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„Meet your neighbours“ mit dem syrischen Schriftsteller Fouad Yazji

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Silke Kleemann, Fouad Yazji, (c) Hans Herbig Photography

Auf Betreiben einer Reihe von Münchner AutorInnen, JournalistInnen und LektorInnen (u.a. Lena Gorelik, Marion Hertle, Björn Bicker, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Kathrin Reikowski, Nora Zapf, Denijen PauljevićAndreas Unger und Silke Kleemann) wird seit April 2016 einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Beteiligten stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich in ihren Lieblingsbuchhandlungen und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert. Am 26. Januar 2017 sprach Silke Kleemann in der Buchhandlung Lentner mit dem syrischen Schriftsteller Fouad Yazji – über den Atheismus im frühen Islam, die Inspirationsquellen von Yazijs Romanen, die Revolution, die Liebe und das Leben im Exil. Marion Hertle berichtet.

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Man kann wohl von Pech sprechen, wenn man erst direkt zu Veranstaltungsbeginn erfährt, dass die Arabisch-Übersetzerin unglücklicherweise verhindert ist. Aber nicht nur die Tatsache, dass sich Silke Kleemann und Fouad Yazji davon nicht beeindrucken ließen, machte den Abend besonders. Denn auch die achte Münchner wir machen das-Veranstaltung bei Buch & Café Lentner in Haidhausen war bis auf den letzten Platz belegt. Schon am Tag zuvor war ein Artikel über den syrischen Autor in der Süddeutschen Zeitung erschienen, der zurecht neugierig machte.

Fouad Yazji ist vor einem Jahr nach München gekommen, und auf die Frage, was für ihn das Besondere an München sei, gerät er ins Schwärmen – wie ein Wunder sei es, wenn man aus der Gefahr in ein Land von Frieden und Liebe kommt, „ein Paradies“, meint der Syrer, mit einer Altstadt, die auf ihn wirkt wie ein großes Freilichtmuseum. Auch das Schreiben gehe hier, in Frieden und Freiheit, fast besser von der Hand, unter einem Volk von Vieldenkern. Eine Enttäuschung gab es aber dennoch. Yazji hat einen Roman namens Die blaue Wolga über Nietzsche geschrieben, dessen Werk er seit Jahren verehrt und der riesigen Einfluss auf ihn hatte. Als er nach Deutschland kam, war er der Meinung, Nietzsche sei der Prophet der Deutschen, hier würden ihn sicherlich alle ebenso lieben wie er. Dass er jedoch nur auf Schulwissen stieß, verwunderte ihn sehr. Denn Nietzsche war es auch, der ihm als Erster gezeigt hatte, dass es keinen Gott gibt – womit wir bei einem der Themen des Abends angekommen waren.

In diesem Frühjahr wird in der PEN-Anthologie Zuflucht in Deutschland ein Text von Fouad Yazji mit dem Titel Die Geschichte des Atheismus im frühen Islam erscheinen. Diesen Text las zunächst Yazji in Abschnitten auf Arabisch, dann Silke Kleemann auf Deutsch vor, und wir erfuhren, weshalb dieses Thema von so großer Brisanz ist: Fouad hat wegen dieser Art von Texten Schwierigkeiten in Syrien bekommen, denn heutzutage dürfen Zweifel an der Existenz Gottes nicht mehr offen ausgesprochen werden. In der Blütezeit der arabischen Aufklärung dagegen, also zwischen 800-1000 n.Chr., war das ganz anders. Erstmals wurde der Gedanke geäußert, dass der Verstand nicht dasselbe ist wie das Wort der Propheten – heutzutage ein vollkommen tabuisierter Gedanke. Die Hoffnung, dass irgendwann wieder eine so freie Stimmung in Syrien herrschen wird, hat er nicht aufgegeben, auch wenn es gerade sehr düster darum steht.

