kalt, als bis er hitzig wurde; dieses merkte sie daraus, wenn er wie Sokrates stumm wurde und seine Hand mit seiner herabgerissenen Schlafmütze bewaffnete und beflügelte.
Der Einsatz der Gattin ist freilich auch nicht übel. Jean Paul zitiert anfänglich ihre Tiraden mit einer dummen, doch nicht unwitzigen Widerholungsformel: „Das ist dumm, dumm, dumm! Ei du dummer Mann du!“ Die Meinung des Erzählers ist eindeutig: die Kaufaktionen des Professors sind tatsächlich dumm, weil er – „wie die meisten Leute“, sagt er boshaft – nicht weiß, was Geschmack ist. Der Erzähler verbindet diese Eigenheit mit einer grundsätzlichen Anmerkung zum Nachahmungstrieb, die bemerkenswert ist: „Er hatte immer etwas erhandelt, das nichts taugte; er hatte die Schwachheit unzähliger Männer, sich weiszumachen, er verstände die Haushaltkunst so gut wie die Frau, wenn er nur anfangen wollte – Sachen, die man lange treiben sieht, glaubt man zuletzt selber treiben zu können.“ Da der Satiriker aber Gerechtigkeit walten lassen muss, teilt er auch gegenüber dem „Weib“ aus, das über „natürliche“ Schwächen verfügt: „Sie hatte die Schwachheit unzähliger Weiber, sich vorzuschmeicheln, der Eheherr sei ein wahrer Ignorant im Haushalten und könn' es nicht einmal erlernen, wenn er auch wollte. 'Red' ich in deine Büchersachen auch?' fragte die sehr grob verkörperte Professorin.“ Denkt man an Jean Pauls Ehehaushalt, so scheint es fast, als wolle er sich – ein Jahrzehnt, bevor er selbst Erfahrungen macht mit jenem Haushalten, vor den Anwürfen einer zukünftigen Gattin wappnen, die dort auf Ordnung hält, wo der Messie Jean Paul vielleicht nicht auf Auktionen unsinnig hässliches Zeug ersteigert, aber doch wenigstens nichts wegschmeißen kann, was „normale“ Leute dem Abfall zuschlagen würden.
Kleiner Einschub über ein Objekt des Jean-Paul-Museums, das nichts taugt
Im neu konzipierten Bayreuther Jean-Paul-Museum, das am Geburtstag des Dichters wieder eröffnet wird, findet sich ein seltsames Objekt, dessen Funktion der Neukonzeptionist dieser Ausstellung bislang noch nicht herausfinden konnte. Laut Inventar handelt es sich um ein „Gefäß aus Holz, ausgebrochen am oberen Rand, obere Schale mit Lochhalterungen“. Ich frage mich, ob dieses Ding bereits zu Lebzeiten Jean Pauls kaputt war oder ob es erst posthum schadhaft wurde. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Stück schon im kaputten Zustand als Erbstück auf die Familie und schließlich auf Philipp Hausser, den Nachfahren von Jean Pauls Vermieterfamilie kam, der es der Stadt – zusammen mit vielen wertvollen Jeanpauliana – schenkte, die es pflichtschuldigst und schlecht beleuchtet in eine Vitrine stellte, wo es ebenso wenig eine Funktion hatte wie zu jenem Zeitpunkt, als es zerbrach und „nichts taugte“.
Fortsetzung der Lektürenotizen
Und was erwirbt der Moralprofessor Hoppediezel? „Zwei schöne Bronze-Vasen mit Ziegenköpfen und Myrtenblättern, einen gerad- und spitzbeinigen Spiegeltisch, eine prächtige Bergere“. An sich schöne Stücke – nur im Kontrast zu den armseligen Möbeln im Zimmer der Rittmeisterfamilie würden sie, meint der Erzähler, unpassend wirken. Man sieht: Geschmack erwirbt man nicht allein dadurch, dass man geschmackvolle Sachen erwirbt.
[1] Vorausgesetzt, man ist sich der Hämatome bewusst, die bei derart lustigen Schlagabtäuschen entstehen müssen.
[2] Home? Meint Jean Paul David Hume (dessen wir hier schon einmal gedachten)? Oder Homer? „Merkwürd'ger Fall“, wie der Siebenkäs-Leser Richard Wagner (der andere große „Bayreuther“) gesagt hätte.
Logen-Blog [74]: Untaugliche Männer, Frauen und Dinge>
Wohnkultur des 18. Jahrhunderts, begleitet von einer petrifizierten (versteinerten) Faust: Eine schöne Vase mit Ziegenköpfen und Rosenblättern, ein krummbeiniger Spiegeltisch und eine prächtige Bergére.
Es geht übel zu bei Hoppediezels. Der Mann hat die Angewohnheit, auf Auktionen sich auszutoben: zum Leidwesen von Frau Professor. Man befindet sich also in einem permanent schwelenden, gelegentlich ausbrechenden Ehekrieg – das ist nicht lustig, denn der Professor der Moral pflegt seine Frau zu prügeln. Jean Paul benutzt freilich nicht das Verbum „prügeln“, sondern findet höchst phantasievolle Metaphern für einen einfachen Vorgang – einen einfachen und höchst brutalen. Er wird deshalb nicht bagatellisiert, er wird deshalb nicht besser, im Gegenteil: die Kunst des Erzählers besteht darin, aus einem Akt, den ein anderer (nicht notwendigerweise schlechterer) Autor kurz benannt hätte, mit den Mitteln der rhetorischen Verfremdung derart zu garnieren, dass die Brutalität dieser wiederholten Akte umso grauenhafter[1] ins Auge fällt.
