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09.12.2012, 11:53 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [49]: Kräuterbuch – äußere Blindheit – inneres Afrika

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Möglicherweise zeigte Fenk den Unterscheerauern dieses bekannte, 1744 in Basel gedruckte, mit 1200 Abbildungen versehene Kräuterbuch von Theodor Zwinger: "Theatrum botanicum. Das ist: Vollkommenes Kräuter-Buch, Worinnen allerhand Erdgewächse, Bäume, Stauden und Kräuter, welche in allen vier Theilen der Welt, sonderlich aber in Europa, hervorkommen [...] allen Aertzten, Wundärtzten, Apotheckern [...] hochnützlich und vorträglich."

Der Doktor veräpfelt die Unterscheerauer (unter ihnen „vier Spätbirnen“, Töchter des Lottodirektors Eckert), indem er ihnen stundenlang, mit titanischer Langsamkeit ausgerüstet, ein Kräuterbuch – samt Pistillen, Stigmen, Antheren, Pentandria und Dodecandria – zeigt, „wogegen der Theresianische Kodex mit seinen Folterabrissen nur ein Taschenkalender mit Monatkupfern ist“.

Der Mann ist also auch ein folternder Sadist – und ein Spaßmacher.

Als Jean Paul wieder in Hof und an der Auswahl aus des Teufels Papieren saß, erschien diese andere Auswahl (der theresianischen Verordnungen, die niemals Gesetzkraft erlangten).

Beim Blättern in Blochs Prinzip Hoffnung stoße ich auf folgende Stelle[1]: „Glück der Blinden geht damit an, unter wie über den Dingen, die vorhanden sind. Der Ton spricht zugleich aus, was im Menschen selber noch stumm ist.“ Was meint er? Das Glück derer, die im Dunkeln letzten Endes ein „Wir“ wahrnehmen. Amandus wird nicht blind werden, aber wäre er es geworden, so hätte er das Glück gehabt, Töne als etwas sehr Besonderes wahrzunehmen.

Monomotapa: das Wort bleibt hängen. Hier niesen, sagt Jean Paul, die Einwohner dem Kaiser nach. Allein hier „irrt Jean Paul“, wie man besserwisserisch sagen könnte. In Zedlers Universallexicon steht nämlich nur, daß die Monomotapaner im Niesfalle dem Kaiser allesamt Gesundheit wünschten. Das Wort aber bleibt, wie gesagt, hängen. Man kann es auf der Zunge zergehen lassen: Monomotapa. Monomotapa....

Der Dichter sprach in einem berühmten Wort vom „inneren Afrika“ – Monomotapa lag im äußeren, südlichen Afrika. Munhumutapa, Mwenemutapa, Mwanamutapa, Mutapa oder Karanga – so hieß dieses Reich auf dem Gebiet des  heutigen Simbabwe und Mosambik, bevor es von den Kolonialisten gefressen wurde.  Monomotapa... was konnte sich Jean Paul darunter vorstellen, der vielleicht niemals in seinem Leben einen schwarzen Menschen sah und, als er von Monomotapa schrieb, die Kälte Schwarzenbachs an der Saale durch die undichten Fenster pfeifen hörte?

So sah das Reich Monomotapa, wo die Untertanen dem Kaiser Gesundheit wünschten, im Kartenbild des 16. Jahrhunderts aus.



[1] § V/51, in Vol. III, S. 1243f.

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