Literarische Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek (5): „Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink“
Im Wochenrhythmus stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus dem Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.
Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink
Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink
Wohnt in Starnberg bei München.
Geboren: Wien, am 19. Januar 1868.
Staatsangehörigkeit: Bayern.
Religion: ursprünglich Protestant, jetzt Buddhist [der nördlichen Schule.]
Bildung: Gymnasium München. Hamburg, Prag, Handel[sa kademie Prag.]
Beruf: ehemals Bankier in Prag, dann Redakteur in [Wien, seit 1900] schreibt er Bücher.
Grösse: 173 cm.
Gewicht: 64 kilo.
Brustumfang: ausgeatmet: 95 cm, eingeatmet: 103 cm
Bizepsumfang: 30 cm
Oberschenkelumfang: 59 cm
Unterschenkelumfang: 34 cm, bisweilen 32 cm.
Politische Richtung: keine.
Stellung zu Literatur und Dichtkunst: keine. Er gibt an, dass seine eigenen Werke damit so gut wie nichts zu tun haben. Er sagt, was er schrei(bt) sei „Magie“-Suggestion – und nicht an die Recepte und Regeln von „Kunstaufbau“ oder dergleichen gebunden, habe also nur sehr wenig Berührungspunkte mit dem, was die Oberlehrer aller Kategorien unter „Kunst“ und Literatur verstünden. Er glaubt nicht, dass es möglich sei, über seine Werke ein einheitliches Urteil zu fällen, denn eben weil seine Werke auf „Magie“-Suggestion aufgebaut seien, müssten sie in jedem einzelnen Leser verschiedene Bilder, Gedanken, Einfälle und Gefühle erwecken. Und gerade das sei ihr Zweck; nicht aber irgendwelches Bestreben, Kunstregeln und Recepten möglichst gerecht zu werden.
Stellung zum Theater: er gibt gern zu, dass auch das Theater nicht das allergeringste mit Kunst zu tun hat, aber er steht ihm dennoch so ablehnend wie möglich gegenüber.
Persönliche Eigenheiten: er gibt auf Privatbriefe keine Antwort, empfängt keine Besuche, macht auch keine.
Das Konvolut mit der Signatur „BSB Meyrinkiana VII.2“ enthält ein besonderes Stück aus dem Nachlass des Schriftstellers Gustav Meyrink: den Durchschlag eines Typoskripts mit dem Titel Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink. Diese humoristische Selbstcharakterisierung erscheint 1926 im 19. Jahrgang der Zeitschrift Der Zwiebelfisch. Die im Zwiebelfisch veröffentlichte Version ist jedoch umfangreicher als das in den Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek überlieferte Typoskript, bei dem es sich um eine Vorstufe des Drucktextes handelt. Interessant ist auch, dass besonders der zweite Teil der Selbstcharakteristik sich stilistisch wie ein Interview ausnimmt – schreibt der Autor über sich selbst doch in der dritten Person –, so dass hier ein perspektivischer Bruch entsteht.
In der Tradition eines Steckbriefs wird zunächst Auskunft über Wohnort, Geburtstag, Staatsangehörigkeit, Religion, Bildung und Beruf erteilt. Sodann erfolgt eine ‚Vermessung‘ des Autors Meyrink – zunächst rein physisch und vom Scheitel bis zur Sohle. Der Autor beschränkt sich dabei nicht auf Körpergröße und -gewicht, sondern gibt detailliert über Brust-, Bizeps- sowie Oberschenkel- und Unterschenkelumfang Auskunft. Derartige Angaben wirken weniger exzentrisch oder gar banal, wenn man bedenkt, dass Meyrink während seiner Lehrjahre an der Prager Handelsakademie, konkret wahrscheinlich 1886, dem „Vereinigten Eis- und Ruderklub ‚Regatta‘“ beitrat, regelmäßig trainierte und an Wettkämpfen teilnahm.
