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06.12.2012, 00:24 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [10]: Wagner-Satire und Wagner-Gewalt

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Siebdruck im Stil Andy Warhols von Hermien Stellmacher, Warhol-Ausstellung im Bayreuther Plakatmuseum 2011

Panizza bleibt auch der Gesellschaft treu und veröffentlicht im Oktober 1891 in ihr die Erzählung Stoßseufzer aus Bayreuth (S. 1361-1370). Sie beginnt wie ein Brief: „Sehr geehrter Herr Redakteur! Ich bin Lehrer. Voll zarter Anlagen, ist mein Gemüt sozusagen für die Musik prästabiliert worden. Schon mit acht Jahren spielte ich auf einem alten Klavezink kleine Etüden oder auf dem Harmonium meiner Mutter Choräle...“ Eine kleine autobiographische Erinnerung? Vielleicht, aber hier unwichtig. Der Erzähler liebt Haydn, Mozart, muss aber feststellen, als er als junger Mann nach München kommt, dass da auf einmal ein anderer Komponist immer mehr an Bedeutung gewinnt: Richard Wagner! Mit seiner ‚Aufeinanderfolge von A-Dur-Dreiklängen‘ hat er Erfolg, dies hat den „Ausdruck des Mystischen“ und gilt als das „Höchste in der Kunst“. Dann erscheint die Oper Tristan und Isolde, ebenfalls „ausgespickt mit den oben charakterisierten verdächtigen Dreiklängen, nicht nur in hohen Violinlagen, sondern in allen möglichen Lagen“. Das greift immer mehr um sich. „Da hielt plötzlich ein Herr namens Wohlerzogen in einer größeren süddeutschen Stadt einen Vortrag, in welchem der Satz vorkam: Die Behandlung des Orchestralen in Tristan und Isolde sei das ‚Höchste an Kunst‘.“ Das Entzücken an Tristan und Isolde wurde „ebenso Mode wie das Hinken am Hof einer bekannten englischen Königin oder die Verwendung von Schweinfurter Grün für allerlei Gebrauchartikel im vergangenen Jahrzehnt.“ Die oberste Medizinalbehörde wird eingeschaltet, sogar der berühmte französische Irrenarzt Moreau wird zu Hilfe gerufen. „Letzterer meinte: Die Richard-Wagner-Musik verhalte sich so wie eine Menge anderer spezifischer Gehirngifte, Alkohol, Morphium, Absinth.“ Vergeblich! Der Erfolg Richard Wagners ist nicht mehr aufzuhalten. Wagnerbünde entstehen mit seltsamen Namen wie „Gralsritter“, „Dreiklangsschwärmer“, „Isoldekränzchen“ – Panizza treibt die Satire auf die Spitze und treibt seinen Erzähler schließlich in das neue Bayreuther Festspielhaus.

Denn dieser hat den Entschluss gefasst, sich mit Gewalt Wagner zu unterwerfen, mittels einer „gefährlichen Inokulation“ im Bayreuther Wagnertheater. Schließlich will er doch ein anerkanntes Mitglied im Wagner-Verein seines Heimatortes werden, in dem sich schon alle Honoratioren des Ortes versammelt haben: Schornsteinfeger, Polizeibüttel und natürlich der Bürgermeister, ein Metzger. Er reist zu den Festspielen und will beim Parsifal sein Ziel erreichen. Doch die Sache endet tragisch: „Ich habe fürchterlich gelitten, Herr Redakteur! Und ich kann es nicht länger ertragen: Kaum sitze ich in dem schwarzen Kasten, und die giftträufelnden Flöten- und Hornbläser beginnen ihre diabolische Arbeit, wird mir’s heiß vor der Stirn; meine Gedanken entweichen, und wie ein Gelähmter starre ich mit glasigen Augen in den schwarzen, unterirdischen Raum, wo die Orchestertiere schlummern. Um mich her beginnen die Verzückungsbewegungen, die mystischen Krämpfe und das sakkadierte Atmen; und ich hocke dort wie ein Mehlsack. – Was soll ich tun? Ich weiß jetzt, dass ich der Kranke bin... Die Kur schlägt bei mir nicht an!“ Unser Lehrer ist verzweifelt, sein Brief endet mit den Sätzen: „Soll ich wie Judas den ‚Meister’ verraten und mich dann am höchsten Baum im ‚Wahnfried‘ aufknüpfen? Helfen Sie mir, Herr Redakteur! Sie sollen ein warmes, empfindendes Herz haben! Sie sollen manchmal Mozart spielen! Helfen Sie einem Verzweifelnden.“ Nein, diesem Mann ist nicht zu helfen! Er wird nie ein Wagnerianer werden. Oskar Panizza ist es auch nicht geworden. Eine seiner letzten journalistischen Arbeiten wird ein Bericht über eine Pariser Aufführung des Tristan sein (1900). Doch davon später...

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