Mit seinem Text will Fouad, der mit 20 Atheist geworden ist, darauf hinweisen, dass der Atheismus nicht, wie weithin angenommen, im Westen entstanden ist, sondern auch im arabischen Sprachraum alte Wurzeln hat. Heutzutage, so Fouad Yazji, herrsche in Europa die Meinung, dass Muslime viel im Koran lesen. Er aber betont, dass das nicht stimme, da es etliche muslimische Länder gibt, in denen gar nicht Arabisch gesprochen wird. Wer den Koran selbst liest und gebildet ist, zweifle automatisch an den ganzen Geistergeschichten. Denn weder der Koran noch eine der anderen großen religiösen Schriften führt seiner Meinung nach den Beweis an, dass es Gott gibt.

Als anderen wichtigen Einfluss für sein Schreiben nennt er den persischen Dichter Rumi (1207-1273). Die Liebe ist Fouad Yazjis wichtigstes Thema, und Rumis Schriften haben ihn an seine erste Liebe erinnert. Dazu erklärt er, dass in Syrien eine ganz andere Vorstellung von Liebe herrscht, vielmehr spirituell als sexuell. Dort genügt ein Blick der Geliebten – nur ein einziger erwiderter Blick – für wochenlanges Glück. In Europa dagegen – so sein erster Eindruck, auch gestützt durch Kino und Literatur – werden die Frauen tagsüber wie Heilige verehrt, und nachts nimmt man sie mit ins Bett. So konnte er, als er mit 20 Jahren in Russland studierte, die Frauen dort nicht lieben, sie entsprachen nicht seinen Vorstellungen von Schönheit und waren so selbständig, dass es ihm nicht möglich war, sie zu verehren.

(c) Hans Herbig Photography

Auch das Buch, an dem er gerade schreibt, dreht sich darum – um Revolution und Liebe in den Zeiten des islamistischen Terrors. Was und wie er darüber erzählt, lässt den Zuhörern den Atem stocken. Mit 16 Jahren war er in ein Mädchen verliebt, zu dem er irgendwann den Kontakt verlor. Viele Jahre später muss er sich bei seiner Schwester im schwer umkämpften Homs verstecken; es gibt keine Lebensmittel mehr, und wenn doch, kein Geld, welche zu kaufen; man kann nicht mehr heizen und auch der Strom springt nur sporadisch an. Zufällig entdeckt er dieses Mädchen, als der Strom den Fernseher kurz in Betrieb setzt, in einer Nachrichtensendung. Sie ist mittlerweile Oppositionspolitikerin geworden, und es gelingt ihm, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Schließlich wird sie es sein, die ihm bei der Flucht hilft.

All das verarbeitet er in seinem neuen Roman. Bisher ist leider noch keiner seiner vier Romane auf Deutsch erschienen – vielleicht wird das ja der erste, der komplett übersetzt wird.

Dass er jemals nach Syrien zurückkehren wird, bezweifelt Yazji allerdings. Sein Land sei ruiniert, alles was ihn persönlich damit verbunden habe, sei zerstört. Umso mehr wünscht er sich Frieden, Demokratie und Menschenrechte – also genau die Werte, die den ursprünglichen Gedanken der Revolution ausgemacht haben.

Besonders schön waren die vielen Wortmeldungen, als Silke Kleemann die Runde für Fragen öffnete. Ein Agnostiker und großer Fan von Fouad fragte nach einem Weg für Schriftsteller, um zu der Bewegung Richtung Demokratie beizutragen. Fouad ist der Meinung, dass die Hoffnung niemals sterben dürfe, auch wenn die Lage gerade sehr hoffnungslos sei. Der Weg zu einer ausgewogenen Zivilisation sei immer ein Prozess, bei dem jeder nur mitwirken kann, indem er seine Pflicht erfüllt. Und leider zeige ein Blick auf die Geschichte, dass ein solcher Prozess durchaus einige hundert Jahre in Anspruch nehmen könne.

Auch nach der offiziellen Veranstaltung wurde im Einzelgespräch noch weiter über die aktuelle Lage in Syrien, über Literatur und Lösungsmöglichkeiten diskutiert, auf Arabisch, Englisch und Deutsch.

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