Besonders interessant sind die Stellungnahmen des Autors zu Literatur und Theater. Meyrink distanziert sich hier von jeglicher Regelpoetik. Er ordnet seine Werke nicht den verklausulierten Kategorien von Kunst und Literatur zu, sondern präsentiert sie als eine individuelle Produktion, die sich nicht auf ein einheitliches Urteil reduzieren lasse. Meyrink siedelt seine Werke im Bereich des Mystisch-Okkulten an: Es handele sich um „‚Magie‘-Suggestion“, die bei jedem Rezipienten eine andere Wirkung entfalte. Besonders krass liest sich Meyrinks Einstellung zum Theater, dem er gönnerhaft jeglichen Bezug zur Kunst abspricht, ihm aber „dennoch so ablehnend wie möglich gegenüber[steht]“. Der Abschnitt mit den Stellungnahmen wird in der veröffentlichten Textvariante des Zwiebelfischs um drei weitere Punkte ergänzt: Dort findet der Leser weiterhin Ansichten Meyrinks zum „Geschlechtsproblem“, zu „Karl Marx“ und „zur Frage, ob es einen Gott gibt“. Den Schluss der Selbstcharakteristik bilden die „Persönlichen Eigenheiten“ des Autors, die sich bereits in der Vorstufe des gedruckten Textes finden.
Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink. Abdruck in Der Zwiebelfisch.
Die Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink gibt bereits einige Anhaltspunkte darüber, welche Stationen Gustav Meyer in seinem Leben durchläuft, bis er zum Schriftsteller Gustav Meyrink wird.
Von Gustav Meyer zu Gustav Meyrink
Wanderjahre: Wien – München – Hamburg – Prag
Gustav Meyrink wird am 19. Januar 1868 unter dem bürgerlichen Namen Gustav Meyer als unehelicher Sohn der Schauspielerin Marie Meyer (1840-1908) und des württembergischen Ministerpräsidenten Friedrich Karl Gottlob Freiherr von Varnbüler (1809-1889) in Wien geboren. Meyrink besucht ab 1877 das königliche Wilhelmsgymnasium in München. Im August 1880 endet das Schauspielengagement Marie Meyers in München, die daraufhin mit ihrer Mutter und ihrem Sohn Gustav nach Hamburg zurückkehrt, wo sie sich für die Herbstsaison am Hamburger Stadt-Theater verpflichtet. Ab Herbst besucht Gustav das Realgymnasium des Johanneums in Hamburg, dessen Abschluss zu einem kaufmännischen Berufsweg befähigen soll.
Der Unternehmer Gustav Meyer
1883 wechselt Gustav an das Graben-Gymnasium in Prag, wo Marie Meyer im September ein neues Engagement antritt. Im Februar 1885 wechselt Gustav Meyrink zur Prager Handelsakademie, die wie bereits das Realgymnasium des Johanneums auf den Kaufmannsberuf hinführt und die Meyrink im Juli 1887 mit Abschluss der Oberklasse erfolgreich beendet.
Gemeinsam mit Johann David Morgenstern macht sich Meyrink im November 1889 mit dem Bank- und Wechselgeschäft „Meyer & Morgenstern“ in Prag selbständig. Anfang März 1893 heiratet Meyrink Hedwig Aloisia Ertel (*1871-?). Etwa ein Jahr später im März 1894 wird das gemeinsame Geschäft „Meyer & Morgenstern“ aufgelöst und die ehemaligen Partner gehen getrennte Wege. Meyrink eröffnet in der Folge ein eigenes Bankgeschäft, mit dem er sich zunächst in bester Lage auf dem Prager Wenzelsplatz ansiedelt.
Privat kommt Meyrink während seiner Prager Zeit erstmals mit der Sphäre des Okkulten und Spirituellen in Berührung. So tritt er als Mitglied einer Reihe von Vereinigungen bei, darunter die „Theosophische Gesellschaft“, der „Sat-Bhai-Orden“ und die „Eastern School of Theosophy“, wird zum Mitbegründer der Loge „Zum blauen Stern“, betreibt Yoga und beschäftigt sich mit Mystik und Alchemie.
