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08.01.2013, 13:03 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [63]: Eine Begegnung mit Fürst Alexander I. von Württemberg

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Er war in Russland und in Bayreuth zuhause: Fürst Alexander I. von Württemberg – ein Mann von Welt, ein Militär mit kulturellem Überbau.

Ich sehe ihm endlich persönlich ins Auge: ihm, Fürst Alexander I. von Württemberg. Ich begegnete ihm sozusagen schon in der Fantaisie, wo er auch den Dichter getroffen hatte. Schon zu dessen Lebzeiten setzte er dem Dichter – Deutschlands vorzüglichstem Musensohne – einen Denkstein im schönen Park: 1820, kurz bevor Jean Paul seine letzte Vorrede zur Unsichtbaren Loge schrieb.

In Bayreuth, selbst in Fantasie, wird seiner kaum gedacht, ist er so gut wie unbekannt. Es verwundert, war Alexander doch nicht nur das, was man als „bedeutend“ bezeichnet – bedeutend auch dadurch, dass er zu einer Zeit, als der Dichter Jean Paul schon abgeschrieben war, den Rang des Mannes erkannte. Alexander I. residierte hier – freilich mit großen Unterbrechungen – immerhin von 1795 bis 1833. Im schönen Buch Jean Paul in & um Bayreuth, das dem Bayreuther Teil des Jean-Paul-Wegs gewidmet ist, werden, wenn ich es richtig sehe, diese Tatsache und die Persönlichkeit des Herzogs zum ersten Mal publizistisch ausgebreitet: der Umstand, dass hier mit Alexander kein Duodezfürst seine Sommerferien verbrachte, sondern ein politisch wie kulturell interessanter Mann, den es bereits 1799 nach Russland verschlug. Seine Schwester Sophie Dorothea war nichts weniger als Zarin, deren Söhne gleichfalls Zaren wurden. Alexander selbst wurde 1811 zum Gouverneur von Weißrussland ernannt. Als Napoleon das riesige Land überfiel, kämpfte er als General gegen den Eindringling. Danach amtierte er wieder als Gouverneur Weißrusslands, seit 1822 – Jean Paul gab die „geborene Ruine“ gerade aus der Hand – war er russischer Verkehrsminister; als solcher erwarb er sich große Verdienste.

Und diesem welthistorisch nicht ganz unbedeutenden Mann, mit dem ich mich vor etwa zwei Jahren erstmals beschäftigte, begegne ich nun in der Eremitage – freilich nicht der Bayreuther Eremitage. Ich wusste, dass ich ihn dort finden würde, suchte ihn – und fand ihn, nachdem ich schon fast alle der über 300 Porträts betrachtet hatte, die man den Generälen des Großen Vaterländischen Krieges in der Galerie der Generäle gewidmet hatte. Hinten rechts, unten, gleich in der Nähe des prachtvollen Reiterporträts seines Zaren, erblicke ich ihn plötzlich. Der Maler Georg Dawe und seine Assistenten haben ganze Arbeit geleistet; die Bilder des Fürsten und seiner Berufskollegen strahlen die größte Vitalität aus. Alexander, untersetzt und ernst, schaute mich nicht an, er schaute zur Seite, aber es machte nichts. Ich war froh, endlich den Mann zu erblicken, der den Dichter erkannt hatte und die Größe besaß, ihm einen ungewöhnlichen, ungewöhnlich noblen Denkstein zu setzen (den nur die wenigsten Besucher der Fantaisie, nicht einmal die wenigen Jean-Paul-Freunde kennen). Ein Mann in vollem Saft, eine Persönlichkeit, ein Militär mit kulturellem Überbau: Voilà, un homme!, wie der große Gegenspieler gesagt hätte.

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