Ein interkultureller Dialog mit dem syrischen Autor Yamen Hussein
Auf Betreiben einer Reihe von Münchner AutorInnen, JournalistInnen und LektorInnen (u.a. Lena Gorelik, Marion Hertle, Björn Bicker, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Kathrin Reikowski, Nora Zapf, Denijen Pauljević, Andreas Unger und Silke Kleemann) wird seit April 2016 einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Beteiligten stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich in ihren Lieblingsbuchhandlungen und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert. Im Rahmen eines Kulturfrühstücks in der Stadtbibliothek Pasing traf Fridolin Schley am 14. Mai den syrischen Dichter und Journalisten Yamen Hussein zum interkulturellen Dialog mit Blickpunkt Syrien. Sie lasen alte und neue Gedichte und sprachen über den fortwährenden Prozess des Ankommens im neuen Land. Silke Kleemann berichtet.
*
Im September 2016 war Yamen Hussein schon einmal bei Meet your neighbours zu Gast. Beim vom Kulturforum München-West und der Münchner Stadtbibliothek Pasing organisierten Kulturfrühstück sitzen er und Fridolin Schley nun zum zweiten Mal gemeinsam auf der Bühne, wieder unterstützt von Marwa Amara als Dolmetscherin. Gleich als Erstes fällt auf, wie sehr sich Yamens Deutsch im letzten halben Jahr verbessert hat – nur bei komplexen Fragen greift er auf Marwas sprachliche Hilfe zurück, alles Allgemeine beantwortet er diesmal gleich selber, und auch wenn er das bescheiden abtut: Fridolin Schley greift nicht zu hoch, wenn er Yamens Deutsch als “kolossal” bezeichnet. Das Zuhören macht Freude und der Funke springt sofort über, eine große Sympathiewelle aus dem Publikum schwappt gleich zu ihm zurück. Rund 60-70 Personen haben an diesem sonnigen Sonntagvormittag trotz Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke den Weg in das gemütlich mit Bierbänken bestückte Foyer der Stadtbibliothek Pasing gefunden.
Das Gespräch geht gleich in medias res: Yamen Hussein bestätigt, dass sein Leben in Deutschland dankenswerterweise weiterhin sicher ist und er durch das Writers-in-Exile-Stipendium des deutschen PEN, das noch bis Dezember läuft, viel Zeit zum Schreiben hat. Doch der Krieg in Syrien wirft weiter seinen Schatten auf ihn, schlimme Nachrichten lenken immer wieder ab, beeinträchtigen z.B. die Konzentration im Deutschkurs, vor allem jedoch bleibt die Sorge um die Familie in Syrien. Äußert Yamen sich hier, am neuen, sicheren Lebensort, öffentlich zu kritisch, kommt es vor, dass seine Eltern oder der Bruder, die noch in der Heimatstadt Homs sind, vom Geheimdienst oder von islamistischen Milizen bedroht werden. Er tut es trotzdem. Und es ist klar, dass sich die eigene Freiheit so nur schwer genießen lässt. Ein ständiger Balanceakt, das Leben zwischen den Welten, in der Gleichzeitigkeit der Lebensrealitäten.
Siebzehn Minuten
Die verbleibende Zeit,
bis die U-Bahn kommt,
die mich und einen Trinker
zu meiner Station bringt,
reicht für einen Liebesrausch,
reicht,
um ein Massaker zu begehen,
dass eine Scud-Rakete Rakka erreicht
und ein ganzes Wohnviertel zerstört,
dass eine Katze ihre Seele aushaucht
unter den Rädern eines Lastwagens,
dass ein Henker
sich die Spuren des Gehirns abwäscht,
das er am Mittag mit einer Axt zerschmettert hat.
Zeit genug
für ein weiteres
Glas Bier,
das dich über die Schwelle trägt
in den angenehmen Taumel
in den Rausch,
dass du tanzt wie ein Irrer.