Langfristig ist den unternehmerischen Ambitionen Meyrinks kein Erfolg beschieden; das Geschäft verfällt allmählich. Die Festnahme Meyrinks im Januar 1902 aufgrund betrügerischer Manipulation in Börsengeschäften markiert nicht nur das endgültige unternehmerische Scheitern des jungen Mannes, sondern bringt ihn auch gesellschaftlich und finanziell in eine höchst prekäre Lage.
Wien – Montreux – München – Starnberg: Der Schriftsteller Gustav Meyrink
Nach seiner Haftentlassung im April 1902 sieht sich Meyrink genötigt, sich künftig in einem anderen Metier zu verdingen und kommt dabei auf seine Mitarbeit beim Simplicissimus zurück, für den er bereits im Jahr 1901 eine erste Geschichte, Der heiße Soldat, verfasst hat. Die Verbindung zum Simplicissimus setzt dabei unter vergleichsweise ungewöhnlichen Umständen ein: Im Zuge eines Aufenthalts im Sanatorium „Weißer Hirsch“ in Dresden im August 1900 macht Meyrink die Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Oscar Alfred Hermann Schmitz (1873-1931). Angetan von dessen fantastisch-humoristischem Fabulieren, ermutigt Schmitz Meyrink seine Geschichten niederzuschreiben und sie an die Redaktion des Simplicissimus zu senden. In der Simplicissimus-Ausgabe vom 8. Oktober 1901 gibt der junge Autor mit der kurzen Erzählung Der heiße Soldat sein literarisches Debut und nutzt dafür erstmals das Pseudonym Gustav Meyrink. 1902 setzt sich die erste Schaffensphase mit den Texten Krank, Ohrensausen und Gehirn fort, wovon letzterer wiederum im Simplicissimus publiziert wird. Auch in der Folgezeit publiziert Meyrink erfolgreich Texte im Simplicissimus, unter anderem Izzi Pizzi, Der violette Tod und Der Schrecken. Im März 1904 verlässt der Autor Prag dauerhaft und siedelt nach Wien über, wo er fortan als Redakteur für die Satirezeitschrift Der liebe Augustin tätig ist.
In Wien beginnt Meyrink sein wohl umfangreichstes und langwierigstes Romanprojekt: Der Golem. Auch macht er dort die Bekanntschaft mit dem Grafiker Alfred Leopold Isidor Kubin (1877-1959), der mit Schmitz' Schwester Hedwig verheiratet ist. Kubin soll diesen Roman ursprünglich nach dessen Fertigstellung illustrieren. Im April 1905 kommt es zur Scheidung Meyrinks von seiner ersten Frau Hedwig Ertel. Nur wenige Wochen später, am 8. Mai 1905, heiratet Meyrink in zweiter Ehe Philomena Bernt (1873-1968), genannt Mena, die er bereits während seiner Prager Zeit beim Ruderklub „Regatta“ kennengelernt hat. Spätestens im August 1905 kehrt Meyrink der Weltmetropole Wien den Rücken und siedelt mit Mena ins beschauliche Montreux in die Schweiz über.
Im Oktober 1906, spätestens jedoch im November, bezieht das Paar eine Erdgeschoßwohnung in der Rückertstraße 7 in München. Während seiner Münchner Zeit publiziert Meyrink unter anderem in der Wochenschrift März und im Simplicissimus und betätigt sich darüber hinaus als Übersetzer englischer Texte, wodurch er zu einem wesentlichen Teil den Lebensunterhalt der Familie finanziert. 1908 wird der gemeinsame Sohn Harro (1908-1932) geboren.
