Logen-Blog [43]: Über stinkende Pest- und Nebelwolken
Kunst besteht auch aus Kontrasten. Wer Jean Paul „schwierig“ schilt, kommt vielleicht (auch) mit diesen Kontrasten nicht klar – bemerkt sie vielleicht nicht einmal. Zum Beispiel:
Es war ein reiner Oktobermorgen, der Nebel lag zusammengefaltet dem Himmel zu Füßen, der wegfliegende Sommer schwebte mit seinen blauen Schwingen noch hoch über den Ästen und Blumen, die ihn getragen, und schauete mit dem weiten, still erwärmenden Sonnenauge den Menschen an, von dem er Abschied nahm. Gustav wollte aus dem Wagen, um den betaueten fliegenden Sommer, der zartgesponnen wie ein Menschenleben die Erde überzog, zusammenzuwickeln und mitzunehmen. Aber du, Mensch, hängst so oft als stinkende Pest- und Nebelwolke in die reine Natur herein!
Es ist eine jener Stellen, die der zeitgenössische Rezensent Nr. 1 als „gesuchte bizarre Mischung“ verurteilte. Die stinkende Pest- und Nebelwolke[1] stört das Bild, das man aufs erste Lesen für „romantisch“ halten könnte, wäre da nicht die Distanz zwischen dem Subjekt (Gustav) und der objektiven Natur – als eine schmerzhafte – vermessen worden.
Was folgt, ist Schauerdramatik in ihrer reinsten Form: der Knabe schreit plötzlich, als man sich im Wald[2] befindet: „O! Nun dort wird der schwarze Arm hineinlangen und mich hinausziehen!“ Ein „feines Kind“ wird vom aus der Kutsche herausspringenden Rittmeister gerettet, das gerade von einem „alten verwüsteten Bettelweib“ geblendet werden soll, damit ein Bettelkind entstünde. Es fließen Blut und Tränen – und Wasser.
Für Jean Pauls Verhältnisse geht es nun rasend schnell.
[1] Der aufmerksame Leser fragt sich allerdings, wieso eine Nebelwolke stinkt.
[2] Bei Issig, sagt der Erzähler – aber es gibt im Rheinland kein Issig; jedenfalls habe ich es nicht gefunden – doch gibt es den kleinen Fluss namens Issig und das Örtchen Issiggau: beides in der Nähe von Naila gelegen, im heutigen Frankenwald des nördlichen Oberfranken. Man sieht: auch dieser Roman spielt, wenn man hinter die Kulissen schaut, nicht im fernen Rheinland, sondern in der Umgebung, die dem Dichter 1791 einzig vertraut war: der sogenannten Heimat.
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Kunst besteht auch aus Kontrasten. Wer Jean Paul „schwierig“ schilt, kommt vielleicht (auch) mit diesen Kontrasten nicht klar – bemerkt sie vielleicht nicht einmal. Zum Beispiel:
Es war ein reiner Oktobermorgen, der Nebel lag zusammengefaltet dem Himmel zu Füßen, der wegfliegende Sommer schwebte mit seinen blauen Schwingen noch hoch über den Ästen und Blumen, die ihn getragen, und schauete mit dem weiten, still erwärmenden Sonnenauge den Menschen an, von dem er Abschied nahm. Gustav wollte aus dem Wagen, um den betaueten fliegenden Sommer, der zartgesponnen wie ein Menschenleben die Erde überzog, zusammenzuwickeln und mitzunehmen. Aber du, Mensch, hängst so oft als stinkende Pest- und Nebelwolke in die reine Natur herein!
Es ist eine jener Stellen, die der zeitgenössische Rezensent Nr. 1 als „gesuchte bizarre Mischung“ verurteilte. Die stinkende Pest- und Nebelwolke[1] stört das Bild, das man aufs erste Lesen für „romantisch“ halten könnte, wäre da nicht die Distanz zwischen dem Subjekt (Gustav) und der objektiven Natur – als eine schmerzhafte – vermessen worden.
Was folgt, ist Schauerdramatik in ihrer reinsten Form: der Knabe schreit plötzlich, als man sich im Wald[2] befindet: „O! Nun dort wird der schwarze Arm hineinlangen und mich hinausziehen!“ Ein „feines Kind“ wird vom aus der Kutsche herausspringenden Rittmeister gerettet, das gerade von einem „alten verwüsteten Bettelweib“ geblendet werden soll, damit ein Bettelkind entstünde. Es fließen Blut und Tränen – und Wasser.
Für Jean Pauls Verhältnisse geht es nun rasend schnell.
[1] Der aufmerksame Leser fragt sich allerdings, wieso eine Nebelwolke stinkt.
[2] Bei Issig, sagt der Erzähler – aber es gibt im Rheinland kein Issig; jedenfalls habe ich es nicht gefunden – doch gibt es den kleinen Fluss namens Issig und das Örtchen Issiggau: beides in der Nähe von Naila gelegen, im heutigen Frankenwald des nördlichen Oberfranken. Man sieht: auch dieser Roman spielt, wenn man hinter die Kulissen schaut, nicht im fernen Rheinland, sondern in der Umgebung, die dem Dichter 1791 einzig vertraut war: der sogenannten Heimat.