Das veränderte Zeiterleben, das wiederholte Warten gehört zur Erfahrung der Flucht. Auch Yamen Hussein schreibt und spricht häufig davon. Dass zunächst nichts Schlimmeres vorstellbar ist, als weggehen zu müssen. Dann das Festhängen, in seinem Fall in der Türkei, die Ungewissheit, ob man es bis in die Sicherheit schafft. Das Vermissen der Lieben, der Geliebten. Und auch nach dem Ankommen in der Sicherheit ist das Leben nicht wie vorher. Stets spürbar im Großen, klar, aber auch im Kleinen. Die Freunde fehlen, das ungezwungene Miteinander (die Deutschen seien immer so sehr eingespannt in Arbeit und Alltag, klagt Yamen), sich spontan begegnen zu können, auch in der Sprache, alles erfordert Anpassung und Anstrengung. Ein Einleben, das trotzdem geschieht, gelingt – in seinem Gedicht “Rastlosigkeit” heißt es dazu: “Weil Orte dazu verlocken, sich an sie zu gewöhnen.” Oder wie Yamen mit einer verzweifelten Grimasse sagt: “Trotz des Wetters.” Besonders berührt hat mich rund ums Thema Exil Husseins Äußerung, er wünsche sich, solle er je nach Syrien zurückkehren können, sich dann noch einmal auf die Reise nach Deutschland machen zu können. Aber freiwillig.
Die Lage in Syrien ist von außen (und, wie Yamen Hussein sagt, auch für die Syrer selbst) nur schwer verständlich. Zu viele Parteien mischen mit, und die Interventionen von Putin wie Trump sieht Hussein mit der gleichen Desillusionierung. So fatal die politische Verfolgung im Land auch ist, er berichtet, dass nach der Revolution im Assad-Regime auch schon Privates Anlass für Verfolgung sein konnte. Er sei einmal fast verhaftet worden, nur weil er seine Freundin auf dem Unigelände öffentlich geküsst hatte. Für ihn selbst wurde in diesen schweren Zeiten das Schreiben zunehmend eine Möglichkeit zur Verarbeitung.
Auch an seinem neuen Lebensmittelpunkt stellt sich nun die Frage, sich gesellschaftlich zu verorten. Auf Fridolin Schleys Frage, ob es ihn manchmal störe, speziell im Kontext Flucht zu Lesungen und Gesprächen eingeladen zu werden, ist seine Antwort eindeutig: Er wird nicht gern mit anderen in einen Topf geworfen, das mochte er schon in Syrien nicht. Zugleich liegt auf der Hand, dass er aus seinem Land flüchten musste und daher (zumindest momentan) der Exilliteratur zugeordnet wird. Grundsätzlich hofft er, dass sein Werk aufgrund der literarischen Qualität beurteilt wird, nicht nur als Fluchtstatement.
Morgen
Morgen wirst du ein Jahr älter
und die Entfernung zwischen uns
zur grausamen Bestie.
Morgen wachsen deine milchweißen Zähne ein Stück,
jene ersten, die noch nicht ausgefallen sind.
Deine lange Nase, die ich so liebe und die du hasst,
holt tief Luft,
stockt.
Deine dunkle Haut wird noch schöner,
ich sage dir das,
und in deiner Achselhöhle zeigt sich ein Salzfeld.
Waw! Ist das Herz aufgeregt, schwitzt der Körper.
Die Locke an der Stirn
wird auch ein Jahr älter
und lang wie das Haar an einem Maiskolben.
**
Du und ich
bringen einen bitteren Toast aus – auf das Leben,
jeder von uns in einem „Land“… Nein!
Das ganze Land bist du
und das Exil eine harte Nuss,
knackst du sie mit den Zähnen,
bricht sie entzwei.
**
Unser Los ist es, einen Strumpf in den Himmel zu werfen
und zu warten, dass der Geist des Festes
uns Geschenke bringt und die Wünsche erfüllt.
Morgen werfe ich einen Strumpf in die Luft,
warte auf deine Sterne
und fange sie auf
Stern für Stern.
Klare Worte findet Yamen Hussein auch zur AfD: Von der fühle er sich persönlich nicht bedroht, er sagt aber ganz zu recht: “Die AfD ist eine Gefahr für die ganze Gesellschaft, nicht nur für Flüchtlinge.” Europa habe immer noch eine Vorbildfunktion für die Welt, hier müsse man mit den Wertefragen verantwortungsvoll umgehen. Eine politische Radikalisierung in Europa und verstärkter Nationalismus würde nur weiteren Nährboden für Extremisten bieten, genau wie in den islamischen Ländern. Man müsse sich bewusst sein, dass die Stigmatisierung immer wieder eine neue Gruppe treffen könne: “Früher die Juden, jetzt die Muslime, in Zukunft vielleicht die Homosexuellen oder Frauen.” Deutschland sieht Yamen dabei weniger gefährdet als andere Länder in Europa, denn: “Die deutsche Geschichte ist eine gute Prävention.”