1911 übersiedelt die Familie nach Starnberg. Erst hier gelingt es Meyrink, die wiederholt ins Stocken geratene Produktion am Golem abzuschließen. Der Roman wird zwischen Dezember 1913 und Juli 1914 als Serie zunächst in den Weißen Blättern publiziert. Die eigenständige Romanpublikation wird aufgrund des Kriegsausbruchs zunächst verschoben, so dass die Erstausgabe erst Anfang Dezember 1915 bei Kurt Wolff in Leipzig erscheint. Im November 1916 erscheint, ebenfalls bei Kurt Wolff, der zweite Roman Meyrinks unter dem Titel Das grüne Gesicht. Ein knappes Jahr später folgt mit Walpurgisnacht der dritte Roman. 1927 konvertiert Meyrink offiziell vom Protestantismus zum Mahajana-Buddhismus.
Am 12. Juli 1932 begeht Harro Meyrink nach einem schweren Skiunfall im März, in dessen Folge es zu erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparats gekommen ist, Suizid. Der zu diesem Zeitpunkt bereits psychisch und infolge diagnostizierter Herzschwäche und eines Nierenleidens auch physisch stark angegriffene Meyrink erleidet versetzt im Oktober einen Nervenzusammenbruch und Atembeschwerden. Er stirbt wenig später am 2. Dezember 1932 in Starnberg. Das Gemeinschaftsgrab der Familie hat sich bis heute auf dem Starnberger Friedhof erhalten.
Sekundärliteratur:
Gustav Meyrink: Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink. In: Der Zwiebelfisch 19 (1926), H. 1, S. 25f.
Binder, Hartmut (2009): Gustav Meyrink. Ein Leben im Bann der Magie. Prag.
Heißerer, Dirk (2010): Zauberer mit dem Ruderboot – Gustav Meyrink. In: Ders.: Wellen, Wind und Dorfbanditen. Literarische Erkundungen am Starnberger See. Erw. Neuausg. München, S. 31-44.
Smit, Frans (1990): Gustav Meyrink. Auf der Suche nach dem Übersinnlichen. München.
Externe Links:Sammlungsbeschreibung in bavarikon
Gustav Meyrink, Nachlass: Autobiographische Entwürfe, Der Lotse - BSB Meyrinkiana VII.1
Gustav Meyrink, Nachlass: Roman, Der Engel vom Westlichen Fenster - BSB Meyrinkiana IV.2
Gustav Meyrink, Nachlass: Roman, Das Haus zum Pfau - BSB Meyrinkiana IV.1
Literarische Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek (5): „Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink“>
Im Wochenrhythmus stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus dem Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.
Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink
Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink
Wohnt in Starnberg bei München.
Geboren: Wien, am 19. Januar 1868.
Staatsangehörigkeit: Bayern.
Religion: ursprünglich Protestant, jetzt Buddhist [der nördlichen Schule.]
Bildung: Gymnasium München. Hamburg, Prag, Handel[sa kademie Prag.]
Beruf: ehemals Bankier in Prag, dann Redakteur in [Wien, seit 1900] schreibt er Bücher.
Grösse: 173 cm.
Gewicht: 64 kilo.
Brustumfang: ausgeatmet: 95 cm, eingeatmet: 103 cm
Bizepsumfang: 30 cm
Oberschenkelumfang: 59 cm
Unterschenkelumfang: 34 cm, bisweilen 32 cm.
Politische Richtung: keine.
Stellung zu Literatur und Dichtkunst: keine. Er gibt an, dass seine eigenen Werke damit so gut wie nichts zu tun haben. Er sagt, was er schrei(bt) sei „Magie“-Suggestion – und nicht an die Recepte und Regeln von „Kunstaufbau“ oder dergleichen gebunden, habe also nur sehr wenig Berührungspunkte mit dem, was die Oberlehrer aller Kategorien unter „Kunst“ und Literatur verstünden. Er glaubt nicht, dass es möglich sei, über seine Werke ein einheitliches Urteil zu fällen, denn eben weil seine Werke auf „Magie“-Suggestion aufgebaut seien, müssten sie in jedem einzelnen Leser verschiedene Bilder, Gedanken, Einfälle und Gefühle erwecken. Und gerade das sei ihr Zweck; nicht aber irgendwelches Bestreben, Kunstregeln und Recepten möglichst gerecht zu werden.