Er war kein Mann, den Zorn oder irgendeine Leidenschaft fortrissen, sondern ein echter Stoiker war er und immer bei sich; daraus lässet sichs erklären, warum er, da Epiktet und Seneka Stoikern den verbotnen innern Zorn durch den äußern Schein desselben zu ersetzen raten, um die Leute zu bändigen, sich sogar dieses zornigen Scheins befliß und gelassen seine Faust petrifizierte und diesen Knauf als eine Leuchtkugel auf diejenigen Gliedmaßen seiner Gattin warf, die ohne Licht in der Sache waren. Dieser stumpfe Wilsonsche Knopfableiter ihres Zorns zog erst die größten beredten Funken aus ihr hervor; und in der Tat ists in der Ehe wie in den alten Republiken, die (nach Homes[2] Bemerkung) nie größere Redner trugen als in stürmenden kriegerischen Zeiten. Er machte das Sinnliche bloß zum Fahrzeug des Geistigen und begleitete seine Hand mit ausgewählten Bruchstücken aus Epiktets Handbuch: „Ich bin wahrlich ganz bei mir;“ (sagt' er) „aber du schreiest gar zu sehr, wenn ich mich nicht dreinschlage.“ Sein weltlicher Arm bewegte sich auf ihr fort. „Ich fahre immer fort“ (fuhr er fort) – „inzwischen danke Gott, dass dein Mann so viel Gelassenheit hat, dass er alles abwägen kann, was er tut.“ Sie wurde nicht eher kalt, als bis er hitzig wurde; dieses merkte sie daraus, wenn er wie Sokrates stumm wurde und seine Hand mit seiner herabgerissenen Schlafmütze bewaffnete und beflügelte.
Der Einsatz der Gattin ist freilich auch nicht übel. Jean Paul zitiert anfänglich ihre Tiraden mit einer dummen, doch nicht unwitzigen Widerholungsformel: „Das ist dumm, dumm, dumm! Ei du dummer Mann du!“ Die Meinung des Erzählers ist eindeutig: die Kaufaktionen des Professors sind tatsächlich dumm, weil er – „wie die meisten Leute“, sagt er boshaft – nicht weiß, was Geschmack ist. Der Erzähler verbindet diese Eigenheit mit einer grundsätzlichen Anmerkung zum Nachahmungstrieb, die bemerkenswert ist: „Er hatte immer etwas erhandelt, das nichts taugte; er hatte die Schwachheit unzähliger Männer, sich weiszumachen, er verstände die Haushaltkunst so gut wie die Frau, wenn er nur anfangen wollte – Sachen, die man lange treiben sieht, glaubt man zuletzt selber treiben zu können.“ Da der Satiriker aber Gerechtigkeit walten lassen muss, teilt er auch gegenüber dem „Weib“ aus, das über „natürliche“ Schwächen verfügt: „Sie hatte die Schwachheit unzähliger Weiber, sich vorzuschmeicheln, der Eheherr sei ein wahrer Ignorant im Haushalten und könn' es nicht einmal erlernen, wenn er auch wollte. 'Red' ich in deine Büchersachen auch?' fragte die sehr grob verkörperte Professorin.“ Denkt man an Jean Pauls Ehehaushalt, so scheint es fast, als wolle er sich – ein Jahrzehnt, bevor er selbst Erfahrungen macht mit jenem Haushalten, vor den Anwürfen einer zukünftigen Gattin wappnen, die dort auf Ordnung hält, wo der Messie Jean Paul vielleicht nicht auf Auktionen unsinnig hässliches Zeug ersteigert, aber doch wenigstens nichts wegschmeißen kann, was „normale“ Leute dem Abfall zuschlagen würden.
Kleiner Einschub über ein Objekt des Jean-Paul-Museums, das nichts taugt
Im neu konzipierten Bayreuther Jean-Paul-Museum, das am Geburtstag des Dichters wieder eröffnet wird, findet sich ein seltsames Objekt, dessen Funktion der Neukonzeptionist dieser Ausstellung bislang noch nicht herausfinden konnte. Laut Inventar handelt es sich um ein „Gefäß aus Holz, ausgebrochen am oberen Rand, obere Schale mit Lochhalterungen“. Ich frage mich, ob dieses Ding bereits zu Lebzeiten Jean Pauls kaputt war oder ob es erst posthum schadhaft wurde. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Stück schon im kaputten Zustand als Erbstück auf die Familie und schließlich auf Philipp Hausser, den Nachfahren von Jean Pauls Vermieterfamilie kam, der es der Stadt – zusammen mit vielen wertvollen Jeanpauliana – schenkte, die es pflichtschuldigst und schlecht beleuchtet in eine Vitrine stellte, wo es ebenso wenig eine Funktion hatte wie zu jenem Zeitpunkt, als es zerbrach und „nichts taugte“.
Fortsetzung der Lektürenotizen
Und was erwirbt der Moralprofessor Hoppediezel? „Zwei schöne Bronze-Vasen mit Ziegenköpfen und Myrtenblättern, einen gerad- und spitzbeinigen Spiegeltisch, eine prächtige Bergere“. An sich schöne Stücke – nur im Kontrast zu den armseligen Möbeln im Zimmer der Rittmeisterfamilie würden sie, meint der Erzähler, unpassend wirken. Man sieht: Geschmack erwirbt man nicht allein dadurch, dass man geschmackvolle Sachen erwirbt.
[1] Vorausgesetzt, man ist sich der Hämatome bewusst, die bei derart lustigen Schlagabtäuschen entstehen müssen.
[2] Home? Meint Jean Paul David Hume (dessen wir hier schon einmal gedachten)? Oder Homer? „Merkwürd'ger Fall“, wie der Siebenkäs-Leser Richard Wagner (der andere große „Bayreuther“) gesagt hätte.