Seine Gedichte liest Yamen Hussein zuerst auf Arabisch, bevor Fridolin Schley die Übersetzungen vorträgt. Eine Frau aus dem Publikum dankt explizit dafür, der Vortrag und speziell Yamens Körpersprache beim Lesen haben die Texte für sie noch auf einer weiteren Ebene erschlossen. Sie fragt nach dem Humor in seinen Texten, einer gewissen Leichtigkeit trotz der schweren Themen. Darauf lernen wir: Homs ist bekannt für Ironie und Humor, und die Bewohner der Stadt stehen im Ruf, das Leben leicht nehmen zu können. Sogar einen historischen Vorläufer gibt es dafür, der mit einem “Tag der Verrücktheit” gefeiert wird, zurückgehend auf einen Krieg vor 1400 Jahren, der durch eine humorvolle Erzählung überwunden worden sein soll.
Hussein wünscht sich momentan vor allem, dass die Mutter einmal für ein paar Wochen zu ihm zu Besuch kommen kann. Sie sprechen möglichst jeden zweiten Tag miteinander, und die Mutter hat Angst, ihn vor ihrem Tod nicht noch einmal zu sehen. Die Gefühle, die in dem Gedicht “Skpye mit meiner Mutter” beschrieben sind, kann das Publikum besonders gut nachvollziehen. Ein kollektives Seufzen geht durch die Reihen an diesem Sonntag, es ist Muttertag.
Für Hussein selbst bietet ein Verlagsstipendium für eine Publikation auf Arabisch eine berufliche Perspektive, daneben möchte er sein Deutsch weiter verbessern und stellt sich auch darauf ein, sich nach Ablauf des PEN-Stipendiums neben dem Schreiben einen Brotjob zu suchen. In München möchte er gern bleiben. Angebote sind willkommen, und aus seinen Worten klingt durch, dass er sich auch über mehr Gespräche und Austausch mit Deutschen freuen würde. In der Bibliothek klappt das ganz hervorragend: Noch lange spricht er nach der Veranstaltung (beim köstlichen Imbiss eines libanesischen Caterers) mit interessierten Teilnehmer*innen.
Die zitierten Gedichte wurden aus dem Arabischen übersetzt von Leila Chammaa. Weitere Texte von Yamen Hussein in der Anthologie Weg sein – hier sein. Texte aus Deutschland, Secession Verlag für Literatur 2016.
Die Veranstaltungen der Meet your neighbours-Reihe 2017 finden statt in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung und der Stiftung :do.
Ein interkultureller Dialog mit dem syrischen Autor Yamen Hussein>
Auf Betreiben einer Reihe von Münchner AutorInnen, JournalistInnen und LektorInnen (u.a. Lena Gorelik, Marion Hertle, Björn Bicker, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Kathrin Reikowski, Nora Zapf, Denijen Pauljević, Andreas Unger und Silke Kleemann) wird seit April 2016 einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Beteiligten stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich in ihren Lieblingsbuchhandlungen und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert. Im Rahmen eines Kulturfrühstücks in der Stadtbibliothek Pasing traf Fridolin Schley am 14. Mai den syrischen Dichter und Journalisten Yamen Hussein zum interkulturellen Dialog mit Blickpunkt Syrien. Sie lasen alte und neue Gedichte und sprachen über den fortwährenden Prozess des Ankommens im neuen Land. Silke Kleemann berichtet.
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Im September 2016 war Yamen Hussein schon einmal bei Meet your neighbours zu Gast. Beim vom Kulturforum München-West und der Münchner Stadtbibliothek Pasing organisierten Kulturfrühstück sitzen er und Fridolin Schley nun zum zweiten Mal gemeinsam auf der Bühne, wieder unterstützt von Marwa Amara als Dolmetscherin. Gleich als Erstes fällt auf, wie sehr sich Yamens Deutsch im letzten halben Jahr verbessert hat – nur bei komplexen Fragen greift er auf Marwas sprachliche Hilfe zurück, alles Allgemeine beantwortet er diesmal gleich selber, und auch wenn er das bescheiden abtut: Fridolin Schley greift nicht zu hoch, wenn er Yamens Deutsch als “kolossal” bezeichnet. Das Zuhören macht Freude und der Funke springt sofort über, eine große Sympathiewelle aus dem Publikum schwappt gleich zu ihm zurück. Rund 60-70 Personen haben an diesem sonnigen Sonntagvormittag trotz Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke den Weg in das gemütlich mit Bierbänken bestückte Foyer der Stadtbibliothek Pasing gefunden.