Stellung zum Theater: er gibt gern zu, dass auch das Theater nicht das allergeringste mit Kunst zu tun hat, aber er steht ihm dennoch so ablehnend wie möglich gegenüber.
Persönliche Eigenheiten: er gibt auf Privatbriefe keine Antwort, empfängt keine Besuche, macht auch keine.
Das Konvolut mit der Signatur „BSB Meyrinkiana VII.2“ enthält ein besonderes Stück aus dem Nachlass des Schriftstellers Gustav Meyrink: den Durchschlag eines Typoskripts mit dem Titel Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink. Diese humoristische Selbstcharakterisierung erscheint 1926 im 19. Jahrgang der Zeitschrift Der Zwiebelfisch. Die im Zwiebelfisch veröffentlichte Version ist jedoch umfangreicher als das in den Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek überlieferte Typoskript, bei dem es sich um eine Vorstufe des Drucktextes handelt. Interessant ist auch, dass besonders der zweite Teil der Selbstcharakteristik sich stilistisch wie ein Interview ausnimmt – schreibt der Autor über sich selbst doch in der dritten Person –, so dass hier ein perspektivischer Bruch entsteht.
In der Tradition eines Steckbriefs wird zunächst Auskunft über Wohnort, Geburtstag, Staatsangehörigkeit, Religion, Bildung und Beruf erteilt. Sodann erfolgt eine ‚Vermessung‘ des Autors Meyrink – zunächst rein physisch und vom Scheitel bis zur Sohle. Der Autor beschränkt sich dabei nicht auf Körpergröße und -gewicht, sondern gibt detailliert über Brust-, Bizeps- sowie Oberschenkel- und Unterschenkelumfang Auskunft. Derartige Angaben wirken weniger exzentrisch oder gar banal, wenn man bedenkt, dass Meyrink während seiner Lehrjahre an der Prager Handelsakademie, konkret wahrscheinlich 1886, dem „Vereinigten Eis- und Ruderklub ‚Regatta‘“ beitrat, regelmäßig trainierte und an Wettkämpfen teilnahm.
Besonders interessant sind die Stellungnahmen des Autors zu Literatur und Theater. Meyrink distanziert sich hier von jeglicher Regelpoetik. Er ordnet seine Werke nicht den verklausulierten Kategorien von Kunst und Literatur zu, sondern präsentiert sie als eine individuelle Produktion, die sich nicht auf ein einheitliches Urteil reduzieren lasse. Meyrink siedelt seine Werke im Bereich des Mystisch-Okkulten an: Es handele sich um „‚Magie‘-Suggestion“, die bei jedem Rezipienten eine andere Wirkung entfalte. Besonders krass liest sich Meyrinks Einstellung zum Theater, dem er gönnerhaft jeglichen Bezug zur Kunst abspricht, ihm aber „dennoch so ablehnend wie möglich gegenüber[steht]“. Der Abschnitt mit den Stellungnahmen wird in der veröffentlichten Textvariante des Zwiebelfischs um drei weitere Punkte ergänzt: Dort findet der Leser weiterhin Ansichten Meyrinks zum „Geschlechtsproblem“, zu „Karl Marx“ und „zur Frage, ob es einen Gott gibt“. Den Schluss der Selbstcharakteristik bilden die „Persönlichen Eigenheiten“ des Autors, die sich bereits in der Vorstufe des gedruckten Textes finden.
Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink. Abdruck in Der Zwiebelfisch.
Die Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink gibt bereits einige Anhaltspunkte darüber, welche Stationen Gustav Meyer in seinem Leben durchläuft, bis er zum Schriftsteller Gustav Meyrink wird.
Von Gustav Meyer zu Gustav Meyrink
Wanderjahre: Wien – München – Hamburg – Prag
Gustav Meyrink wird am 19. Januar 1868 unter dem bürgerlichen Namen Gustav Meyer als unehelicher Sohn der Schauspielerin Marie Meyer (1840-1908) und des württembergischen Ministerpräsidenten Friedrich Karl Gottlob Freiherr von Varnbüler (1809-1889) in Wien geboren. Meyrink besucht ab 1877 das königliche Wilhelmsgymnasium in München. Im August 1880 endet das Schauspielengagement Marie Meyers in München, die daraufhin mit ihrer Mutter und ihrem Sohn Gustav nach Hamburg zurückkehrt, wo sie sich für die Herbstsaison am Hamburger Stadt-Theater verpflichtet. Ab Herbst besucht Gustav das Realgymnasium des Johanneums in Hamburg, dessen Abschluss zu einem kaufmännischen Berufsweg befähigen soll.
Der Unternehmer Gustav Meyer
1883 wechselt Gustav an das Graben-Gymnasium in Prag, wo Marie Meyer im September ein neues Engagement antritt. Im Februar 1885 wechselt Gustav Meyrink zur Prager Handelsakademie, die wie bereits das Realgymnasium des Johanneums auf den Kaufmannsberuf hinführt und die Meyrink im Juli 1887 mit Abschluss der Oberklasse erfolgreich beendet.
Gemeinsam mit Johann David Morgenstern macht sich Meyrink im November 1889 mit dem Bank- und Wechselgeschäft „Meyer & Morgenstern“ in Prag selbständig. Anfang März 1893 heiratet Meyrink Hedwig Aloisia Ertel (*1871-?). Etwa ein Jahr später im März 1894 wird das gemeinsame Geschäft „Meyer & Morgenstern“ aufgelöst und die ehemaligen Partner gehen getrennte Wege. Meyrink eröffnet in der Folge ein eigenes Bankgeschäft, mit dem er sich zunächst in bester Lage auf dem Prager Wenzelsplatz ansiedelt.
Privat kommt Meyrink während seiner Prager Zeit erstmals mit der Sphäre des Okkulten und Spirituellen in Berührung. So tritt er als Mitglied einer Reihe von Vereinigungen bei, darunter die „Theosophische Gesellschaft“, der „Sat-Bhai-Orden“ und die „Eastern School of Theosophy“, wird zum Mitbegründer der Loge „Zum blauen Stern“, betreibt Yoga und beschäftigt sich mit Mystik und Alchemie.
Langfristig ist den unternehmerischen Ambitionen Meyrinks kein Erfolg beschieden; das Geschäft verfällt allmählich. Die Festnahme Meyrinks im Januar 1902 aufgrund betrügerischer Manipulation in Börsengeschäften markiert nicht nur das endgültige unternehmerische Scheitern des jungen Mannes, sondern bringt ihn auch gesellschaftlich und finanziell in eine höchst prekäre Lage.
Wien – Montreux – München – Starnberg: Der Schriftsteller Gustav Meyrink
Nach seiner Haftentlassung im April 1902 sieht sich Meyrink genötigt, sich künftig in einem anderen Metier zu verdingen und kommt dabei auf seine Mitarbeit beim Simplicissimus zurück, für den er bereits im Jahr 1901 eine erste Geschichte, Der heiße Soldat, verfasst hat. Die Verbindung zum Simplicissimus setzt dabei unter vergleichsweise ungewöhnlichen Umständen ein: Im Zuge eines Aufenthalts im Sanatorium „Weißer Hirsch“ in Dresden im August 1900 macht Meyrink die Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Oscar Alfred Hermann Schmitz (1873-1931). Angetan von dessen fantastisch-humoristischem Fabulieren, ermutigt Schmitz Meyrink seine Geschichten niederzuschreiben und sie an die Redaktion des Simplicissimus zu senden. In der Simplicissimus-Ausgabe vom 8. Oktober 1901 gibt der junge Autor mit der kurzen Erzählung Der heiße Soldat sein literarisches Debut und nutzt dafür erstmals das Pseudonym Gustav Meyrink. 1902 setzt sich die erste Schaffensphase mit den Texten Krank, Ohrensausen und Gehirn fort, wovon letzterer wiederum im Simplicissimus publiziert wird. Auch in der Folgezeit publiziert Meyrink erfolgreich Texte im Simplicissimus, unter anderem Izzi Pizzi, Der violette Tod und Der Schrecken. Im März 1904 verlässt der Autor Prag dauerhaft und siedelt nach Wien über, wo er fortan als Redakteur für die Satirezeitschrift Der liebe Augustin tätig ist.