Das Gespräch geht gleich in medias res: Yamen Hussein bestätigt, dass sein Leben in Deutschland dankenswerterweise weiterhin sicher ist und er durch das Writers-in-Exile-Stipendium des deutschen PEN, das noch bis Dezember läuft, viel Zeit zum Schreiben hat. Doch der Krieg in Syrien wirft weiter seinen Schatten auf ihn, schlimme Nachrichten lenken immer wieder ab, beeinträchtigen z.B. die Konzentration im Deutschkurs, vor allem jedoch bleibt die Sorge um die Familie in Syrien. Äußert Yamen sich hier, am neuen, sicheren Lebensort, öffentlich zu kritisch, kommt es vor, dass seine Eltern oder der Bruder, die noch in der Heimatstadt Homs sind, vom Geheimdienst oder von islamistischen Milizen bedroht werden. Er tut es trotzdem. Und es ist klar, dass sich die eigene Freiheit so nur schwer genießen lässt. Ein ständiger Balanceakt, das Leben zwischen den Welten, in der Gleichzeitigkeit der Lebensrealitäten.
Siebzehn Minuten
Die verbleibende Zeit,
bis die U-Bahn kommt,
die mich und einen Trinker
zu meiner Station bringt,
reicht für einen Liebesrausch,
reicht,
um ein Massaker zu begehen,
dass eine Scud-Rakete Rakka erreicht
und ein ganzes Wohnviertel zerstört,
dass eine Katze ihre Seele aushaucht
unter den Rädern eines Lastwagens,
dass ein Henker
sich die Spuren des Gehirns abwäscht,
das er am Mittag mit einer Axt zerschmettert hat.
Zeit genug
für ein weiteres
Glas Bier,
das dich über die Schwelle trägt
in den angenehmen Taumel
in den Rausch,
dass du tanzt wie ein Irrer.
Das veränderte Zeiterleben, das wiederholte Warten gehört zur Erfahrung der Flucht. Auch Yamen Hussein schreibt und spricht häufig davon. Dass zunächst nichts Schlimmeres vorstellbar ist, als weggehen zu müssen. Dann das Festhängen, in seinem Fall in der Türkei, die Ungewissheit, ob man es bis in die Sicherheit schafft. Das Vermissen der Lieben, der Geliebten. Und auch nach dem Ankommen in der Sicherheit ist das Leben nicht wie vorher. Stets spürbar im Großen, klar, aber auch im Kleinen. Die Freunde fehlen, das ungezwungene Miteinander (die Deutschen seien immer so sehr eingespannt in Arbeit und Alltag, klagt Yamen), sich spontan begegnen zu können, auch in der Sprache, alles erfordert Anpassung und Anstrengung. Ein Einleben, das trotzdem geschieht, gelingt – in seinem Gedicht “Rastlosigkeit” heißt es dazu: “Weil Orte dazu verlocken, sich an sie zu gewöhnen.” Oder wie Yamen mit einer verzweifelten Grimasse sagt: “Trotz des Wetters.” Besonders berührt hat mich rund ums Thema Exil Husseins Äußerung, er wünsche sich, solle er je nach Syrien zurückkehren können, sich dann noch einmal auf die Reise nach Deutschland machen zu können. Aber freiwillig.
Die Lage in Syrien ist von außen (und, wie Yamen Hussein sagt, auch für die Syrer selbst) nur schwer verständlich. Zu viele Parteien mischen mit, und die Interventionen von Putin wie Trump sieht Hussein mit der gleichen Desillusionierung. So fatal die politische Verfolgung im Land auch ist, er berichtet, dass nach der Revolution im Assad-Regime auch schon Privates Anlass für Verfolgung sein konnte. Er sei einmal fast verhaftet worden, nur weil er seine Freundin auf dem Unigelände öffentlich geküsst hatte. Für ihn selbst wurde in diesen schweren Zeiten das Schreiben zunehmend eine Möglichkeit zur Verarbeitung.
Auch an seinem neuen Lebensmittelpunkt stellt sich nun die Frage, sich gesellschaftlich zu verorten. Auf Fridolin Schleys Frage, ob es ihn manchmal störe, speziell im Kontext Flucht zu Lesungen und Gesprächen eingeladen zu werden, ist seine Antwort eindeutig: Er wird nicht gern mit anderen in einen Topf geworfen, das mochte er schon in Syrien nicht. Zugleich liegt auf der Hand, dass er aus seinem Land flüchten musste und daher (zumindest momentan) der Exilliteratur zugeordnet wird. Grundsätzlich hofft er, dass sein Werk aufgrund der literarischen Qualität beurteilt wird, nicht nur als Fluchtstatement.
Morgen
Morgen wirst du ein Jahr älter
und die Entfernung zwischen uns
zur grausamen Bestie.