In Wien beginnt Meyrink sein wohl umfangreichstes und langwierigstes Romanprojekt: Der Golem. Auch macht er dort die Bekanntschaft mit dem Grafiker Alfred Leopold Isidor Kubin (1877-1959), der mit Schmitz' Schwester Hedwig verheiratet ist. Kubin soll diesen Roman ursprünglich nach dessen Fertigstellung illustrieren. Im April 1905 kommt es zur Scheidung Meyrinks von seiner ersten Frau Hedwig Ertel. Nur wenige Wochen später, am 8. Mai 1905, heiratet Meyrink in zweiter Ehe Philomena Bernt (1873-1968), genannt Mena, die er bereits während seiner Prager Zeit beim Ruderklub „Regatta“ kennengelernt hat. Spätestens im August 1905 kehrt Meyrink der Weltmetropole Wien den Rücken und siedelt mit Mena ins beschauliche Montreux in die Schweiz über.
Im Oktober 1906, spätestens jedoch im November, bezieht das Paar eine Erdgeschoßwohnung in der Rückertstraße 7 in München. Während seiner Münchner Zeit publiziert Meyrink unter anderem in der Wochenschrift März und im Simplicissimus und betätigt sich darüber hinaus als Übersetzer englischer Texte, wodurch er zu einem wesentlichen Teil den Lebensunterhalt der Familie finanziert. 1908 wird der gemeinsame Sohn Harro (1908-1932) geboren.
1911 übersiedelt die Familie nach Starnberg. Erst hier gelingt es Meyrink, die wiederholt ins Stocken geratene Produktion am Golem abzuschließen. Der Roman wird zwischen Dezember 1913 und Juli 1914 als Serie zunächst in den Weißen Blättern publiziert. Die eigenständige Romanpublikation wird aufgrund des Kriegsausbruchs zunächst verschoben, so dass die Erstausgabe erst Anfang Dezember 1915 bei Kurt Wolff in Leipzig erscheint. Im November 1916 erscheint, ebenfalls bei Kurt Wolff, der zweite Roman Meyrinks unter dem Titel Das grüne Gesicht. Ein knappes Jahr später folgt mit Walpurgisnacht der dritte Roman. 1927 konvertiert Meyrink offiziell vom Protestantismus zum Mahajana-Buddhismus.
Am 12. Juli 1932 begeht Harro Meyrink nach einem schweren Skiunfall im März, in dessen Folge es zu erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparats gekommen ist, Suizid. Der zu diesem Zeitpunkt bereits psychisch und infolge diagnostizierter Herzschwäche und eines Nierenleidens auch physisch stark angegriffene Meyrink erleidet versetzt im Oktober einen Nervenzusammenbruch und Atembeschwerden. Er stirbt wenig später am 2. Dezember 1932 in Starnberg. Das Gemeinschaftsgrab der Familie hat sich bis heute auf dem Starnberger Friedhof erhalten.
Gustav Meyrink: Selbstbeschreibung des Autors Gustav Meyrink. In: Der Zwiebelfisch 19 (1926), H. 1, S. 25f.
Binder, Hartmut (2009): Gustav Meyrink. Ein Leben im Bann der Magie. Prag.
Heißerer, Dirk (2010): Zauberer mit dem Ruderboot – Gustav Meyrink. In: Ders.: Wellen, Wind und Dorfbanditen. Literarische Erkundungen am Starnberger See. Erw. Neuausg. München, S. 31-44.
Smit, Frans (1990): Gustav Meyrink. Auf der Suche nach dem Übersinnlichen. München.