Morgen wachsen deine milchweißen Zähne ein Stück,
jene ersten, die noch nicht ausgefallen sind.
Deine lange Nase, die ich so liebe und die du hasst,
holt tief Luft,
stockt.
Deine dunkle Haut wird noch schöner,
ich sage dir das,
und in deiner Achselhöhle zeigt sich ein Salzfeld.
Waw! Ist das Herz aufgeregt, schwitzt der Körper.
Die Locke an der Stirn
wird auch ein Jahr älter
und lang wie das Haar an einem Maiskolben.
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Du und ich
bringen einen bitteren Toast aus – auf das Leben,
jeder von uns in einem „Land“… Nein!
Das ganze Land bist du
und das Exil eine harte Nuss,
knackst du sie mit den Zähnen,
bricht sie entzwei.
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Unser Los ist es, einen Strumpf in den Himmel zu werfen
und zu warten, dass der Geist des Festes
uns Geschenke bringt und die Wünsche erfüllt.
Morgen werfe ich einen Strumpf in die Luft,
warte auf deine Sterne
und fange sie auf
Stern für Stern.
Klare Worte findet Yamen Hussein auch zur AfD: Von der fühle er sich persönlich nicht bedroht, er sagt aber ganz zu recht: “Die AfD ist eine Gefahr für die ganze Gesellschaft, nicht nur für Flüchtlinge.” Europa habe immer noch eine Vorbildfunktion für die Welt, hier müsse man mit den Wertefragen verantwortungsvoll umgehen. Eine politische Radikalisierung in Europa und verstärkter Nationalismus würde nur weiteren Nährboden für Extremisten bieten, genau wie in den islamischen Ländern. Man müsse sich bewusst sein, dass die Stigmatisierung immer wieder eine neue Gruppe treffen könne: “Früher die Juden, jetzt die Muslime, in Zukunft vielleicht die Homosexuellen oder Frauen.” Deutschland sieht Yamen dabei weniger gefährdet als andere Länder in Europa, denn: “Die deutsche Geschichte ist eine gute Prävention.”
Seine Gedichte liest Yamen Hussein zuerst auf Arabisch, bevor Fridolin Schley die Übersetzungen vorträgt. Eine Frau aus dem Publikum dankt explizit dafür, der Vortrag und speziell Yamens Körpersprache beim Lesen haben die Texte für sie noch auf einer weiteren Ebene erschlossen. Sie fragt nach dem Humor in seinen Texten, einer gewissen Leichtigkeit trotz der schweren Themen. Darauf lernen wir: Homs ist bekannt für Ironie und Humor, und die Bewohner der Stadt stehen im Ruf, das Leben leicht nehmen zu können. Sogar einen historischen Vorläufer gibt es dafür, der mit einem “Tag der Verrücktheit” gefeiert wird, zurückgehend auf einen Krieg vor 1400 Jahren, der durch eine humorvolle Erzählung überwunden worden sein soll.
Hussein wünscht sich momentan vor allem, dass die Mutter einmal für ein paar Wochen zu ihm zu Besuch kommen kann. Sie sprechen möglichst jeden zweiten Tag miteinander, und die Mutter hat Angst, ihn vor ihrem Tod nicht noch einmal zu sehen. Die Gefühle, die in dem Gedicht “Skpye mit meiner Mutter” beschrieben sind, kann das Publikum besonders gut nachvollziehen. Ein kollektives Seufzen geht durch die Reihen an diesem Sonntag, es ist Muttertag.
Für Hussein selbst bietet ein Verlagsstipendium für eine Publikation auf Arabisch eine berufliche Perspektive, daneben möchte er sein Deutsch weiter verbessern und stellt sich auch darauf ein, sich nach Ablauf des PEN-Stipendiums neben dem Schreiben einen Brotjob zu suchen. In München möchte er gern bleiben. Angebote sind willkommen, und aus seinen Worten klingt durch, dass er sich auch über mehr Gespräche und Austausch mit Deutschen freuen würde. In der Bibliothek klappt das ganz hervorragend: Noch lange spricht er nach der Veranstaltung (beim köstlichen Imbiss eines libanesischen Caterers) mit interessierten Teilnehmer*innen.
Die zitierten Gedichte wurden aus dem Arabischen übersetzt von Leila Chammaa. Weitere Texte von Yamen Hussein in der Anthologie Weg sein – hier sein. Texte aus Deutschland, Secession Verlag für Literatur 2016.
Die Veranstaltungen der Meet your neighbours-Reihe 2017 finden statt in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung und der Stiftung :do.